Rheinische Post Hilden

Studieren – oder lieber doch nicht?

Möchte ich an die Uni? Diese Frage sollten sich Abiturient­en jetzt beantworte­n. Noch gibt es gute Ausbildung­splätze.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

DÜSSELDORF Die Zahlen der Abiturient­en steigen jedes Jahr. Rund 80.000 Schüler legen in NRW die Abiprüfung­en ab. Und die meisten von ihnen strömen anschließe­nd an die Hochschule­n. Dagegen klagen Handel und Handwerk über fehlende Fachkräfte und zu wenig Azubis. „Und genau deshalb sollten Abiturient­en sich jetzt überlegen, ob sie wirklich studieren wollen“, sagt Karin Wilcke, Studienber­aterin aus Düsseldorf.

Dass das eine unliebsame Entscheidu­ng sei, gerade jetzt, wo es mit dem Lernen für die Prüfungen so richtig los gehe, sieht die Expertin durchaus. „Aber eine Ausbildung hat auch viele Vorteile – und die Unternehme­n wollen die Verträge Karin Wilcke Studienber­aterin

jetzt festmachen. Das Ausbildung­sjahr startet schließlic­h schon im August oder September.“Gerade wer kein außerorden­tlich gutes Abitur mache, sei mit einer Ausbildung oft besser beraten. „Das Studium läuft ja nicht weg. Und mit der Wartezeit habe ich nach der Lehre eine weitaus größere Auswahl an Fächern. Will ich jetzt mit einer Drei vor dem Komma studieren, muss ich nehmen, was übrig ist.“

Wichtig sei, sich zu überlegen, welcher Typ man ist: Möchte ich mich nach dem Lernen fürs Abi weiter in Bücher vergraben? Bin ich der Typ Wissenscha­ftler, der gerne forscht und lernt? Oder ist es Zeit, praktisch zu arbeiten? Bin ich ein zupackende­r Typ? „Für viele ist der Weg ins Studium scheinbar der Weg des geringsten Widerstand­es“, sagt Karin Wilcke. „Eine Berufsausb­ildung kämpft dagegen mit Stereotype­n: Etwa, dass ich früh aufstehen muss und die Ausbilder streng sind. Ein Studium dagegen wirkt gemütlich und verlockend – und für die Studienpla­tzbewerbun­g muss ich keinen Lebenslauf schreiben.“

Die Wahrheit sei dagegen, dass man sich an der Uni sehr gut selbst organisier­en müsse, sagt die Studienber­aterin. „Da passt keiner auf, dass ich mich auch an meinen Stundenpla­n halte und mein Referat gut vorbereite. Man muss sich selbst motivieren und sich hinsetzten und eine Vorlesung nachbereit­en.“Selbststän­diges Lernen umfasse einen großen Teil des Studiums.

Eine Ausbildung dagegen gibt klare Strukturen vor, es gibt Zwischenzi­ele und Feedback von Kollegen. „Und man wird mit offenen Armen empfangen“, sagt Wilcke. „Industrie und Handwerk haben derzeit wirklich attraktive Angebote – viele Unternehme­n bieten Abiturient­en zum Beispiel eine verkürzte Ausbildung an.“

Auch das Argument, dass man mit abgeschlos­senem Studium mehr verdiene als nach der Ausbildung, entkräftet die Studenbera­terin: „Nach einer technische­n Ausbildung beispielsw­eise ist der Verdienst genauso hoch wie nach dem Bachelor. Gut ausgebilde­te Fachkräfte haben beste Verdienstc­hancen auf dem Arbeitsmar­kt, auch ohne Studium.“

Abgeschrec­kt seien Abiturient­en oft von der Angabe „mittlerer Bildungsab­schluss“hinter Stellenaus­schreibung­en. „Das ist ja aber nur die Mindestanf­orderung“, so Wilcke. „Früher hatten eben nur sehr wenige Menschen Abitur, und die gingen an die Hochschule­n. Es war klar: Mit Abi studiert man auch. Daher kommt auch der Bewerbungs­schluss 15. Juli an den Hochschule­n. Dieser liegt etwa einen Monat nach der Vergabe der Abizeugnis­se. Mit der riesigen Zahl an Abiturient­en hat sich diese Praxis nun verändert. Und die Firmen haben ein großes Interesse daran, Abiturient­en als Azubis einzustell­en.“Schließlic­h seien diese etwas älter und brächten mehr Schulbildu­ng mit. Allerdings wirbt die Studienber­aterin auch bei den Unternehme­n dafür, spätere Bewerbungs­fristen einzuführe­n

„Will ich jetzt mit einer Drei vor dem Komma studieren, muss ich nehmen, was übrig ist“

– dort gelte leider oft noch: Je größer der Konzern, desto früher die Frist. „Das entspricht nicht mehr der Realität, angesichts des Fachkräfte­mangels sollte man sich auf kürzere Bewerbungs­fristen einstellen und den Abiturient­en so entgegenko­mmen.“

Im Übrigen: Dass man sich jetzt nicht für ein Studium entscheide­t, heißt ja noch lange nicht, dass es später nicht doch das Richtige ist. „Die Erfahrung zeigt: Wer erst eine Ausbildung macht, weiß später viel besser, was er studieren möchte, und zieht es dann auch durch“, sagt Karin Wilcke. „Dagegen gibt es unter der riesigen Zahl an Studienanf­ängern derzeit eine Abbrecherq­uote von einem Drittel.“Nach einer Ausbildung dagegen habe man meist einen genauen Plan, wo man beruflich hinmöchte, und studiert dementspre­chend zielgerich­tet. „Oft unterstütz­en die Unternehme­n den Wunsch ihrer fertigen Azubis nach einem Studium auch – zum Beispiel, indem sie parallel zum Studium in der Firma arbeiten und anschließe­nd wieder einsteigen können.“

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FOTOS: DPA Egal, ob man sich für Wissenscha­ft oder Handwerk entscheide­t: Unzählige Möglichkei­ten Neues zu entdecken und auszuprobi­eren, gibt es in beiden Berufsspar­ten.
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