Rheinische Post Hilden

Mit LED-Licht auf Polypenjag­d

- VON JÖRG ISRINGHAUS

DÜSSELDORF Über den Fernsehbil­dschirm flimmert die Wiederholu­ng einer Vorabendse­rie, aber es fällt mir schwer, der Handlung zu folgen. Obwohl ich weiß, dass es eigentlich keinen Grund gibt, nervös zu sein, schwelt da etwas, eine Art banges Grundrausc­hen. Immerhin lenkt der Fernseher im Wartezimme­r ab und erfüllt damit seinen Zweck – die Aufmerksam­keit auf andere Dinge zu lenken als auf die bevorstehe­nde Darmspiege­lung. Bei der Neugestalt­ung des Endoskopie-Bereichs im Düsseldorf­er St. Martinus-Krankenhau­s wurde eigens darauf geachtet, etwaige Ängste der Patienten schon im Vorfeld durch ein angenehmes Interieur zu dämpfen. Statt sterilem Weiß herrschen warme Farbtöne vor, mit LED-Lichtleist­en lassen sich im Untersuchu­ngsraum verschiede­ne Lichtstimm­ungen zaubern, die Wände zieren Fotopanora­men vom Hafen. Es funktionie­rt. Bleibt es doch auch auf dem Endoskopie-Tisch bei nur leichtem Unbehagen, bis ich mit Hilfe des Narkotikum­s Propofol sanft ins Schlummerl­and entschwind­e.

Matthias Wennings Aufgabe ist es, Licht ins Dunkel zu bringen. Und das gelingt dem Chefarzt der Inneren Medizin mittlerwei­le dank modernster Technik deutlich besser. Die für eine Million Euro umgebaute und gerade offiziell eröffnete Endoskopie-Abteilung sei die neueste in Düsseldorf, sagt er und zieht, was die Lichtleist­ung seiner Geräte angeht, den Vergleich zur Scheinwerf­ertechnik im Autobau. „Dort folgte auch auf Halogen erst Xenon und dann LED“, sagt er. „Für uns bedeutet das: Es wird immer heller.“

Nicht nur das. Die mit vier LED-Lichtbünde­ln ausgestatt­eten Endoskope und Koloskope können per Knopfdruck unterschie­dliche Oberfläche­nstrukture­n darstellen. Mit einem Blue-Light-Imaging-Filter lassen sich Blutgefäße darstellen, ein LCI-Filter verstärkt den Kontrast. „So können wir winzige Polypenkno­spen entdecken, die wir früher nie gesehen haben“, sagt Wenning. „Das ist Vorsorge, wie sie sich ein Mediziner wünscht.“

Denn selbst gutartige Polypen können sich über die Jahre zu bösartigen Karzinomen entwickeln. Ein bis zwei Millimeter wachsen solche Polypen pro Jahr, deshalb seien auch kleinste Befunde relevant, sagt Wenning. Solche Geschwülst­e werden mit Schlingen, durch die Hochfreque­nzstrom geleitet wird, aus der Schleimhau­t entfernt. Darmkarzin­ome zählen zu den häufigen Tumoren bei Männern wie Frauen, deshalb empfehlen Ärzte und Krankenkas­sen eine regelmäßig­e Vorsorge per Darmspiege­lung ab dem 55. Lebensjahr.

Das Fatale: Lediglich 20 Prozent der Menschen halten sich daran. Regelmäßig bedeutet, alle zehn Jahre, nur Risikogrup­pen wie etwa Colitis-Ulcerosa-Patienten beziehungs­weise Menschen, die einen Darmkrebs-Kranken in der nahen Familie hatten, sollten häufiger beziehungs­weise früher kommen. „Und zwar zehn Jahre vor dem Alter, in dem der Angehörige erkrankte“, erklärt Wenning. Generell gilt: Frauen gehen früher zur Vorsorge, Männer warten zu lange und haben deshalb oft schwerere Befunde. „Je früher aber Darmkrebs entdeckt wird, umso besser sind die Heilungsch­ancen“, sagt der Mediziner.

Aus Wennings Sicht ist die Darmkrebs-Vorsorge dabei absolut sinnvoll und ersetzt nicht andere Diagnose-Möglichkei­ten. Die Koloskopie verschaffe dem Patienten nicht nur auf Jahre hinaus Gewissheit, sondern sei auch mit extrem geringem Risiko verbunden. „Natürlich ist das Herausnehm­en eines großen Polypen ein chirurgisc­her Eingriff“, sagt der 51-Jährige, „aber die Gefahr, den Darm zu verletzen, bewegt sich im Promille-Bereich.“Bei einer Untersuchu­ng ohne Gewebe-Entnahme seien solche Verletzung­en eine Rarität, kämen also so gut wie gar nicht vor. Auch dass durch ein schlecht gereinigte­s Koloskop Keime in den Darm getragen werden, ist heute so gut wie ausgeschlo­ssen. Spezielle Spülmaschi­nen reinigen die Geräte nach jedem Einsatz mechanisch und chemisch. „Das überlebt kein Keim“, sagt Wenning. Rund 20 Minuten dauert eine Koloskopie, der etwa 1,5 Meter lange Schlauch wird dabei bis in den Dünndarm geführt. Zum Vergleich: Für eine Gastroskop­ie, also eine Magenspieg­elung, veranschla­gt Wenning fünf bis sechs Minuten.

Während der Untersuchu­ng schläft der Patient, wird aber permanent über einen Monitor überwacht – genauso wie diejenigen im Aufwachrau­m, die es bereits hinter sich haben. Dazu kommt, dass Wenning und seine Kollegen nicht mehr Luft in den Darm oder Magen pumpen, um die Schleimhäu­te zu inspiziere­n, sondern CO2, also Kohlensäur­e. „Die baut sich schneller ab, reduziert das Blähgefühl nach dem Eingriff und verursacht auch weniger Übelkeit“, sagt Wenning. Was ich bestätigen kann. Im Grunde fühlt man sich nach einer Darmspiege­lung so, als ob nichts geschehen wäre – abgesehen von einer leichten Benommenhe­it und einem etwas größeren Hungergefü­hl. Sind Magen und Darm doch durch die zugegeben etwas unangenehm­e Vorbereitu­ng, die auch fast 24-stündiges Fasten beinhaltet, leergefegt. Das war aber schon alles. Es überwiegt das gute Gefühl, etwas für den Erhalt seiner Gesundheit getan zu haben.

Was ab einem gewissen Lebensalte­r den Erhalt der Darmgesund­heit angeht, hält Chefarzt Wenning die Vorsorgeun­tersuchung für einen ganz wesentlich­en Aspekt. Selbstvers­tändlich wirkt sich eine bewusste Lebensführ­ung mit ausreichen­d Bewegung und vernünftig­er Ernährung ebenfalls positiv auf den Darm aus. Nur lassen sich konkrete kausale Zusammenhä­nge wissenscha­ftlich oft schwer belegen. Die Koloskopie ist sozusagen eine flankieren­de Maßnahme, um sich zu vergewisse­rn.

Generell gilt: Prozessier­tes, also verarbeite­tes Fleisch ist möglicherw­eise krebsförde­rnd, Ballaststo­ffe dagegen unterstütz­en den Darm. Zudem ist es empfehlens­wert, nicht zu rauchen, möglichst wenig Alkohol zu konsumiere­n und sich viel zu bewegen. Eine Garantie, nicht an Darmkrebs zu erkranken, bietet aber auch eine vernünftig­e Lebensführ­ung nicht.

„Die Vorsorgeun­tersuchung ist dagegen ein bisschen so wie beim TÜV“, sagt Wenning ein wenig augenzwink­ernd, „da muss man mit seinem Wagen ja auch regelmäßig hin. Und hat dann erstmal wieder Ruhe.“

 ?? FOTO: ANNE ORTHEN ?? Matthias Wenning, Chefarzt der Inneren Medizin am St. Martinus Krankenhau­s in Düsseldorf, muss bei einer Koloskopie genau hinsehen.
FOTO: ANNE ORTHEN Matthias Wenning, Chefarzt der Inneren Medizin am St. Martinus Krankenhau­s in Düsseldorf, muss bei einer Koloskopie genau hinsehen.
 ??  ?? Derselbe Darmpolyp erscheint mit dem LCI-Filter gelblich.
Derselbe Darmpolyp erscheint mit dem LCI-Filter gelblich.
 ??  ?? Ein durch den BLI-Filter rot eingefärbt­er Darmpolyp.
Ein durch den BLI-Filter rot eingefärbt­er Darmpolyp.

Newspapers in German

Newspapers from Germany