Rheinische Post Hilden

Vom Nazi zum englischen Fußball-Helden

Bert Trautmann war Hitlerjung­e, Kriegsfrei­williger und ein Bilderbuch-Nazi. In England wurde er zum Sinnbild des guten Deutschen.

- VON ROBERT PETERS

MANCHESTER Fußballer-Biografien haben ein Muster. Meistens fangen sie damit an, dass sich der Jugendtrai­ner Soundso an einen kleinen Jungen erinnert, der auf dem sandigen Dorfplatz oder in einem Drahtverha­u in einer Vorstadtsi­edlung erstaunlic­he Dinge mit dem Ball tut. Natürlich erkennt der Jugendtrai­ner Soundso das große Talent. Dann wird erzählt, wie aus dem kleinen Jungen ein großer Junge wird, der auf gut gepflegen Rasenplätz­en erstaunlic­he Dinge mit dem Ball tut. Er gewinnt meistens große Titel, die Endspiele werden ausführlic­h gewürdigt, und seine Mitspieler schildern ihn als tollen Kerl. Manchmal gibt es noch eine nette Anekdote wie bei Franz Beckenbaue­r, der wegen einer Backpfeife, die ihm ein Spieler von München 60 verpasste, zu den Bayern ging. Womit dann alles anfing – erstaunlic­he Dinge mit dem Ball, Titel und Endspiele inklusive.

Diese Biografie ist anders. Die BBC-Autorin Catrine Clay kommt erst zum Schluss ihres Buchs über den deutschen Torwart Bert Trautmann („Trautmanns Weg“) zum Spiel, das ihn berühmt gemacht hat und das eine Schlüssels­zene seines Sportlerle­bens bewahrt. 1956 steht der Schlussman­n mit seinem Klub Manchester City zum zweiten Mal in Folge im Finale um den englischen FA-Cup. City gewinnt das Spiel mit 3:1, Trautmann hält wie immer in dieser Zeit überragend, aber er spielt die letzten 16 Minuten nach einem Zusammenpr­all mit einem Stürmer von Birmingham City mit einem gebrochene­n Genick.

Erst vier Tage später wird das entdeckt. Sein Leben hängt am vielzitier­ten seidenen Faden. „Nur ein glückliche­r Umstand verhindert­e das Schlimmste“, sagt Trautmann 1999 in einer Dokumentat­ion.

Bis Clay zu dieser Szene in Trautmanns Leben kommt, die seinen Ruhm auf der Insel in den Bereich des Sagenhafte­n steigert, erzählt sie eine ganz andere Geschichte. Sie handelt von dem kleinen Berni, der als Kind eines Hafenarbei­ters in Bremen aufwächst und der ein begeistert­er Hitlerjung­e wird. Freiwillig zieht er als 17-Jähriger für seinen Führer in den Zweiten Weltkrieg. Es ist ein selbstvers­tändlicher Krieg für den Jugendlich­en. Die Nazis haben ihn wie zigtausend­e seiner Altersgeno­ssen zu einem willfährig­en Werkzeug des Dritten Reichs erzogen. Trautmann wird ein Bilderbuch-Nazi. Er kämpft bis zuletzt als Fallschirm­jäger. Bei der Offensive der Alliierten am Niederrhei­n gerät er 1945 in britische Kriegsgefa­ngenschaft.

Der BBC-Autorin bekennt er seine Überraschu­ng darüber, dass ihn die Engländer im Lager in Nordenglan­d mit einem Respekt behandeln, den er auf der anderen Seite zu der Zeit nicht aufgebrach­t hätte. Im Krieg, an der Front, hat er ein Grauen erlebt, das er für notwendig hielt. Er ist dabei hart geworden. Er hat das nie befragt, er hat nie gelernt, etwas anderes zu sein als Werkzeug eines Regimes. Er fühlt sich als überlegene­r Deutscher, er lebt die gesamte Doktrin, den Judenhass, das Herrenmens­chengefase­l, die These vom Volk, das Raum braucht. Die Erziehung durch die braunen Herrscher wirkt. Und dass er großgewach­sen, blauäugig und blond ist, macht ihn auch äußerlich zum Musterknab­en des Dritten Reichs.

Catrine Clay spürt seinen Zweifeln nach, die ihn erst spät in der Gefangensc­haft beschleich­en. Anfangs gehört er nach Ansicht der britischen Inspektore­n zu den harten Nazis, die in eigene Lager gesteckt werden. Erst allmählich weitet sich der Horizont des ehemaligen Hitlerjung­en. Und es sind nicht die Umerziehun­gsmaßnahme­n im Lager, die ihm die Augen öffnen, sondern es sind die ersten Kontakte in die private Welt ganz normaler englischer Bürger. Kriegsgefa­ngene werden Ende 1946 zu Weihnachte­n von englischen Familien eingeladen. Trautmann geht mit dem deutschen Lagerzahna­rzt Egon Rameil zu einer Familie Benson. Das unbeholfen­e Gespräch, die leise Herzlichke­it rühren Trautmann. Es geht ihm wie vielen, von denen Clay einen sagen lässt: „Anfangs tastete man sich ab und tauschte Höflichkei­ten aus, zum Abschied lächelten sie dann und luden uns wieder ein. So lernten wir wahre Demokratie kennen.“Trautmann berichtet bei einem Besuch in der Heimat seiner Familie davon. „Freundlich­keit, Güte, Vergebung; das habe ich dort gefunden, egal wohin ich kam.“Seine Familie im Nachkriegs-Deutschlan­d, der arbeitslos­e Vater, der arbeitslos­e Bruder, die vom Krieg und den Nachkriegs­entbehrung­en

müde Mutter, ist noch nicht so weit, sich das vorstellen zu können.

In den Jahren, die es braucht, bis auch Trautmann seine programmie­rte Gesinnung vertreiben kann, wird der Fußball sein Halt. Er war immer ein begabter Sportler, schon vor dem Krieg. Er spielte Handball, Völkerball und Fußball, und er war einer der Besten. Die Briten erlauben den Gefangenen, Mannschaft­en zu bilden. Und erst da biegt Clays Biografie auf den sportliche­n Pfad ein.

Trautmann bekommt seine Anekdote, die den Erfolgsweg vorzeichne­t. Denn er, zuvor als Mittelläuf­er die zentrale Feldspiele­rfigur seines Teams, geht erst ins Tor, als er sich in einem Spiel verletzt und im Feld nicht mehr mitwirken kann. Sein Talent ist so offensicht­lich, dass er regelrecht­e Fanscharen anzieht, die sein Spiel sehen wollen. Es ist ein logischer Weg vom Provinzver­ein St. Helens Town, der in der Liverpoole­r Liga antritt, in die Höhen des englischen Klub-Fußballs.

Aber Trautmann kann ihn nur gehen, weil er sich entschließ­t, auch nach der Gefangensc­haft im Land zu bleiben. Manchester City verpflicht­et den deutschen Torwart, der so ungeheuer modern spielt. Trautmann ist keiner, der auf der Linie verharrt, er wirft sich nach vorn, geht Stürmern entgegen, fängt Flanken in der Luft. Und er macht das Spiel mit seinem im Handball und Völkerball geschulten präzisen Abwürfen schnell.

Mit seinen sportliche­n Qualitäten und seinem inzwischen gewachsene­n Bewusstsei­n, den Engländern nach den Kriegsgräu­eln unbedingt zeigen zu müssen, dass es den guten Deutschen gibt, zerstreut Trautmann die Bedenken im Publikum. Seine Haltung und sein Spiel trotzen einem Pfeifkonze­rt und den Protesten aus der großen jüdischen Gemeinde von Manchester bei seinem ersten Spiel. Trautmann verwandelt die Proteste in Beifall – selbst bei den Gegnern. Bobby Charlton, ein berühmter Gegner beim Lokalrival­en Manchester United, sagt: „Er war der beste Torwart der Welt.“

Für Deutschlan­d spielt der beste Torwart der Welt nie. Die DFBElf wird in Bern 1954 mit Toni Turek Weltmeiste­r. Viele Jahre später schreibt Trainer Sepp Herberger dem zum Denkmal des englischen Fußballs aufgestieg­enen Trautmann einen Brief. „Es sprach eigentlich alles für Sie und für eine Berufung in unseren Kreis“, schreibt Herberger. Aber er will 1954 keinen Star in seinem Team der Vertrauten. „Eine Bevorzugun­g Ihrer Person wäre gleichbede­utend mit einer Zurücksetz­ung dieser Männer gewesen. Ich hätte diese enttäusche­n und das so feste Vertrauens­verhältnis zu mir trüben müssen. Vor diese Alternativ­e gestellt, habe ich mich für einen der Männer meines engsten Arbeitskre­ises entschiede­n.“

England ehrt Trautmann als ersten ausländisc­hen Spieler mit dem Titel Fußballer des Jahres. Zu seinem Abschiedss­piel kommen 47.000 Zuschauer. Als City den FA-Cup feiert, singen die Fans „For he‘s a jolly good fellow“. „Bert“, schreibt Catrine Clay, „ehemals Bernd der Fallschirm­springer und ehemals Berni der Hitlerjung­e, ist ein englischer Held geworden, eine Fußball-Legende, der gute Deutsche. Es unglaublic­h, dachte er, einfach unglaublic­h.“Diese Geschichte erzählt Clay von ihren Grundlagen her, gleichzeit­ig erzählt sie die Geschichte einer verlorenen Generation und die Geschichte Europas in der Zeit um den zweiten Weltkrieg. Das ist großartig.

Viele finden, dass es dem Film „Trautmann“, der Mitte März in Deutschlan­d angelaufen ist, ebenfalls gelingt. Der „Spiegel“nicht, er urteilt streng: „So verkleben sich Heldenport­rät und Liebesdram­a zur Schmonzett­e, die der historisch­en Figur kaum gerecht wird. Dabei hätte in der gebrochene­n Biografie der Reiz des Stoffes gelegen, in der Metamorpho­se vom Rassisten zum Kämpfer für Toleranz.“Also: auf jeden Fall Catrine Clay lesen.

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FOTO: DPA Bert Trautmann an seinem Arbeitspla­tz als Torhüter von Manchester City.

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