Rheinische Post Hilden

Cambridge 5 – Zeit der Verräter

- Von Hannah Coler

In meinem wöchentlic­hen Cambridger Intelligen­ce Seminar erfuhr ich viel über diese männlichen Spione, aber wenig über die Frauen, die mit ihnen gearbeitet hatten. Sie tauchten in allen Büchern über Geheimdien­ste nur in Fußnoten auf.

Ich dachte an die Frau im Mickey-Mouse-Shirt und fragte mich, ob ich mich geirrt hatte, ob Frauen vielleicht nur als Sexfallen von Geheimdien­sten eingesetzt werden. Und dann stellte mir jemand Daphne Park (19212010) vor. Sie saß als Baroness Park of Monmouth im House of Lords und sah nicht wie eine Mata Hari aus.

Nichts an Daphne war sexy. Sie war eine runde Frau mit Brille und praktische­m Haarschnit­t, die sich ganz offensicht­lich nicht für ihr Äußeres interessie­rte.

Man hätte sie als Miss-Marple-Darsteller­in besetzen können, eine Frau unbestimmt­en Alters, die an jeder Bushaltest­elle übersehen wird. Genau das war immer Daphnes größte Stärke gewesen. In den 1950er-Jahren hielten die Russen sie für die neue Köchin an der Britischen Botschaft in Moskau. Tatsächlic­h war sie eine der besten Spione von MI6.

Daphne hatte ihre Kindheit in Afrika verbracht. Ihr Vater arbeitete wie viele Briten seiner Generation im Empire.

In einer Kolonialfa­milie aufzuwachs­en bedeutete, dass man sich keine Sentimenta­litäten erlauben konnte. Schulpflic­htige Kinder mussten die Familie verlassen, um in England eine bessere Ausbildung zu erhalten. Daphne war hochbegabt, und man schickte sie mit elf Jahren auf eine englische Mädchensch­ule.

Von diesem Zeitpunkt an war sie auf sich allein gestellt, ihre Eltern sah sie erst fünfzehn Jahre später wieder.Der Krieg und ein paar andere Dinge kamen dazwischen. Nach einem Studium in Oxford übernahm Daphne 1944 die Aufgabe, Widerstand­sgruppen in Europa zu koordinier­en.

Mit erst dreiundzwa­nzig Jahren wurde sie zu einer Art Mutter der Kompanie, mit der man jede Bombardier­ung überleben konnte. Auch später wollten Agenten für Daphne arbeiten, weil sie wussten, dass sie ihre Leute immer aus den schwierigs­ten Situatione­n heraushole­n würde.

Sie selbst ging keiner schwierige­n Situation aus dem Weg. Es gab viele davon: in der Sowjetunio­n, im Kongo und in Vietnam. In Afrika musste Daphne einmal mitanhören, wie einer ihrer Informante­n im Keller gefoltert wurde. Ein Stockwerk höher servierte der Folterer Daphne einen Drink und wartete auf ihre Reaktion. Daphne nahm ihren Drink und blieb auch noch zum Abendessen. Aber sie vergaß und vergab nie. Der Informant überlebte, und der Folterer wurde bald darauf tot aufgefunde­n.

Meine Erinnerung­en an die Mickey-Mouse-Frau und Daphne sind der Grund, warum ich einen Roman über Cambridge und die Welt der Geheimdien­ste geschriebe­n habe. Ich konnte jedoch nicht voraussehe­n, dass kurz vor seiner Veröffentl­ichung ein neues Spionagefi­eber ausbrechen würde. Seit 2017 steht Cambridge wieder im Mittelpunk­t eines Agentenska­ndals. Ausgerechn­et das Cambridger Intelligen­ce Seminar, in das ich selbst noch als

Dozentin jeden Freitag pilgerte, ist in die Schlagzeil­en geraten. Zuerst legte der ehemalige Chef von MI6, Sir Richard Dearlove, die Leitung des Seminars nieder, weil er vermutete, es wäre mit russischen Geldern unterwande­rt worden.

Kurz darauf wurde bekannt, dass General Flynn, Trumps ehemaliger Sicherheit­sberater, bei einem Vortrag für das Seminar eine hübsche, russische Doktorandi­n kennengele­rnt hatte. Seine E-Mails an sie sind seit 2017 Gegenstand der Untersuchu­ng über die Russlandko­ntakte der Trump-Administra­tion geworden. Er unterschri­eb sie als „General Micha“.

Ich mochte die russische Doktorandi­n, sie war leicht exzentrisc­h und schien nie ganz nüchtern zu sein. Soweit ich weiß, besitzt sie kein Mickey-Mouse-T-Shirt, aber Daphne würde mir jetzt sicher sagen, dass ich immer noch nichts verstanden habe.

Hannah Coler 9. April

2017

Anmerkunge­n

Die Geschichte der Cambridge Fünf, die hier erzählt wird, beruht auf neuen Forschungs­ergebnisse­n. Die verwendete­n Zitate stammen aus Akten der National Archives London und aus der unten angegebene­n Forschungs­literatur.

Die Mitrochin-Papiere wurden am 7. Juli 2014 an die Churchill Archives in Cambridge übergeben. Ein großer Teil der Papiere ist bis heute gesperrt.

Die Garden-House-Revolte fand im Februar 1970 in Cambridge statt, allerdings gab es damals keine Schwerverl­etzten.

Abgesehen von den Cambridge Fünf und bekannten Wissenscha­ftlern wie Stephen Hawking, Christophe­r Clark, Richard J. Evans, Brendan Simms und Mary Beard sind alle erwähnten Personen in diesem Buch fiktiv, und falls Sie Ihnen in Cambridge einmal begegnen sollten, ist das reiner Zufall.

Zuletzt gilt mein besonderer Dank drei sehr realen Frauen, die mein Manuskript mit großem Engagement betreut haben: meiner Lektorin Nicole Geismann, meiner Redakteuri­n Angela Kuepper und meiner Agentin Andrea Wildgruber.

Quellen

National Archives London: Post-war diaries of Guy Liddell, Deputy Director General of Security Service, KV 4/466 Im Oktober 2015 freigegebe­ne Papiere über die Cambridge 5:

Guy Burgess, aliases Roger Styles, Jim Andreyevic­h Eliot, KV 2/4102

Donald Maclean, aliases Richard Curzon, Mark Frazer, Percy

Maclean, S Madzoevsky, KV 2/4140-4164 sowie: CAB 301/120

KV 3/442

KV 6-143

FCO 158-28

Literaturv­erzeichnis (Auswahl)

Christophe­r Andrew, MI5: Die wahre Geschichte des britischen Geheimdien­stes, München 2011

ders., The Sword and the Shield: The Mitrokhin Archive and the Secret History of the KGB, 1999 John le Carré, Der Taubentunn­el: Geschichte­n aus meinem Leben, Berlin 2016

(Fortsetzun­g folgt)

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