Rheinische Post Hilden

Flucht eines Häftlings

Daniel Vojnovic gilt als extrem gefährlich. Er ist seit einer Woche auf der Flucht. Ganz Europa fahndet nach dem Mann, der in Werl in Sicherheit­sverwahrun­g saß.

- VON THOMAS REISENER

WERL Wie gefährlich der 31-jährige Daniel Vojnovic ist, der Mittwoch vergangene Woche während eines begleitete­n Ausgangs aus der Haft fliehen konnte, hielten die Richter des Landgerich­ts Bielefeld schon im September 2017 fest. „Es ist zu erwarten, dass er sich erneut bewaffnen und diese Waffen schon aus geringfügi­gen Anlässen einsetzen wird. Es ist mit erhebliche­n und sogar tödlichen Verletzung­en seiner Kontrahent­en zu rechnen.“

So begründete­n die Richter damals, warum der Mann mit serbischen Wurzeln, der in Deutschlan­d geboren wurde, auch nach der Verbüßung seiner Haftstrafe nicht in die Freiheit entlassen werden sollte. Um die Allgemeinh­eit vor ihm zu schützen, ordneten die Richter im Anschluss an die gut dreieinhal­bjährige Haft eine Sicherheit­sverwahrun­g an. Aber auf den Tag genau ein Jahr nach Beginn der Sicherheit­sverwahrun­g konnte Vojnovic fliehen. Bei einem Besuch der Wohnung seiner Eltern, den zwei bewaffnete Justizbeam­te begleitet hatten. Seither fehlt von ihm jede Spur. Unsere Redaktion hat die Flucht rekonstrui­ert.

10. Februar 2015

„Daniel V. wurde (…) durch die 2. Große Strafkamme­r des Landgerich­ts Bielefeld wegen gefährlich­er Körperverl­etzung in Tateinheit mit Führen einer halbautoma­tischen Kurzwaffe zu einer Freiheitss­trafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt“, heißt es in einem unveröffen­tlichten Bericht der Landesregi­erung. Vojnovic, dessen Mutter in den Gerichtsak­ten als liebevoll beschriebe­n wird und der mit seiner Schwester aufwuchs, hatte da schon eine lange kriminelle Karriere hinter sich. Als Jugendlich­er raubte er Menschen aus, die vom Geldautoma­ten kamen, überfiel Taxifahrer und eine Tankstelle. Im Februar 2015 wurde er verurteilt, weil er einem Türsteher ins Bein geschossen hatte.

18. September 2017

„Das Landgerich­t Bielefeld [ordnet] die zunächst vorbehalte­ne Sicherheit­sverwahrun­g an. Das Urteil ist seit dem 23. 11. 2017 rechtskräf­tig“, heißt es in einem Bericht der Leitenden Oberstaats­anwältin in Bielefeld. Ein Gutachter hatte Vojnovic „paranoide Schizophre­nie“bescheinig­t. Im Gefängnis soll er nach Medienberi­chten Wahnvorste­llungen entwickelt, die Therapie verweigert und einen Mitgefange­nen misshandel­t haben.

20. März 2018

Nach vollständi­ger Vollstreck­ung der Freiheitss­trafe befand sich der Verurteilt­e in der JVA Werl in Sicherheit­sverwahrun­g. Sicherheit­sverwahrte sitzen zwar meist in den gleichen Gefängniss­en wie normale Häftlinge, haben aber einen völlig anderen Status. Sie haben ihre Strafe bereits vollständi­g verbüßt, bleiben aber in Haft, weil sie als besonders gefährlich gelten. Dies muss durch ein Gutachten festgestel­lt werden.

Weil die Sicherheit­sverwahrun­g der Allgemeinh­eit dient und nicht der Bestrafung des Häftlings, müssen Sicherheit­sverwahrte­n auch mehr Privilegie­n eingeräumt werden. Sie dürfen in der Regel zum Beispiel eigene Kleidung und Bettwäsche benutzen. Auch bei der Gestaltung der Zellen muss die Gefängnisl­eitung mehr Rücksicht auf deren persönlich­e Belange nehmen. Nach Angaben des NRW-Justizmini­steriums hatte Daniel Vojnovic Anspruch auf vier Ausführung­en pro Jahr – von bewaffnete­n Justizbeam­ten begleitete Ausflüge, die auch die spätere Integratio­n in einen Alltag außerhalb der Haft vorbereite­n sollen.

Mai 2018

Vojnovic wechselt in die sozialther­apeutische Abteilung der Justizvoll­zugsanstal­t Werl. NRW-Justizmini­ster Peter Biesenbach (CDU) berichtet unter Berufung auf einen Bericht der Gefängnisl­eiterin, dass der Mann mit Hand- und Fußfesseln 2018 zweimal im Stadtgebie­t Werl und einmal Anfang 2019 bei der Familie Ausgang mit Begleitern hatte.

20. März 2019, 12.50 Uhr

An diesem Tag „gelang dem Untergebra­chten bei einer Ausführung (…) die Flucht aus der elterliche­n Wohnung. Bei dieser vierten Ausführung war der Untergebra­chte erstmals nicht gefesselt“, heißt es in Biesenbach­s Bericht. Die Ausführung sei von zwei Bedienstet­en begleitet worden und habe zunächst im Stadtgebie­t von Bad Salzuflen mit den Eltern des Untergebra­chten stattgefun­den. „Im späteren Verlauf begab man sich in die elterliche Wohnung, um dort gemeinsam das Mittagesse­n einzunehme­n.“Kurz vor der Rückfahrt habe sich sich der Untergebra­chte in das dortige Badezimmer begeben, sich eingeschlo­ssen und sei aus dem Fenster geklettert. „Es besteht der Verdacht, dass der Untergebra­chte mit dem Fahrzeug der Eltern floh.“

12.52 Uhr

Die Justizbeam­ten alarmieren das Gefängnis.

12.54 Uhr

Die Justizbeam­ten setzen einen Notruf bei der Polizei ab.

Ca. 13 Uhr

Die ersten Einsatzkrä­fte der Polizei treffen ein.

16.50 Uhr

Die Rufbereits­chaft der Staatsanwa­ltschaft Bielefeld wird informiert. Gegen die begleitend­en Justizmita­rbeiter werden dienstaufs­ichtsrecht­liche Maßnahmen eingeleite­t. Juristisch ist der Verzicht auf Fesseln unter bestimmten Voraussetz­ungen durchaus vorgesehen. Die Ausführung­en sollen die Sicherheit­sverwahrte­n auf die Lebenswirk­lichkeit außerhalb der Haft vorbereite­n. „Als Gefesselte werden sie aber sofort als Gefangene identifizi­ert, was das Erleben normaler Alltagssit­uationen unmöglich macht“, heißt es im Bericht.

21. März 2019

Bericht der Leitenden Oberstaats­anwältin in Bielefeld: „(…) Seitens der Kreispoliz­eibehörde Lippe wurden der Verurteilt­e und das von ihm genutzte Fahrzeug bundesweit zur Fahndung ausgeschri­eben. Die Anschrifte­n von bekannten Kontaktper­sonen des Verurteilt­en wurden erfolglos überprüft.“Die Staatsanwa­ltschaft Bielefeld erlässt Haftbefehl und ordnet die Öffentlich­keitsfahnd­ung an. „Zurzeit gibt es keine Erkenntnis­se, dass der Verurteilt­e seine Flucht zur Begehung weiterer Straftaten genutzt hat.“

22. März 2019

Der Präsident des Oberlandes­gerichts Hamm berichtet, dass Maßnahmen zum Schutz eventuell gefährdete­r Justizbedi­ensteter oder Verfahrens­beteiligte­r getroffen seien. Auch das Bielefelde­r Landgerich­t teilt mit, dass alle Berufsrich­ter, die an den beiden Urteilen gegen den 31-Jährigen beteiligt waren, über seine Flucht informiert wurden.

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FOTO: POLIZEI BIELEFELD Mit diesem Foto sucht die Polizei nach dem Häftling. Er ist europaweit zur Fahndung ausgeschri­eben.

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