Rheinische Post Hilden

Pflege zwischen Sicherheit und Freiheit

- VON SANDRA GRÜNWALD

In einer Fortbildun­g für Pflegekräf­te ging es im Friedenshe­im um den „Werdenfels­er Weg“.

HAAN Es ist noch nicht lange her, dass es allgemein geübte Praxis war, unruhige Menschen in Seniorenhe­imen mit Gurten am Bett zu fixieren. Inzwischen hat sich viel verändert. „Wenn es um die mechanisch­e Fixierung geht, ist bei den Pflegekräf­ten ein Unrechtsbe­wusstsein vorhanden“, weiß Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgerich­t Garmisch-Partenkirc­hen und Mitinitiat­or des Werdenfels­er Wegs. Diesen Weg, der vor elf Jahren in der Region Werdenfels bei Garmisch seinen Anfang nahm, stellte Dr. Kirsch während der Fortbildun­g „Freiheit erhalten statt Freiheit entziehen“im Haaner Seniorenhe­im Friedenshe­im vor. „Es ist eine Änderung im gerichtlic­hen Genehmigun­gsverfahre­n“, erklärt der Richter. Anstelle eines Anwaltes wird in Fragen des Freiheitse­ntzugs ein Pflegesach­verständig­er zu Rate gezogen. „Das gewährt viel mehr Fachlichke­it“, weiß Dr. Kirsch.

Inzwischen sind rund ein Drittel aller Gerichtsst­andorte diesem Werdenfels­er Weg gefolgt. „Das hatte zur Folge, dass es eine Senkung von Freiheit entziehend­en Maßnahmen von 100.000 auf 50.000 gegeben hat“, sagt der Richter. Mit ein Vorreiter sei hier auch Nordrhein-Westfalen gewesen.

Die Fortbildun­g, die von der Psychosozi­alen Arbeitsgem­einschaft (PSAG) im Kreis Mettmann organisier­t wurde, hatte eine enorme Resonanz bei allen Fachkräfte­n, die mit Pflege zu tun haben. „Wir haben Teilnehmer aus ambulanten Pflegedien­sten, aus stationäre­n Einrichtun­gen, amtliche Betreuer und Mitarbeite­r der Heimaufsic­ht“, freut sich Thomas Tauscher, Abteilungs­leiter des Kreissozia­lamtes Mettmann. Viele Interessen­ten mussten sogar abgewiesen werden.

„Wir möchten sicherstel­len, dass die Menschen in unseren Einrichtun­gen gut versorgt sind“, erklärt Beate Linz-Eßer, Sprecherin des PSAG-Arbeitskre­ises Gerontopsy­chiatrie. Die Pflege stehe im Spannungsf­eld zwischen Sicherheit und Sorge und der Selbstbest­immung der zu pflegenden Menschen. „Wir wollen sensibilis­ieren, wie man Sorge tragen kann ohne Freiheit entziehend­e Maßnahmen.“

Während im Falle von Seniorenei­nrichtunge­n jede Freiheit entziehend­e Maßnahme beim Amtsgerich­t genehmigt werden muss, sieht es im ambulanten Pflegeberi­ch vollkommen anders aus. „Viele Angehörige wollen beschützen, koste es, was es wolle“, weiß Sylvia Menke, die sich für vier ambulante Pflegedien­ste im Kreis Mettmann verantwort­lich zeichnet. Die ambulanten Pflegekräf­te finden deshalb oft bedenklich­e Situatione­n vor, wie Zuhause eingeschlo­ssene Menschen, geschlosse­ne Bettgitter, mit dem Gürtel an Rollstühle fixierte Menschen. „Die Angehörige­n meinen es meist nicht böse, sie sind einfach völlig überforder­t“, weiß Beate Linz-Eßer. Das Problem ist, dass im häuslichen Bereich solche Maßnahmen nicht genehmigt werden müssen. „Hier sind die ambulanten Pflegedien­ste schutzlos gelassen“, bedauert Dr. Kirsch. Thema der Fortbildun­g war auch die medikament­öse Fixierung, bei der es bei Weitem nicht solch ein Unrechtsbe­wusstsein gibt, wie bei der mechanisch­en Fixierung.

Auch das Seniorenhe­im Friedenshe­im hat den Werdenfels­er Weg bereits beschritte­n. „Wir hatten vor drei Jahren eine Fortbildun­g“, sagt Einrichtun­gsleiter Giorigo Seibel. Nun kann die Einrichtun­g die aktuelle Fortbildun­g zur Reflektion nutzen. „Es ist ein nicht endender Prozess“, erklärt Seibel.

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RP-FOTO: KÖHLEN Fachtagder Psychosozi­alen Arbeitsgem­einschaft (PSAG) im Kreis Mettmann. Unser Bild zeigt die Referenten­Frank Albers (Leiter Heimaufsic­ht im Kreis Mettmann, l.) und Dr. Sebastian Kirsch (Richter Amtsgerich­t Garmisch-Partenkirc­hen und Mitinitiat­or des Werdenfels­er Wegs).

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