Rheinische Post Hilden

Bildhauer auf der Suche nach dem Schönen

Das Duisburger Wilhelm-Lehmbruck-Museum stellt Skulpturen seines Namenspatr­ons Werken von Auguste Rodin gegenüber.

- VON BERTRAM MÜLLER

DUISBURG Der eine ist weltberühm­t, der andere gilt 100 Jahre nach seinem Tod noch immer als Künstler für Künstler. Auguste Rodin (18401917), ein später stilistisc­her Nachfolger und Überwinder Michelange­los, hat mit seiner Plastik „Der Denker“, mit erotischen Akten wie beispielsw­eise „Der Kuss“und wilden Tänzerinne­n Bewunderer gefunden. Wilhelm Lehmbruck (18811919) machte sich dagegen zwar zu Lebzeiten ebenfalls internatio­nal einen Namen, doch außerhalb von Kunstkreis­en kennt man ihn kaum. Dabei hat sich Joseph Beuys in seiner letzten, bewegenden Rede tief vor Lehmbruck verbeugt – ein Dank an jenem Ort, an dem Rodin und Lehmbruck jetzt in ihren Werken vereint sind. Das Duisburger Lehmbruck-Museum ehrt sie unter dem schlichten, zugleich kontrovers­en Titel „Schönheit“.

Wie Lehmbruck den älteren Rodin schätzte, so beriefen sich außer Beuys noch andere Künstler auf Lehmbruck. Die Duisburger Ausstellun­g verfolgt diese Linien mit hochrangig­en Skulpturen und veranschau­licht nebenher, wie sich der Schönheits­begriff um die Jahrhunder­twende wandelte. Lehmbruck gab nun als schön aus, was kurz zuvor, im 19. Jahrhunder­t, noch als hässlich gegolten hätte. Seine Schönheit war vor allem eine innere: Besinnung als Kern des Menschsein­s. Heute nennt man das meditieren.

Die „Badende“, eine Nackte, die sich mit der linken Hand grazil über den Unterschen­kel fährt, steht noch im Banne des Klassizism­us – das erste Kunstwerk übrigens, das die Düsseldorf­er Akademie, an der Lehmbruck sich ausbilden ließ, von einem Studenten erwarb. Mit der „Stehenden weiblichen Figur“schaffte Lehmbruck 1910 den Durchbruch beim Herbstsalo­n in Paris.

Auf dem Rundgang erlebt man die Werke von Rodin und Lehmbruck stets dicht beieinande­r. Bald ziehen sich Lehmbrucks Figuren gotisch in die Länge. Wo Rodins berühmter „Denker“mit aufgestütz­tem Kinn in sich zu ruhen scheint, wirkt nebenan Lehmbrucks „Sitzender Jüngling“schon existentia­listischer - den langen Kopf auf die gleichfall­s gelängten Gliedmaßen gesenkt, ein Sinnender, der zu zweifeln scheint und zugleich von einem neuen Schönheits­verständni­s seines Schöpfers zeugt.

Der angrenzend­e riesige Saal entführt die Besucher zunächst nach New York, in die Armory Show des Jahres 1913, die erste umfassende Ausstellun­g moderner europäisch­er Kunst in den USA. Eine fotografis­che Wandtapete vermittelt einen Eindruck davon, unter anderem mit Lehmbrucks „Kniender“, die als Original das Kabinett beherrscht. Mit dieser Schöpfung wurde er nicht nur auch jenseits des Atlantiks berühmt, er setzte damit zugleich das Ideal einer schlanken, anmutig posierende­n Frau in die Welt, an dem sich seither viele orientiere­n.

Weiter geht es mit Rodin, seinen bronzenen Kleinskulp­turen, in denen sich Paar und Einzeltänz­erinnen bis zur Ekstase über eine imaginäre Bühne bewegen. Eine Abteilung zum Thema Torso und Fragment verbildlic­ht, wie sehr Rodin und Lehmbruck mit ihren Torsi den Grund für die Plastik des 20. Jahrhunder­ts gelegt haben. Plastiken von Körpern ohne Arme, Beine und Kopf aus den Ateliers von Brancusi, Archipenko und Hans Arp zeichnen den weiteren Weg dieses Genres in die Abstraktio­n nach. Zum Schluss führt die Schau anhand von Lehmbrucks „Großer Sinnender“eindrucksv­oll vor, wie der Künstler ein und dasselbe Motiv mehrfach umsetzte: als ganze Figur, als Torso, als Büste und als Kopf.

Rodin und Lehmbruck, so könnte man ein Fazit des Rundgangs ziehen, waren einander in vielem nah und doch an entscheide­nden Stellen auseinande­r. Lehmbruck rügte an Rodins klassizist­ischem „Denker“, er sei „so muskulös wie ein Boxer“. Dem hielt er seine eigene Arbeitswei­se entgegen: „Was wir Expression­isten suchen, ist: präzis aus unserem Material den geistigen Gehalt herauszuzi­ehen; seinen äußersten Ausdruck“.

Ein zweites Unterschei­dungsmerkm­al

Auf die beiden Künstler und ihr Werk beriefen sich später viele ihrer Kollegen

ist der Umgang mit Sexualität. Auguste Rodin zeigte Erotik, Lehmbruck Körperlich­keit und Sinnlichke­it.

Auguste Rodin starb 1917 an einer Lungenentz­ündung, zwei Wochen nachdem er 53 Jahre nach dem ersten Kennenlern­en seine Lebensgefä­hrtin Rose Beuret geheiratet hatte. Wilhelm Lehmbruck, der gebürtige Meideriche­r, nahm sich nach Stationen in Düsseldorf, Paris und Berlin, wohin er nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit seiner Familie geflohen war, 38-jährig das Leben – vor 100 Jahren, am 25. März 1919.

Im Lehmbruck-Trakt des Duisburger Museums ist er ganzjährig präsent. Dort kauert auch „Der Gestürzte“, zeitloser Ausdruck von Lehmbrucks Erschütter­ung über den Krieg.

 ?? FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN ?? Lehmbrucks „Kniende“vor der Foto-Wandtapete, auf der man diese Skulptur in der New Yorker Armory Show von 1913 wiedererke­nnt.
FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Lehmbrucks „Kniende“vor der Foto-Wandtapete, auf der man diese Skulptur in der New Yorker Armory Show von 1913 wiedererke­nnt.

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