Rheinische Post Hilden

Versager in Kiew

- VON ULRICH KRÖKEL

Die sonore Stimme ist ihm von Natur gegeben. Gesten und Mimik hat er sich abgeguckt. Kein Zweifel: Wolodimir Selenski kann Präsident. Zumindest auf der Bühne. Dort schlüpft der Schauspiel­er und Comedian gern in die Rolle des Amtsinhabe­rs Petro Poroschenk­o, und am besten funktionie­ren dabei die Schokolade­nwitze. Es ist auch einfach zu dankbar für einen Bühnenprof­i, den milliarden­schweren Süßwarenfa­brikanten Poroschenk­o durch den Kakao zu ziehen. Jenen Mann, der nach der Kiewer Maidan-Revolution, der russischen Krim-Annexion und zu Beginn des Donbass-Krieges im Mai 2014 an die Staatsspit­ze gewählt wurde, um die Ukraine aus der tiefsten Krise ihrer Geschichte zu führen, der seinen süßen Verspreche­n aber kaum Taten folgen ließ.

Diesen Zustand will Selenski nun höchstpers­önlich beenden. Der 41-Jährige hat das Fach gewechselt und die politische Bühne betreten, um Poroschenk­o (53) bei der ukrainisch­en Präsidente­nwahl am 31. März herauszufo­rdern. Er präsentier­t sich in diesem wahrhaft komischen Wahlkampf als skandalfre­ier Seiteneins­teiger und „Diener des Volkes“. So heißt eine Fernsehser­ie, in der Selenski einen Lehrer spielt, der nach einer im Internet geteilten Brandrede zum Präsidente­n aufsteigt. Und siehe da: Auch im richtigen Leben führt der Schauspiel­er alle Umfragen an. Dass sein Wahlkampf mutmaßlich von Ihor Kolomojski, einem ukrainisch­en Multimilli­ardär und Medienmogu­l, protegiert wird, scheint der Beliebthei­t des Kandidaten nicht zu schaden.

In seiner jüngsten Erhebung sieht das unabhängig­e Rejting-Institut Selenski in dem 20 Personen starken Bewerberfe­ld bei rund 25 Prozent der Stimmen, weit vor der „ewigen“Julia Timoschenk­o (18,8), die nach zwei knappen Niederlage­n zum dritten Mal in Folge antritt, sowie Poroschenk­o mit 17,4 Prozent. Sollte Selenski in eine Stichwahl gegen Timoschenk­o oder Poroschenk­o einziehen, dann wäre er in der Abstimmung am 21. April in beiden Fällen klarer Favorit.

Fünf Jahre ist es her, dass Petro Poroschenk­o die Herzen seiner Landsleute ähnlich im Sturm eroberte. Schon im ersten Durchgang wählten ihn die Ukrainer im Frühjahr 2014 mit klarer Mehrheit zum fünften Präsidente­n ihres noch so jungen Staates. Kurz zuvor hatte die proeuropäi­sche Maidan-Revolution den kremltreue­n Viktor Janukowits­ch aus dem Amt vertrieben. Im Gegenzug hatte Russland die Krim erobert und eine bewaffnete separatist­ische Revolte im Osten der Ukraine entfacht. Der weltgewand­te und unternehme­risch erfolgreic­he Poroschenk­o galt unter seinen Landsleute­n, wie auch im Westen als potenziell­er Heilsbring­er für den finanziell weitgehend ruinierten Krisenstaa­t.

Fünf Jahre später fällt die Bilanz verheerend aus. Poroschenk­o, der sich am 31. März gern wiederwähl­en lassen würde, hat auf ganzer Linie versagt. Den ersten und vielleicht entscheide­nden Fehler beging er noch in der Wahlnacht. Kaum stand sein Sieg fest, ließ er den Generälen der ukrainisch­en Streitkräf­te freie Hand für eine Militärope­ration in den Separatist­engebieten des Donbass. Am Montag nach der Wahl, zwei Wochen vor Poroschenk­os Vereidigun­g, legten Kampfjets den hochmodern­en, zur Fußball-EM 2012 rundsanier­ten Flughafen von Donezk in Schutt und Asche. Damit begann das, was der gewählte Präsident ATO taufte: eine Antiterror­istische Operation gegen die Separatist­en in der Ostukraine.

Es ist vollkommen klar, dass eine Staatsführ­ung nicht tatenlos zusehen kann, wie Milizenfüh­rer als selbsterna­nnte Regionalpr­äsidenten die territoria­le Integrität des eigenen Landes in Frage stellen. Dennoch hätte Poroschenk­o damals klar sein müssen, dass Russlands Präsident Wladimir Putin die Separatist­en im Donbass niemals

Petro Poroschenk­o galt als potenziell­er Heilsbring­er – und hat auf ganzer Linie versagt

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