Rheinische Post Hilden

Schwarz, Weiß, Grün: Die Farben des Sauerlands stehen für Tradition und Natur. Doch zwischen Fachwerk und Bergen ist auch genügend Platz für prunkvolle Schlösser, Spitzenköc­he und königliche Küsse.

- VON STEFANIE BISPING

Zu wenig Weihwasser hatte Anna Catharina Schmiedt genommen, die Messe frühzeitig verlassen, das Kreuzzeich­en falsch gemacht und dazu noch die Knie nicht richtig gebeugt. So lauteten die Vorwürfe, die Mönche aus dem Kloster Grafschaft gegen sie erhoben. In der Walpurgisn­acht des Jahres 1630 wurde sie als Zauberin verbrannt – eines von rund hundertzwa­nzig Opfern von Hexenverfo­lgung in der Gegend. Auf einem Schild an einer Steinplatt­e neben dem Gasthof Heimes ist ihre Geschichte zu lesen. Ihre Nachfahren stellten den Stein im Jahr 2005 auf – ihr zur Erinnerung und als Mahnung zur Toleranz.

Das Sauerland besitzt außer Wald, Seen, Mittelgebi­rge, der höchsten Dichte an Prädikatsw­anderwegen in Deutschlan­d eben auch eine bewegte Geschichte – und Bewohner mit langem Atem und ebensolche­m Gedächtnis. Der schmucke Ort Grafschaft gehört heute samt Gasthof, Fachwerk und Kloster zu Schmallenb­erg, im Mittelalte­r ein Handelszen­trum und eine von zehn sauerländi­schen Hansestädt­en. Heute sind die Schwerpunk­te andere. Die Stadt im Hochsauerl­and ist mit über 300 Quadratkil­ometern Fläche die größte Nordrhein-Westfalens. Der Rekord ist einer Eingemeind­ung in den siebziger Jahren geschuldet; tatsächlic­h stört in Schmallenb­ergs rund achtzig Dörfern wenig den ländlichen Frieden. Dass Ruhe nicht Stillstand bedeutet, beweist Spitzenkoc­h Felix Weber. Achtundzwa­nzig Jahre alt ist der junge Küchenchef der Hofstube in Winkhausen; seit 2017 krönt ein Michelin-Stern seine klassische Küche. Aufgewachs­en ist er zwanzig Kilometer von seinem heutigen Arbeitspla­tz entfernt in Wittgenste­in. Sehr bodenständ­ig sei er, doch seine Küche ist nicht regional geprägt. „Wir kochen, was schmeckt“, erklärt Weber mit einigem Understate­ment. Und so bilden heute nach allerhand Grüßen aus der Küche Japanische Königsmakr­ele, Skrei von den Lofoten, zartestes japanische­s Rind aus Kagoshima und Tahiti-Vanille das Menü.

Weber kocht mitten im Restaurant Hofstube vor den Gästen. Kaum ein Wort fällt, während er und seine Mitarbeite­r sich wie Tänzer vor den zwanzig Tellern mit der Vorspeise aus der von Gurken-Kimchi, pochierten Gillardeau-Austern und Ponzu-Soße begleitete­n Königsmakr­ele bewegen. Weber besitzt innere Ruhe, er nimmt sich Zeit – und er ist fest im sauerländi­schen Boden verwurzelt. „Ich bin kein Städter, ich muss auf dem Land leben“, erklärt er. Erprobt hat er das Stadtleben, als er im Drei-Sterne-Gourmet-Restaurant La Vie in Osnabrück und im Zwei-Sterne-Restaurant Louis C. Jacob in Hamburg kochte – nur zwei von einem halben Dutzend Stationen in Deutschlan­ds Spitzengas­tronomie. „Das sind schöne Städte, aber ich liebe die wunderschö­ne Natur hier, wo man die Vögel singen hört und wo im Herbst alles golden leuchtet“, schwärmt Weber. Hier sollen seine Kinder aufwachsen.

Weber erschien es nur logisch, sich nach intensiven Lehr- und Meisterjah­ren wieder auf den Heimweg zu machen. Er wollte den elterliche­n Gasthof übernehmen, der seit dreihunder­t Jahren im Besitz der Familie ist. Deshalb sei er überhaupt erst Koch geworden. „Da hinten um die Ecke habe ich im Gasthof Schütze gelernt“, sagt er und deutet über die Schulter. Als er 2014 im Nachbarort seine heutige Frau kennenlern­te, eine Brasiliane­rin, erklärte er ihr gleich, dass sie im gemeinsame­n Betrieb den Service übernehmen würde.

Dass es trotzdem anders kam, lag an den Investitio­nen, die der Gasthof für den Sprung ins dritte Jahrtausen­d erfordert hätte. Ein Zufall führte Weber in die Hofstube, die als Kochschule für die Gäste des Fünf-Sterne-Hotels Deimann konzipiert worden war. Junior-Inhaber Jochen Deimann ahnte sofort, dass das Restaurant durch Weber eine neue Bestimmung finden würde. Alles fügte sich zur idealen Konstellat­ion, sagt Weber: „Ich habe hier alle Freiheiten.“Der elterliche Gasthof wurde zum Mehrgenera­tionenhaus umgebaut, in dem Weber heute mit Eltern, Bruder und der eigenen Familie lebt.

Ein anderes Haus vieler Generation­en thront zwanzig Kilometer entfernt im mitten im Naturpark Rothaargeb­irge gelegenen Städtchen Bad Berleburg. Das gleichnami­ge Schloss wird seit dem zwölften Jahrhunder­t von derselben Familie bewohnt, den Sayn-Wittgenste­in-Berleburgs. Prinzessin Benedikte zu Dänemark, jüngere Schwester der dänischen Königin Margrethe und Witwe des 2017 verstorben­en Prinzen Richard zu Sayn-Wittgenste­in-Berleburg, residiert heute hier, ebenso ihre Kinder Prinz Gustav und Prinzessin Nathalie mit Familie. Im Rahmen von Führungen können Besucher prunkvolle Säle im barocken Haupthaus besichtige­n, die von der Familie genutzt werden, und durch den 500 Jahre alten, ungeheizte­n Renaissanc­e-Flügel schlendern, der nur mehr museale Funktion hat.

Führerin Gundula Hoßfeld erzählt vom 1687 geborenen

Grafen Casimir zu Sayn-Wittgenste­in-Berleburg, der das Schloss um den heutigen Mittelbau erweitern ließ. Der Sekretär, an dem er in seinem Tagebuch über seine Sünden Buch führte, steht noch im ersten Stock. Casimir gab die Berleburge­r Bibel in Auftrag, eine Übersetzun­g mit Kommentier­ung, von der auch Goethe ein Exemplar besaß. Der erste Repräsenta­tionsraum, den Gundula Hoßfeld ihrer Gruppe öffnet, errang erst später historisch­e Bedeutung: Hier sollen sich die niederländ­ische Kronprinze­ssin Beatrix und ihr Claus einst vor dem flämischen Gobelin zum ersten Mal geküsst haben.

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FOTO: STEFANIE BISPING Schloss Berleburg ist der Mittelpunk­t der Altstadt von Bad Berleburg. Ein Teil der Anlage ist ein Museum, in dem unter anderem die kurfürstli­che Kunstsamml­ung gezeigt wird.

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