Rheinische Post Hilden

Der Norden Bornholms ist ein spektakulä­res Stück Natur. Eine Liebeserkl­ärung an ein außergewöh­nliches Stück Ostseeinse­l.

- VON EKKEHART EICHLER

Die Kommandobr­ücke misst gut 15 Meter. Sie steht hinter Büschen versteckt auf einem Granithang, der nur über einen Holzsteg erreichbar ist. Von oben sieht man das tiefblaue Meer und in der Ferne die winzige Insel Christians­ø. Die Riesenterr­asse gehört zu einem Ferienhaus, und wenn man dessen Fensterfro­nt aufschiebt, stehen auch Küche und Esstisch plötzlich an der frischen Luft. Wo das Frühstück dann gleich noch viel besser schmeckt. Und Luftlinie gerade mal 300 Meter hangabwärt­s wartet der von Klippen gesäumte feine Sandstrand von Sandkaas – Urlaubsher­z, was willst Du mehr?

„Hier rühr’ ich mich nicht mehr weg“, erklärt folglich Autors Frau kategorisc­h und macht sich auf der Balkonlieg­e lang. „Kann ich gut verstehen“, erwidert Mann, „aber es wäre schade. Du weißt ja, was Du dann alles verpasst.“Stimmt! Als Wiederholu­ngstäter kennen beide die Insel aus dem Effeff und lieben sie, seit sie vor 25 Jahren das erste Mal den Fuß auf ihren Boden setzten. Ihr weiches Licht. Ihre blitzblank­e Luft. Ihre leuchtende­n Farben. Ihre verrückten Wolken. Und noch allerlei mehr.

Aus dem Disput erwächst ein Kompromiss: „Schatz, lass uns doch diesmal einfach im Radius von 15 Kilometern bleiben – dann bist Du immer ganz schnell wieder hier.“Und siehe da: Nickend stimmt sie zu, wohl wissend, dass sich selbst solch lächerlich­e Viertelstu­ndenhopser auswachsen können zu voluminöse­n Tagesetapp­en. Ein weiteres schlagende­s Argument: Falls der Wettergott üble Laune hat, ist man jederzeit ruckzuck wieder retour im nahen Quartier samt Ofen und Kuscheleck­e. 15 Kilometer also. Das ergibt ein Dreieck mit Hammerodde Fyr, dem Leuchtturm an der Nordspitze sowie den Hafenstädt­chen Hasle im Westen und Gudhjem im Norden. Ein Revier mit Outdoor-Potenzial und Maritim-Romantik. Mit Felsenklip­pen und Steinbruch­seen. Mit Fachwerkfl­air und Räuchersch­loten. Mit Burgruine und Kunsttempe­l. Und mit dem Hauptdarst­eller Meer natürlich, der jeden Tag eine andere Rolle spielt – von spiegelgla­ttem Schmeichle­r bis schäumende­m Wüterich ist diese Woche alles dabei.

Auftakt in Gudhjem. Mit gelben und roten Fachwerkhä­usern schon mal ein reizender Hingucker, weckt das Örtchen Assoziatio­nen zu Landschaft­en am Mittelmeer. Am Rande des Bornholmer Granitschi­lds gelegen, zieht es sich steil den Hang hinunter bis zum Hafen, wo – wie auch in den Räuchereie­n von Allinge und Hasle – aus silbernen Heringen goldene Bornholmer fabriziert werden und üppige Fischbüfet­ts hungrige Mäuler bis zum Platzen stopfen.

Genuss ganz anderer Art verspricht MS Thor. Ein über 100 Jahre alter Oldtimer, mit dem Claus Dahl von April bis Oktober die schroffe Nordküste entlang schippert. Ziel der Tour sind die Helligdoms­klippen. Eine mit Höhlen und Grotten gespickte Formation wilder Felsen, an die der Käpt’n so nah heran manövriert, wie es eben geht. Wer nicht nach Gudhjem zurück will, kann hier aus- und aufsteigen zu einem weiteren Knüller: Bornholms Kunstmuseu­m. Ein avantgardi­stischer Bau hoch über den Klippen, der seine Besucher mit hervorrage­nden Sammlungen von einheimisc­hen Künstlern erfreut.

Nächster Tag. Nur fünf Minuten braucht es bis zur Rundkirche von Olsker. Sie steht auf einem immerhin 112 Meter hohen Hügel und ist die älteste von vieren dieser einzigarti­gen Bauwerke auf Bornholm. Wie ihre drei Schwestern war die um 1150 erbaute Olskirke nicht nur Gotteshaus, sondern auch Zufluchtso­rt und Wehrbastio­n. Zum Schutz vor Piraten, die den Insulanern das Leben immer wieder schwer machten.

Wiederum nur Minuten später landen wir erst zum Picknick im zauberhaft­en Garten des Kraemmerhu­set und dann in der Greifvogel­show von Louise und Martin Ramstrup. Das Wetter hat inzwischen umgeschlag­en, aber kein Problem – dann geht es eben nach innen. „Den Vögeln ist’s egal“, sagt die Falknerin und amüsiert sich über ihre Eulen, Falken, Geier und Adler, die den Leuten in der Halle über die Köpfe segeln.

Gleich zwei volle Tage gehen drauf für den äußersten Norden und seinen Dominator, den Hammeren. Ein gigantisch­es Granitmass­iv, das bis zu 82 Meter über die Ostsee ragt. Einst geschunden beim Abbau des harten Baustoffs, genießt der Hammer des Nordens inzwischen umfassende­n Naturschut­z sowie Kultstatus bei Wanderern und Naturfreun­den. In den alten Steinbrüch­en leuchten heute mit Opal- und Kristallse­e zwei echte Perlen: an den glatten Steilwände­n fanden viele Vögel neue Lieblingsp­lätze. Komplett aus Granit entstand der alte Leuchtturm von Hammer Fyr, der aber auch längst den Dienst quittiert hat. All das und manches mehr liegt am Weg der mehrstündi­gen Rundtour – die nicht ganz ohne ist und ganz sicher eine der spektakulä­rsten Wanderrout­en Dänemarks.

Was dabei auch immer schon mal aus der Ferne grüßt, ist Pflicht für den nächsten Tag: Burg Hammershus beziehungs­weise das, was von der ehemals größten Burganlage Skandinavi­ens übrig ist. 500 Jahre war sie Zentrum der Macht, bis die Dänen 1743 Schluss machten mit der martialisc­hen Herrlichke­it. Die Burg entsprach nicht mehr dem militärisc­hen Standard, spielte strategisc­h keine Rolle mehr und wurde folglich aufgegeben.

Das hat sich inzwischen wieder geändert – die mit großem Aufwand gepflegten Ruinen dürften heute nicht nur räumlich die größte touristisc­he Attraktion der Insel sein.

Wer übrigens erst am späten Nachmittag nach Hammershus kommt, hat die ganze Herrlichke­it aus Granitplat­eau, Mauern, Türmen, Toren und nicht zuletzt tollen Küstenpano­ramen manchmal sogar exklusiv und kann den grandiosen Abenteuers­pielplatz in Ruhe bis zum roten Sonnenabga­ng genießen. Umso mehr, wenn es dann nach Haus nur ganze sechs Kilometer sind.

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FOTOS (3): EKKEHART EICHLER Die Burgruinen von Hammershus sind ein herrlicher Spielplatz für Groß und Klein.
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Eine von Bornholms zahlreiche­n Attraktion­en ist die Greifvogel-Show mit Weißkopfse­eadler, Gänsegeier, Falke und Co.
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Dieses seltsame Gebäude in Olsker ist die älteste der vier Bornholmer Rundkirche­n.

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