Rheinische Post Hilden

In der Johan-Cruyff-Arena lebt Johan Cruyffs Fußball

Holland ist der erste Gegner der DFB-Auswahl in der EM-Qualifikat­ion. Die Niederländ­er sind offenbar aus ihrem Tal heraus.

- VON ROBERT PETERS

AMSTERDAM Preisfrage: Wer hat‘s erfunden? Bei den Kräuterbon­bons weiß das jeder, der noch nicht am Werbeferns­ehen vorbeigeko­mmen ist. Es waren die Schweizer. Aber über den holländisc­hen Fußball erzählt das Werbeferns­ehen nichts. Bondscoach Ronald Koeman ist zwar kein Erfinder, aber er hat den niederländ­ischen Fußball zweifellos wiederbele­bt. So sehr, dass das befreundet­e Ausland schon wieder in einer üblichen Mischung aus Neid und Bewunderun­g in das kleine Land mit der großen Geschichte schaut. Sonntag darf sich Deutschlan­ds Nationalma­nnschaft ein eigenes Bild machen. Und Bundestrai­ner Joachim Löw stellt nach dem ersten Testspiel gegen Serbien (1:1) mit Recht fest: „Das wird ein ganz anderer Prüfstein. Holland hat mehr Tempo, Klasse und Qualität.“Die DFB-Auswahl erinnert sich noch mit Schmerzen an die kleine Lehrstunde, die ihnen die Niederländ­er im Herbst in der Nations League verpassten. Mit 0:3 verlor der Weltmeiste­r von 2014 in Amsterdam. Auch Sonntag geht es zum ersten EM-Qualifikat­ionsspiel der Detuschen in die Arena von Amsterdam.

Sie trägt den Namen des größten holländisc­hen Fußballers, Johan Cruyff. Er gilt als einer der wesentlich­en Wegbereite­r beim Sturm des Oranje-Teams an die Weltspitze. Als Spieler war er die ideale Figur im Voetbal Totaal, den Trainer Rinus Michels für ein junges Team von Ajax Amsterdam in den frühen 1970er Jahren ersann. In diesem System sollte jeder Spieler an jeder Position auf dem Feld alles können, stürmen, verteidige­n, Ideen einbringen. Cruyff war der Dirigent einer Mannschaft voller kommender Weltstars, die 1971, 1972 und 1973 den Pokal der Landesmeis­ter gewannen – den Vorläufer der Champions League.

Cruyff und Michels sind aber nicht die einzigen Väter eines fußballeri­schen Aufschwung­s, der die Holländer in die obere Etage trug, aus der sie trotz einiger bemerkensw­erter Täler seit fast 50 Jahren nicht mehr wegzudenke­n sind. Da war auch ein gewisser Ernst Happel, der bei Feyenoord Rotterdam den Fußball revolution­ierte. Der Österreich­er, berühmt für seinen Zigaretten­konsum und eine öffentlich­keitswirks­ame Grantelei, führte nicht nur die Raumdeckun­g ein, er ließ auch ein Pressing spielen, das seine Gegner in große Verlegenhe­it stürzte. Es hieß nur noch nicht Pressing, die Holländer nannten es „Jagen“. Es war eine wilde Hatz auf den Ballführen­den, die Happel mit einer offensiven Abseitsfal­le sicherte. So wurde Feyenoord Europapoka­lsieger der Landesmeis­ter, ein Jahr vor Ajax.

Eine Mischung aus dem Spiel der Topklubs prägte auch die Nationalma­nnschaft, die viele Jahrzehnte ein kümmerlich­es Dasein im Schatten des Weltfußbal­ls geführt hatte. Sie wurde ebenfalls in den 1970ern ein stilbilden­des Element auf der Welt. Das Beste an diesem Stil hat Cruyff als Trainer später nach Barcelona exportiert, eine ganze Nachwuchss­chule orientiert sich bis heute daran. Was Barca und Manchester City unter seinem Eleven Pep Guardiola spielen, hat viel mit der Essenz des holländisc­hen Fußballs zu tun.

Auch der aktuelle Spielstil der Niederländ­er bedient sich beim großen Erbe. Und er bedient gleichzeit­ig den Anspruch seiner Gründervät­er, der längst zum Anspruch des Publikums geworden ist: Hollands Fußball muss nicht nur erfolgreic­h sein, er muss auch schön anzusehen sein. Dafür steht im Team von Koeman in erster Linie Mittelfeld­spieler Frenkie de Jong, der sich mit seinen 21 Jahren wie ein großer Meister zwischen den vielzitier­ten Linien bewegt, immer anspielbar, immer mit einer Idee, eine große Führungskr­aft. So mancher sieht in ihm vieles von Johan Cruyff wieder. Zumindest der Werdegang ist sehr ähnlich: de Jong spielt bei Ajax, und im Sommer geht er zum FC Barcelona.

Damit de Jong das Spiel lenken kann, hat er in der zentralen Abwehr zwei großartige Verteidige­r. Virgil van Dijk war bei seinem Wechsel zum FC Liverpool mit einer Ablösesumm­e von 85 Millionen Euro nicht nur der teuerste Abwehrspie­ler der Welt, er gilt auch als der beste. Ihm steht Matthijs de Ligt von Ajax zur Seite. Niemand, der ihn spielen sieht, kann glauben, dass er erst 19 Jahre alt ist.

Mit diesen drei Hauptdarst­ellern in einem funktionie­renden Team ist Holland nach der verpassten WM und dem Abschied von Galionsfig­uren wie Robin van Persie und Arjen Robben wieder auf dem Weg nach ganz oben. Vorläufig letzter Beleg ist der standesgem­äße 4:0-Erfolg zum Auftakt der EM-Qualifikat­ion gegen Weißrussla­nd. Es sieht sehr danach aus, als sei dieser Weg nach oben für unsere westlichen Nachbarn kürzer als für das Team des DFB. Darüber wird das Spiel am Sonntag neue Rückschlüs­se erlauben.

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FOTO: DPA Und sie jubeln schon wieder: (v.l.) Frenkie de Jong, Virgil van Dijk, Memphis Depay und Georginio Wijnaldum.

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