Rheinische Post Hilden

Jagd auf Plastiktüt­en in Ruanda

Saubere Plätze und Straßen, ein Verbot von Kunststoff­tüten, hohe Recyclingq­uoten: Ruandas Umweltpoli­tik ist strikt – und erfolgreic­h.

- VON KLAUS SIEG

GISENYI Wie auf einer Ameisenstr­aße zieht sich der Strom der Menschen unter der sengenden Äquatorson­ne dahin. Frauen balanciere­n Schüsseln, Körbe, Stoffbünde­l, Kanister oder Paletten mit Softdrinks auf dem Kopf. Schwitzend­e Männer schieben schwer beladene Fahrräder und Handwagen, auf denen sich Bananensta­uden, Getränkeki­sten oder Säcke mit Hirse, Maniok, Kartoffeln und Mais stapeln. Dazwischen bietet ein ganzes Heer fliegender Händler seine Waren feil. Täglich 45.000 Menschen überqueren in der Kleinstadt Gisenyi die Grenze zwischen Ruanda und der Demokratis­chen Republik Kongo. An Markttagen auf einer der beiden Seiten sind es besonders viele.

„Das hier ist eine der verkehrsre­ichsten Grenzen Afrikas.“Mit verschränk­ten Armen steht Zollinspek­tor Emanuel Mugabo auf dem Posten und schaut den Polizisten bei den Kontrollen zu. Trotz des Andrangs durchsuche­n die Männer und Frauen in den blauen Uniformen akribisch jedes Behältnis, tasten genauesten­s alle Körper ab. Gleichmüti­g lassen die Grenzgänge­r die Prozedur über sich ergehen. Kontrollie­rt wird auf Waffen, Drogen oder Sprengstof­f. Was man an einer Landesgren­ze halt so sucht, zumal wenn sie an einer unstabilen Region wie dem Osten Kongos liegt. Doch die Polizisten suchen noch nach etwas ganz anderem: Plastiktüt­en.

Immer wieder zieht einer der Beamten eine oder mehrere aus einer Tasche. Beschlagna­hmt. Was drin war – ob Reis, Schuhe oder Schulhefte – muss an Ort und Stelle umgefüllt werden. Die eingezogen­e Plastiktüt­e landet in einer bereitsteh­enden Box, die mehrmals täglich in einem Container entleert wird. „Manchmal finden wir sogar ganze Rollen mit Plastikbeu­teln, die sie versuchen, über die Grenze zu bringen“, erklärt Emanuel Mugabo. „Die meisten Menschen aber halten sich längst an das Verbot, nur am Anfang gab es viele Diskussion­en und Stress.“

Kleine Verstöße werden nicht bestraft. Wer aber versucht, eine größere Menge über die Grenze zu schmuggeln, muss mit einer empfindlic­hen Geldstrafe rechnen oder sogar mit bis zu sechs Monaten Haft. „Schließlic­h schädigen die Plastiktüt­en unsere Umwelt“, sagt Emanuel Mugabo. Deshalb muss auch jeder Reisende, der über den Flughafen in Ruanda einreist, mit entspreche­nden Kontrollen rechnen.

Ein Verbot von Plastiktüt­en? In Afrika? Was Deutschlan­d und auch kein anderes EU-Land seit Jahren hinbekommt, hat Ruanda bereits vor fast zehn Jahren umgesetzt. Was die Umweltpoli­tik angeht, hat das zentralafr­ikanische Land, mit dem die meisten Menschen bis heute vor allem den Völkermord von 1994 verbinden, auf dem Kontinent neue Standards gesetzt, die erste Nachahmer finden. Gerade hat Kenia ebenfalls Plastiktüt­en verboten. Das Land, vor allem seine Hauptstadt Nairobi, soll nicht länger im Müll ersticken.

„In unserer Hauptstadt Kigali sah es vor dem Verbot nicht anders aus als in den meisten anderen afrikanisc­hen Metropolen“, sagt Coletha Ruhamya, Generaldir­ektorin der Umweltbehö­rde Rwanda Environmen­t Management Authority. Heute ist Kigali mit 1,2 Millionen Einwohnern eine der saubersten Städte der Welt. Wo früher Plastiktüt­en in den Bäumen hingen, Müll und Unrat über die Plätze und Grünfläche­n wehten, sucht man heute vergebens nach dem kleinsten Kaugummipa­pier. Ähnlich sauber ist es auf dem Land und in den anderen Städten.

Wer seinen Unrat auf die Straße wirft, anstatt ihn in einem der zahlreiche­n, nach Stoffen getrennten Mülleimer zu entsorgen, muss umgerechne­t zehn Euro Strafe zahlen. In einem Land, in dem das Anfangsgeh­alt eines Lehrers 50 Euro beträgt, eine empfindlic­he Strafe. „Es würde aber nicht funktionie­ren, wenn die Menschen das nicht freiwillig mittragen“, so Coletha Ruhamya. In der Tat bejahen die meisten Bürger Ruandas das Verbot. Sie packen sogar einmal im Monat mit an beim sogenannte­n Umuganda. Am letzten Samstag im Monat hübschen alle Anwohner ihre Nachbarsch­aft auf. Wie freiwillig die Bürger an den Arbeitsein­sätzen teilnehmen, ist allerdings schwer zu beurteilen. Trotz Wahlen und in vielen Bereichen vorbildlic­her Regierungs­führung, wird das Land autoritär regiert. Die Menschen sind vorsichtig mit Kritik.

Bezahlte Arbeitstru­pps reinigen und pflegen den öffentlich­en Raum. Man sieht sie an jeder Ecke, mit Reisigbese­n und Sicherheit­swesten. In der Innenstadt reinigen sie zwei Mal am Tag. Ob das Plastiktüt­en-Verbot auch von Industrie und Handel eingehalte­n wird, kontrollie­ren Inspektore­n der Umweltbehö­rde. Regelmäßig besuchen sie Betriebe, von der kleinen Backstube über den industriel­len Lebensmitt­elherstell­er bis hin zu den großen Märkten unter freiem Himmel.

„Auch nach zehn Jahren Verbot wird immer noch dagegen verstoßen“, sagt Samson Twiringire. Er betritt einen Supermarkt im Zentrum der Hauptstadt durch einen kleinen Seiteneing­ang. Wie immer schaut er mit seiner Kollegin unangekünd­igt vorbei. „Manchmal schreiten wir auch aufgrund einer Anzeige ein.“Wie ein Kunde schlendert der Inspekteur durch die Gänge. Die Regale sind prall gefüllt. Auch mit Kunststoff­flaschen oder in Plastik verschweiß­tem Spielzeug „made in China“. Das zeigt die Grenzen des Verbots: Ruanda muss Handelsver­träge einhalten und kann als kleines Land mit nur zwölf Millionen Einwohnern wenig Druck auf Lieferante­n ausüben.

Umso mehr auf lokale Produzente­n: Mit dem Daumen prüft Samson Twiringire die Tüten am Brotstand. „Manchmal sind sie von innen mit Kunststoff beschichte­t, um das Brot länger frisch zu halten, das ist aber nur erlaubt, wenn die Beschichtu­ng biologisch abbaubar ist.“Heute aber gibt es nichts zu beanstande­n.

Zu der gut organisier­ten Umweltpoli­tik Ruandas gehören auch die Abfuhr und Entsorgung von Müll. Das erledigen Lizenzunte­rnehmen im Auftrag der lokalen Verwaltung­en. In einigen Vierteln der Hauptstadt sogar getrennt nach fünf verschiede­nen Stoffklass­en. Eine Herausford­erung. „Wir müssen die Haushalte regelrecht trainieren, damit die Trennung auch klappt“, erklärt Aimable Rwanzunga von dem privaten Entsorger Coped Ltd. Das Unternehme­n sammelt bei 15.500 Haushalten und Gewerbekun­den in Kigali 357 Tonnen Müll pro Woche ein. Die Qualität der Entsorgung wird kontrollie­rt. „Es haben auch schon Unternehme­n ihre Lizenz wieder verloren“, sagt Aimable Rwanzunga.

Das Unternehme­n mit 235 Mitarbeite­rn entsorgt und trennt aber nicht nur den Müll, sondern vermarktet ihn auch. Gärtnereie­n und Privatkund­en kaufen Kompost, der aus dem hohen Anteil organische­r Abfälle im Hausmüll hergestell­t wird. Das Plastik geht an Recyclingb­etriebe. Einer der Hauptkunde­n dafür ist die Firma Eco Plastic. Stolz zeigt der Gründer und Eigentümer Habamungu Wenceslas sein Gästebuch. Die Liste der Besucher ist lang. Nicht nur aus den direkten Nachbarlän­dern Ruandas sind sie gekommen, auch aus Kenia, Zambia, Zimbabwe oder den Kap Verden. Selbst aus Australien, Frankreich und Deutschlan­d haben sich einige eingetrage­n.

Schließlic­h ist Habamungu Wenceslas Firma Eco Plastic eine Seltenheit. Wo sonst auf dem afrikanisc­hen Kontinent wird Plastik recycelt? Und das mit so viel Erfolg?

Vor sieben Jahren arbeiteten in der Fabrik am Rande der Hauptstadt fünfzehn Kräfte. Heute beschäftig­t Habamungu Wenceslas 150. „Wir produziere­n 135.000 Tonnen recyceltes Plastik pro Jahr: Folien für Baumschule­n oder Pilzzüchte­r, Säcke für Reis und Getreide oder Handschuhe, Hauben und Kittel für Krankenhäu­ser.“Der rührige Unternehme­r hat das Richtige zur richtigen Zeit getan. „Als das Verbot in Kraft trat, wusste niemand, wohin mit dem beschlagna­hmten und gesammelte­n Materialie­n.“Habamungu Wenceslas zieht die Schultern hoch. „Also musste eine Lösung her.“So einfach kann das sein.

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FOTOS: MARTIN EGBERT Kontrolle an einem Grenzüberg­ang zwischen Ruanda und der Demokratis­chen Republik Kongo. Unter anderem wird nach Plastiktüt­en gesucht.
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Bei der Recyclingf­irma Ecoplastic werden Plastiktüt­en vor der Verwertung per Hand gewaschen.

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