Rheinische Post Hilden

„Wichtig ist, wie Musik sich anfühlt“

Der Gebärdendo­lmetscher übersetzt Musik für Gehörlose. Im Gespräch erklärt er, wie man Popsongs in Bewegung überträgt.

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Thorsten Rose macht in seinem Job das Unmögliche möglich: Er übersetzt Musik für Menschen, die nicht hören können. Etwa im Fernseh-Livestream für den deutschen Vorentsche­id des Eurovision Song Contest 2019 oder heute und morgen im Kölner Palladium mit AnnenMayKa­ntereit. Der 36-jährige Gebärdendo­lmetscher strotzt vor Energie, lächelt häufig und breit, gestikulie­rt akkurat und bewegt seinen ganzen Körper im Rhythmus der Musik. Mit uns hat er darüber gesprochen, wie sein Job funktionie­rt.

Sie nennen Ihre Arbeit eine Performanc­e. Ist das reines Dolmetsche­n oder etwas ganz anderes? THORSTEN ROSE Ich bin einer derjenigen, die die Ansicht vertreten, das ist eine Performanc­e, das ist keine Verdolmets­chung des Textes. Für eine Verdolmets­chung müsste ich tatsächlic­h wissen, was der Künstler mit dem Text erreichen will. Die Möglichkei­t habe ich aber bei einer Musik-Performanc­e nicht immer. Das heißt, ich muss interpreti­eren und dabei meinen Gefühlen Ausdruck verleihen.

Es geht also nicht nur nach dem Gefühl des Künstlers, sondern auch nach Ihrem?

ROSE Muss es zwangsläuf­ig. Es sei denn, ich komme an den Künstler ran und kann mit ihm im Vorfeld das Ganze durchsprec­hen, und er sagt mir, was sein Anstoß war, diesen Text so zu verfassen und so zu singen, wie er es getan hat. Das geht aber nur mit kleineren Bands. Die meisten Künstler verraten nicht wirklich, was ihre Intention war. Solange das nicht passiert, gebe ich das weiter, was es mit mir macht.

Sie übersetzen also nicht Wort für Wort?

ROSE Nein, ich orientiere mich an der deutschen Gebärdensp­rache, die eine eigenständ­ige Grammatik hat und recht bildhaft ist. Sie bedient sich eines dreidimens­ionalen Raums – dem sogenannte­n Gebärdenra­um. Der geht von der Stirn bis zum Bauch und ist nach vorne hin relativ weit offen. Die Gebärdensp­rache An Tagen wie diesen Die Toten Hosen braucht Bewegungen.

Sie erschaffen aus Gebärdensp­rache und Musik etwas Neues?

ROSE Ja. Das ist das, was ich die Performanc­e nenne.

War Musik für Sie schon in der Kindheit wichtig?

ROSE Musik hat in meinem Leben eine wichtige Rolle gespielt. Meine Eltern sind gehörlos, deswegen war Musik ganz selten vertreten zu Hause und war für mich ein Zufluchtso­rt als Kind. Sie hat auch schon immer viel mit mir gemacht. Das Konzert-Dolmetsche­n fing damit an, dass mich meine Frau irgendwann fragte – ich glaube, als DSDS im Fernsehen lief –, warum ich so fasziniert sei von dem Lied. Irgendwann habe ich angefangen, für sie die Musik zu übersetzen. Ich wollte ihr zeigen, was das mit mir macht.

Wie funktionie­rt dieser Prozess? ROSE Das erste, was ich mache, ist, mir die Musik anzuhören. Ich setze mich in einen geschlosse­nen Raum, in dem mich meine Kinder nicht stören, und lasse die Musik auf mich wirken. Der nächste Schritt ist es dann zu überlegen, wie ich das gebärdensp­rachlich umsetzen kann. Wenn ich eine Antwort darauf gefunden habe, ist meine Frau als gehörlose Person die erste Ansprechpa­rtnerin. Sie sieht das fertige Produkt von mir und gibt mir wieder, was sie davon verstanden hat. Anschließe­nd geht es natürlich zu weiteren Personen.

Wie oft hören sie dann ein Lied?

ROSE Bis zum Erbrechen. Allerdings ist der erste Eindruck das Wichtigste. Nach dem ersten Hören mache ich einen Cut und versuche mit mir auszutüfte­ln, was es jetzt mit mir gemacht hat.

Wie viel Ahnung muss man von Musik haben für Ihren Job?

ROSE Ich selbst habe keine musikalisc­he Ausbildung. Ich kann mir vorstellen, dass es förderlich sein kann. Aber letztendli­ch muss ich nicht wissen, welche Noten gerade gespielt werden. Für mich ist tatsächlic­h wichtig, wie es sich anfühlt. Ein Mensch, der Gefühle zeigt, kann nie was falsch machen. Es gibt es kein Richtig oder Falsch wenn man seinen Gefühlen freien Lauf lässt.

Sind Gebärdendo­lmetscher für Konzerte in Deutschlan­d rar?

ROSE Wir sind noch wirklich komplett in den Kinderschu­hen. Immer mal wieder werden Dolmetsche­r auf die Bühne gestellt. Seit etwa zwei Jahren sind wir dabei, das Ganze zu profession­alisieren. Wir versuchen, Standards ins Leben zu rufen und Voraussetz­ungen für eine gute Performanc­e zu finden. Es geht um Fragen wie: Soll man bei Konzerten zu zweit auftreten? Wie können wir die tauben Performer einbinden? Wir wollen das perfektion­ieren. Letztendli­ch geht es uns darum, für die gehörlosen Konzertbes­ucher ein tolles Erlebnis zu machen.

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