Das dubiose System Onecoin
Die Gründerin der virtuellen Währung ist abgetaucht, ihr Bruder in den USA in Haft. Auch Deutsche könnten geprellt worden sein.
SOFIA Gäbe es eine Rangliste der wirtschaftlich erfolgreichsten Absolventen der Universität Konstanz, so dürfte Ruja Ignatova auf ihr ganz oben stehen. Gäbe es zudem ein Ranking der Konstanzer Alumni mit der größten kriminellen Phantasie und Energie, wäre sie nach Ansicht von US-Ermittlern wohl ebenfalls auf den vorderen Rängen platziert. Dem US-Justizministerium zufolge hat die 38-jährige Juristin und Volkswirtin mit ihrem Start-up Onecoin von Ende 2014 bis Ende 2016 einen Umsatz in Höhe von knapp 3,4 Milliarden Euro und einen Gewinn von 2,2 Milliarden Euro erwirtschaftet. Der amerikanische Staatsanwalt Geoffrey S. Berman hält Onecoin jedoch für eine „völlig auf Lügen und Täuschung und nicht auf Nullen und Einsen basierende Kryptowährung”.
Bereits im Oktober 2017 hat das US-Justizministerium Anklage gegen Ruja Ignatova wegen Anlagebetrugs und Geldwäsche erhoben. Am 6. März 2019 wurde nun ihr Bruder Konstantin Ignatov am Flughafen Los Angeles bei der versuchten Ausreise aus den USA verhaftet. „Onecoin-Investoren wurde großer Profit bei geringem Risiko versprochen. Unser Büro war in der Vergangenheit erfolgreich bei der Suche, Festnahme und Verurteilung von Finanzbetrügern. Und dieser Fall macht da keine Ausnahme”, kommentierte Staatsanwalt Berman Ignatovs Verhaftung.
Was die Bulgarin mit deutschem Pass zu ihrer Verteidigung vorzubringen hat, kann man sie nicht fragen. Im Oktober 2017 bestieg sie in Sofia ein Flugzeug nach Athen, seitdem fehlt von ihr jede Spur. Als ihr Nachfolger jettete Bruder Konstantin um die Welt, um für die „Finanzrevolution Onecoin” zu werben und Investoren zu gewinnen. Nun sieht er sich wie seine Schwester dem Tatvorwurf der Täuschung und des Anlagebetrugs ausgesetzt. Im Falle einer Verurteilung droht ihm eine langjährige Haftstrafte. Ruja
Ignatova wurde im Jahr 1980 in der nordbulgarischen Stadt Pleven geboren. Im Alter von zehn Jahren zog sie mit ihren Eltern nach Deutschland. An der Uni Konstanz studierte sie Jura und an der Fernuni Hagen Wirtschaft. Angeblich promovierte sie in Oxford. Nach ihrer Rückkehr nach Bulgarien 2004 arbeitete sie in Sofia zunächst für die Unternehmensberatung McKinsey, dann für den Investmentfonds CSIF. Er ist im Besitz der damaligen Lebensgefährtin des Bulgarischen Ministerpräsidenten Boiko Borissov. Gemeinsam mit ihrem Vater Plamen Ignatov übernahm sie im April 2010 das Gusswerk im oberschwäbischen Waltenhofen. Ihre Geschäftsführung bewertete das Amtsgericht Augsburg im April 2016 als Insolvenzverschleppung und Betrug. Ruja wurde zu einer Haftstrafe von vierzehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Die vom Amtsgericht Augsburg gegen sie ebenfalls verhängte Geldstrafe in Höhe von 18.000 Euro tat Ignatova nicht weh. Mit ihrem weltumspannnenden Onecoin-Imperium hatte sie bereits so viel verdient, dass sie in der bulgarischen Hauptstadt Sofia am Slavejkov-Platz eine repräsentative Unternehmenszentrale eröffnen und mehrere historische Gebäude erwerben konnte. Zur Feier ihres 36. Geburtstags am 30. Mai 2016 mietete sie das Albert and Victoria-Museum in London an und ließ Las-Vegas-Legende Tom Jones auftreten. Zum letzten Mal öffentlich gesehen wurde sie im Sommer 2017 auf ihrer Yacht im bulgarischen Schwarzmeer-Ort Sozopol. Sie sei im Mutterschutz, lautete die offizielle Erklärung für ihr Verschwinden. Dagegen vermuten die US-Beamten, dass sie aus Polizeikreisen in Sofia Hinweise auf die gegen sie geführten Ermittlungen erhalten habe und untergetaucht sei.
Anders als herkömmliche Kryptowährungen wie Bitcoin oder Etherum werden Onecoins nicht mittels aufwendiger Computeroperationen geschürft. Dass Onecoin überhaupt über eine Blockchain verfügt, gilt als zweifelhaft. Über Multi-Level-Marketing vertreibt Onecoin Schulungspakete zum Thema Kryptowährungen zu Preisen von 110 bis 55.000 Geoffrey S. Berman US-Staatsanwalt
Euro. Über 3,5 Millionen Menschen sollen solche Pakete erworben haben. Ihnen sind sogenannte Tokens in jeweils unterschiedliche Mengen beigefügt. Diese können zu von der Onecoin-Führung festgelegten Konditionen in Onecoins umgewandelt werden. Über die E-Commerce-Plattform Dealshaker können Produkte und Dienstleistungen mit Onecoins bezahlt werden. In naher Zukunft sollten Onecoins zudem über die Börse frei handelbar sein, hatte Ruja Ignatova bereits vor Jahren versprochen. Onecoin werde dann das einzige leicht nutzbare digitale Zahlungsmittel sein. Ob dies je geschehen kann, gilt als unwahrscheinlich.
Im Gegensatz zu realen Kryptowährungen reguliert sich der Wert von Onecoin nicht auf einem auf einer dezentralen Blockchain nachvollziehbarem Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Die Sofioter Unternehmenszentrale verkündet den Wert ihres OneCoins in unregelmäßigen Abständen. Er betrug zuletzt 29,95 Euro und ist seit der Onecoin-Lancierung im Jahr 2014 nur gestiegen.
Auch Bundesbürger haben Onecoins im Wert mehrerer hunderter Millionen Euro gekauft, bis die Bundesanstalt für Finanzaufsicht (BaFin) im April 2017 Onecoin jegliche Geschäftstätigkeit untersagte. Auf ein Amtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft Bielefeld hin durchsuchten bulgarische Polizeibeamte am 19. Januar 2018 die Sofioter Unternehmenszentrale. „Die Ermittlungen im Onecoin-Ermittlungsverfahren dauern an, ein Abschluss ist nicht absehbar”, teilte Oberstaatsanwalt Ralf Günther von der Staatsanwaltschaft Bielefeld auf Anfrage mit und informierte: „Hier wird zwar vermutet, dass Onecoin über eine Blockchain verfügt; eine entsprechende gesicherte Erkenntnis liegt jedoch nicht vor.” Im Wege der Rechtshilfe gebe es Kontakt zu den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden, über nähere Einzelheiten dazu könnten aber keine Auskünfte erteilt werden.
„Eine völlig auf Lügen und Täuschung und nicht auf Nullen und Einsen basierende Kryptowährung”