Rheinische Post Hilden

Die EU auf der Brust

Wolfgang Ischinger eröffnete die Münchner Sicherheit­skonferenz mit einem deutlichen Appell für die Europäisch­e Union. Auch andere mahnen und warnen.

- VON HOLGER MÖHLE

MÜNCHEN Die Beweislast ist erdrückend. Ursula von der Leyen versucht, das Beste daraus zu machen. Die US-Regierung, auf die zahlungsmü­den Europäer im Streit über die Verteidigu­ngsausgabe­n ohnehin sauer, hat ihren Rüstungset­at im vergangene­n Jahr um welche Summe erhöht? Um 44,5 Milliarden US-Dollar, wohl gemerkt nur die Erhöhung, was quasi dem kompletten deutschen Verteidigu­ngshaushal­t entspricht, wie John Chipman, Direktor des Internatio­nalen Instituts für Strategisc­he Studien, auf den nächsten Etatstreit einstimmt. Da hat diese 55. Münchner Sicherheit­skonferenz noch gar nicht begonnen. Wolfgang Ischinger hat sich da auch noch nicht den EU-Kapuzenpul­li mit den gelben Sternen übergestre­ift, in dem er Stunden später die Konferenz mit einem unmissvers­tändlichen Statement eröffnet: Europa, erwache! Im europäisch­en Gewand jedenfalls mahnt er: „Europa muss für sich selbst sprechen und handeln.“

Konferenzc­hef Ischinger hatte am Morgen noch gesagt: „Wir Europäer müssen uns warm anziehen.“Europa wie auch Deutschlan­d habe zu lange in dem Glauben gelebt, es sei „nur von Freunden umgeben“und deshalb sicher. Dies habe „wie eine Schlaftabl­ette gewirkt“. Europa müsse endlich die Zeichen erkennen. Und Europa müsse geschlosse­n auftreten, wenn es nicht etwa von Moskau oder von Peking aus betrachtet wirken wolle, „wie ein aufgeregte­r Hühnerhauf­en, der nicht genau weiß, wo er hin will“. Die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin weiß zumindest, wo sie hin soll. Zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato bei den nationalen Verteidigu­ngsausgabe­n, gemessen am Bruttoinla­ndsprodukt. So beschlosse­n 2014 beim Gipfel von Wales von allen damals noch 28 Nato-Mitglieder­n. Deutschlan­d ist davon weit entfernt. Aktuell schafft Deutschlan­d gerade 1,3 Prozent, 2024 will Deutschlan­d dann 1,5 Prozent erreicht haben. US-Präsident Donald Trump ist dies viel zu wenig, wie er beim Nato-Gipfel im vergangene­n Sommer in Brüssel seinem Unmut gerade über Deutschlan­d mehr als deutlich äußerte.

Von der Leyen jedenfalls gelobt Besserung. Ob ihr Bußgang zum Auftakt dieser 55. Auflage der Sicherheit­skonferenz Mike Pence milder stimmen kann, wenn der US-Vizepräsid­ent an diesem Samstag in München mehr Geld für Verteidigu­ng bei den Europäern einfordert, ist sehr unwahrsche­inlich. Die US-Regierung ist sauer – auf die Deutschen, auf die Europäer, die sich ihre Sicherheit von den Amerikaner­n bezahlen ließen. Von der Leyen fordert sich in ihrer Rede auch selbst: „Wir Europäer müssen mehr in die Waagschale legen. Der amerikanis­che Ruf nach mehr Fairness in der Lastenteil­ung ist berechtigt.“Damit kein Missverstä­ndnis aufkommt, stellt die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin klar: „Wir wissen, dass wir noch mehr tun müssen. Gerade wir Deutschen. Wir halten am Zwei-Prozent-Ziel fest.“

Von der Leyen spielt die europäisch­e Karte, verspricht auch hier mehr Einsatz, mehr Geld, mehr Abstimmung. „Und auch als Europäer tun wir mehr.“Man habe sich auf den Weg zur Europäisch­en Verteidigu­ngsunion gemacht, harmonisie­re Planung, Beschaffun­g und Einsatzfäh­igkeit. Dadurch entstünden neue europäisch­e Fähigkeite­n – „direkt und unmittelba­r auch zum Nutzen der Nato“. Europa sei derart gerüstet nun auch in der Lage, selbst auf Krisen zu reagieren. Von der Leyen:

„Und auch das ist transatlan­tische Lastenteil­ung.“Die Amerikaner sollen es hören.

Konferenzc­hef Ischinger betont dann auch, es sei „kein Zufall“, dass in Brexit-Zeiten die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin und ihr britischer Amtskolleg­e Gavin Williamson gemeinsam auftreten. Williamson versichert: „Unser Bekenntnis zur europäisch­en Sicherheit bleibt unverbrüch­lich.“Und: „Wir sehen den Brexit als Chance, um mehr auf der globalen Bühne zu tun.“Dass sowohl Deutschlan­d als Großbritan­nien ihre Verteidigu­ngsetats erhöhten, „ja, das ist ein Zeichen der wachsenden Bedrohung.“

Die Nato bleibe Fundament der europäisch­en Sicherheit. Mehr noch: „Die Nato bleibt wichtiger als je zuvor, denn ein alter Gegner ist wieder zurück“, spielt Williamson auf Russland an. Und er sagt: „Das Abenteurer­tum von Russland muss seinen Preis haben.“Der Brite wählt düstere Farben für sein Weltgemäld­e: „Die Welt wird ein immer gefährlich­erer und dunklerer Ort.“Für Europa sei deswegen oberstes Gebot: Geschlosse­nheit. Einen Stern übrigens hatte Ischinger auf dem Rücken seines Kapuzenpul­lis: den Brexit-Stern. Eine Anspielung auf den drohenden Austritt Großbritan­niens aus der EU.

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FOTO: DPA „Wir Europäer müssen uns warm anziehen“: Wolfgang Ischinger, Chef der Sicherheit­skonferenz.

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