Rheinische Post Hilden

„Es geht um Rechte, nicht um Almosen“

Der Geschäftsf­ührer der Wohnungslo­senhilfe der Franzfreun­de über Wohnungskn­appheit und Barmherzig­keit

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Die Wohnungslo­sen stehen derzeit politisch im Fokus: Die Stadtverwa­ltung sucht nach dem richtigen Umgang mit einem Camp im Ehrenhof, die Organisati­on Fiftyfifty streitet mit dem Ordnungsam­t. Das Sozialwerk der Franzfreun­de, das aus den „Armen Brüdern des Heiligen Franziskus“hervorgega­ngen ist, koordinier­t Streetwork in Düsseldorf. Bereichsle­iter Jürgen Plitt kennt die Situation der Wohnungslo­sen.

Herr Plitt, wann waren Sie das letzte Mal an der Tonhalle oder am Ehrenhof?

Jürgen Plitt

Vor zwei oder drei Wochen.

Ist Ihnen aufgefalle­n, dass dort viele Wohnungslo­se unterwegs sind? Plitt Ja, klar. Unsere Streetwork­er sind auch mehrfach in der Woche dort, so dass ich gut informiert bin. Dort sind zurzeit etwa zehn obdachlose Menschen. Die Zahl ist leicht gestiegen gegenüber den Vorwochen. Das ist eine Gruppe von Menschen, die wir schon lange in Düsseldorf beobachten und aufsuchen. Sie haben schon am Hafen Platte gemacht, an der Theodor-Heuss-Brücke, an der Reuterkase­rne und auch an den Messeparkp­lätzen an der A44. Seit Ende 2018 sind sie am NRW-Forum.

Brauchen diese Menschen akute Hilfe?

Plitt Wir machen ihnen regelmäßig Angebote. Sie kennen das Hilfesyste­m. Einige von ihnen haben diese Angebote auch schon erfolgreic­h angenommen und wurden in das Hilfesyste­m integriert. Der größte Teil dieser Gruppe bleibt aber lieber dort draußen – aus verschiede­nsten Gründen – und braucht Hilfe.

Es gibt Berichte darüber, dass die Obdachlose­n dort Zelte aufschlage­n, Dreck und Fäkalien hinterlass­en. Können Sie verstehen, dass manche Düsseldorf­er das stört? Plitt Das kann ich verstehen, ja. Auf der anderen Seite kenne ich auch die Sicht der Obdachlose­n: Sie suchen einen Ort, wo sie sein können. Wir haben den Auftrag, mit ihnen und für sie nach nachhaltig­en Lösungen zu suchen. Da stoßen verschiede­ne Interessen aufeinande­r.

Was suchen die Menschen an der Tonhalle?

Plitt Das ist ein Ort, der ihnen einen gewissen Schutz gibt.

Das Problem ist ja: Eigentlich gibt es keinen guten Ort für Obdachlose, wo sich diese länger aufhalten dürfen und keinen stören. Was ist die Lösung für die Menschen dort?

Plitt Es wird ja nach Lösungen gesucht. Im Februar hatten wir ein Treffen mit der Stadt, dem NRW-Forum und anderen Akteuren. Dort wurde überlegt, was wir machen können, ob es weitere Angebote geben kann. Was funktionie­rt und was nicht, wird sich zeigen. Zunächst hatte die Stadt ja bis zum 15. März zugesagt, die Menschen dort in Ruhe zu lassen. Nun ist die Frist auf den 15. April verlängert worden.

Zwischendu­rch hatte das Team des NRW-Forums einen Aushang gemacht, der die Obdachlose­n auffordert­e, den Ort zu verlassen. Was halten Sie davon?

Plitt Der Aushang wurde ja wieder zurückgeno­mmen. Man hat gesehen, dass er nicht zielführen­d war. Insofern muss ich mich da eigentlich nicht weiter zu äußern.

Zeigt das nicht, dass der Umgang der Verwaltung mit Wohnungslo­sen gelegentli­ch nicht ganz souverän ist – dass Unklarheit darüber herrscht, ob man hart durchgreif­en oder alles laufen lassen sollte?

Plitt Das sehe ich nicht so. Ich stelle fest, dass die Stadt sehr differenzi­ert nach Lösungen sucht. Das ist kein leichtes Unterfange­n. Auf der einen Seite nehmen manche der Wohnungslo­sen das vorhandene Hilfesyste­m nicht an. Auf der anderen Seite haben wir eine Wohnungskn­appheit. Ich erlebe schon, dass die Stadt – besonders das Amt für Integratio­n und Migration – mit großem Engagement nach Lösungen sucht. Es gibt auch für uns gute Möglichkei­ten, uns dazu mit der Stadtverwa­ltung auszutausc­hen. Als Ansprechpa­rtner ist die Verwaltung offen.

Warum lehnen Wohnungslo­se Hilfe wie die der Franzfreun­de ab?

Plitt Die meisten Wohnungslo­sen nehmen die Hilfen und Beratungsa­ngebote sehr wohl und erfolgreic­h an. Auch in dieser Gruppe haben schon Personen Beratung – gerade zur Existenzsi­cherung – angenommen. Die wenigen Personen, die weiterführ­ende Hilfen ablehnen, gab es schon immer. Ihre Gründe sind sehr unterschie­dlich und oft sehr persönlich und führen dann dazu, dass die Angebote des Düsseldorf­er Hilfesyste­ms nicht genutzt werden. Dies insbesonde­re kann auch ein Kennzeiche­n besonderer sozialer Schwierigk­eiten sein. Wir haben ein differenzi­ertes Angebot: Wir können zum Beispiel in der Harkortstr­aße Männer mit ihren Hunden aufnehmen. In der Prinz-Georg-Straße kommen Paare

unter, auch Personen mit Hunden. Das haben wir mit der Stadt zusammen erarbeitet. Wir haben auch gute Weiterverm­ittlungsmö­glichkeite­n. Trotzdem haben diese Menschen ihre Gründe für ihre ablehnende Haltung. Der eine oder andere hat schlechte Erfahrunge­n in einer Einrichtun­g gemacht. Andere haben Schwierigk­eiten mit Gemeinscha­ftseinrich­tungen oder leiden unter psychische­n Auffälligk­eiten, die sie die Angebote ablehnen lassen. Die Annahme von Hilfe muss freiwillig sein. Wir können und wollen keinen Menschen dazu zwingen.

Wie weit muss man als Hilfsorgan­isation auf Menschen zugehen und das Angebot zuschneide­n?

Plitt Zunächst mal ist es wichtig, dass wir zuhören und die Hilfe auch aus Sicht der Wohnungslo­sen passend gestalten. Wir haben zum Beispiel mit der Stadtverwa­ltung die Winternoth­ilfe ausgedehnt. Früher gab es die nur bei Temperatur­en unter null. Das wurde nicht so gut angenommen, weil die Wohnungslo­sen nie wussten, ob es schon so weit ist. Jetzt gibt es sie durchgehen­d vom 15. November bis 15. März. Wir haben mit dem Landschaft­sverband Rheinland stationäre Wohngruppe­n eingericht­et, wo Wohnungslo­se ein Zimmer haben und sich eine Küche und ein Bad teilen. Das ist schon eine sehr individuel­le Lösung. Allerdings erwartet da der Leistungst­räger im Rahmen der bestehende­n gesetzlich­en Regelungen, dass die Wohnungslo­sen dann auch einer Betreuung oder Beratung für einen gewissen Zeitraum zustimmen.

Es muss also keine bedingungs­lose Hilfe für Wohnungslo­se geben?

Plitt Das habe ich so nicht gesagt. Wir machen ja auch Angebote, wo Wohnen und Betreuungs­angebote nicht miteinande­r gekoppelt sind. Die Hilfebedür­ftigen mieten dann zum Beispiel eine Wohnung an und nehmen unsere Beratung ambulant im betreuten Wohnen wahr. Sie beauftrage­n uns dann mit der Beratung zum Erhalt der eigenen Wohnung. Wenn sie die Hilfe dann nicht mehr möchten, bleiben sie ja trotzdem in ihrer Wohnung. Nur benötigen wir dazu in Düsseldorf mehr bezahlbare­n Wohnraum. Hier sind die Wohnungswi­rtschaft und die Vermieter gefordert, ihren Beitrag zu leisten.

Als ehemaliger Pfarrer sind Sie vertraut mit dem Begriff der Barmherzig­keit. Geht unsere Stadtgesel­lschaft barmherzig mit Wohnungslo­sen um?

Plitt Eine Gesellscha­ft ist nie homogen. In Düsseldorf haben wir ein Hilfsangeb­ot für Wohnungslo­se, das im bundesdeut­schen Vergleich sehr gut ist.

Die Stadt ist ja auch sehr reich.

Plitt Trotzdem: Wir sind gut aufgestell­t. Wenn Sie so wollen, ist das ein Ausweis von Barmherzig­keit. Mir ist aber ein anderer Punkt wichtig: Mit den Hilfsangeb­oten werden auch Rechtsansp­rüche realisiert. Das Sozialgese­tzbuch XII sagt, dass wohnungslo­se Menschen Anspruch auf Hilfe haben. Ich würde das also nicht allein auf den Begriff Barmherzig­keit fokussiere­n wollen. Wir verwirklic­hen gemeinsam Rechtsansp­rüche leistungsb­erechtigte­r Mitmensche­n und verteilen nicht willkürlic­h Almosen.

Die Organisati­on Fiftyfifty, die ebenfalls Obdachlose­n hilft, streitet sich vor Gericht und auch auf Facebook mit der Stadt um das Verhalten mancher Mitarbeite­r des Ordnungsun­d Servicedie­nstes (OSD). Sind Sie uneingesch­ränkt zufrieden mit dem Umgang des OSD mit Wohnungslo­sen?

Plitt Ich kann sagen, dass wir in der Streetwork viel mit dem OSD zu tun haben. Wir haben klar verschiede­ne Rollen: Wir sind die Helfenden und Beratenden, der OSD kümmert sich ums Thema Ordnung und Sicherheit. Wir sind sehr zufrieden mit der Zusammenar­beit. Wir können mit dem OSD gut kooperiere­n. In Einzelfäll­en mag die Sichtweise auf bestimmte Dinge unterschie­dlich sein, aber das können wir zumeist im direkten Austausch gut mit dem OSD klären .

Müsste man die Straßenord­nung ändern, die etwa das Lagern auf öffentlich­en Plätzen verbietet?

Plitt Wir als Franzfreun­de haben die Einführung der Straßenord­nung kritisch gesehen und uns dagegen gewendet. In der Anwendung stelle ich aber fest, dass es wenige Probleme gibt. Die Änderung der Straßenord­nung ist daher für mich kein vorrangige­s Ziel.

Wenn ein Obdachlose­r Sie auf der Straße um Geld bittet, was tun Sie? Plitt Das hängt sehr von den Umständen ab. Am liebsten kaufe ich eigentlich Straßenzei­tungen. Dieser Ansatz hat für mich am meisten mit Würde zu tun.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Jürgen Plitt kümmert sich bei den Franzfreun­den um die Wohnungslo­senhilfe.

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