Nowitzkis Erbe
Der Deutsche NBA-Star ist längst zum Lehrer für Jungstar Luka Doncic geworden.
DALLAS Den „zweiten Michael Jordan“fand die NBA einst in Kobe Bryant, der dem Unvergleichlichen fast beängstigend erfolgreich nacheiferte in Sachen Punkte und Titel, Athletik, Arroganz und Arbeitseifer an der Grenze zur Besessenheit. Einen „zweiten Nowitzki“aber, exotisch in Herkunft wie auch Charakter und Spielweise, würde es nicht geben. Damit hatten sich die Experten gerade abgefunden, nach beinahe zwei Jahrzehnten gescheiterter Experimente mit Halbriesen wie Nikolos Zkitischwili (Georgien) und Darko Milicic (Serbien), Hasheem Thabeet (Tansania) und Yi Jianlian (China).
Doch jetzt ist da Luka Doncic. Ein gerade 20-Jähriger, der schon in seiner ersten Saison in der besten Basketball-Liga der Welt viel besser ist als Nowitzki bei seinem Debüt vor knapp 20 Jahren. Der sich nicht herumschubsen lässt, hinten geschickt verteidigt und vorne zaubert. Doncic ist verblüffend frei von Selbstzweifeln, aber nicht verbissen, sondern vergnügt und voller Charisma. Und trifft und trifft und trifft. Per Dunk, von jenseits der Drei-Punkte-Linie, wenn’s sein muss auch von der Mittellinie – und von überall sonst.
Dass der gelernte Flügelspieler Doncic auf Nowitzkis Position und in dessen Mannschaft glänzt, ist ein schöner Zufall. Dass er aber spielt, wie er spielt, scheint geradezu folgerichtig. Doncics Vater Sasa war Basketballstar in Slowenien, dessen Einwohner verrückt sind nach diesem Spiel. Sein Patenonkel ist Radoslav Nesterovic, der sich zwölf Jahre als Wühler in der NBA behauptete. Seit er sieben Monate alt ist, soll Doncic in seinen Basketball vernarrt gewesen sein. Der Legende nach ließ ihn sein erster Trainer schon nach einer Viertelstunde mit Jungs spielen, die drei und vier Jahre älter waren.
Doncics Talent sei offensichtlich gewesen, erinnert sich Coach Jernej Smolnikar: „Er sah Passwinkel, die sonst niemand sah, und hatte den Mut, aus dem Dribbling rückwärts hinter die Drei-Punkte-Linie zurückzuspringen, um von dort zu werfen. Auch wenn er die ersten drei Jahre lang nicht traf.“Doch Doncic lernte umzusetzen, was ihm einfiel. Und er wuchs. Mit 13 kratzte er an der 1,90-Meter-Marke, erzielte 54 Punkte in einem Spiel – und wechselte von Union Olimpija Ljubljana zu Real Madrid, auch im Basketball eine der besten Adressen in Europa. Mit 16 gab Doncic sein Profi-Debüt für Real. In vier Saisons gewann er drei Meisterschaften und zwei Ligapokale. Zum krönenden Abschluss im Oktober 2018 führte er seine Mannschaft als wertvollster Spieler auch zum Euro-League-Titel, dem Pendant zum Gewinn der Champions League im Fußball. 2017 war der große Junge zweitbester Mann beim Gewinn der Heim-EM mit Sloweniens Nationalteam – nur knapp hinter Superstar Goran Dragic, einst Mitspieler von Doncics Vater.
Luka Doncics ungewöhnliche Qualitäten lobt auch André Voigt, Chefredakteur des Basketballmagazins „Five“: „Er hat das Spiel sehr früh verstanden. Dazu zeigt er, wie man Mängel bei Schnelligkeit und Sprungkraft mit Technik und Cleverness kompensieren kann.“Tatsächlich bringt Doncic mit aufreizender Geduld, frechen Finten und einem ganzen Bündel unkonventioneller Bewegungen Verteidiger aus dem Gleichgewicht. Der nüchterne Nowitzki frohlockt: „Er ist wie ein Matador. Er liebt es, mit spektakulären Aktionen die Fans aufzupeitschen.“
Mit dieser Spielweise begeisterte der 2,01 Meter große und 99 Kilo schwere Brecher mit dem Babyface selbst die US-Öffentlichkeit für sich, die das Geschehen im Rest der Welt meist ignoriert. „Tank for Luca!“lautete vergangene Saison der Schlachtruf von Fans aller möglichen NBA-Teams. Übersetzt: Verliert bitte absichtlich – damit Ihr größere Chancen habt, in der zentralen Talentbörse Doncic verpflichten zu dürfen. Das gelang am Ende den Mavericks, die Doncic seit Jahren beeindruckt beobachtet hatten.
Und der ächzt nicht unter dem Druck, sondern glänzt auf der großen Bühne: Nach der ersten Hälfte der Saison war er mit rund 21 Punkten, sieben Rebounds und fast sechs Korbvorlagen im Schnitt der beste „Neue“der gesamten Liga.
Ein zweiter Nowitzki im engeren Sinne ist Doncic aber dennoch nicht. Denn der Würzburger hatte die eiserne Aufteilung zwischen kleineren Dribblern und Schützen einerseits sowie den großen Jungs für die oft nahkampfartige „Drecksarbeit“am Korb andererseits aufgebrochen. Doncic hingegen revolutioniere seine Position nicht. Muss er aber auch nicht. In der heutigen NBA gibt es keine starren Regeln mehr, die gebrochen werden könnten. Kaum mehr Raum für Revolutionen, aber auch keine Notwendigkeit. „Ein paar Jahre Krafttraining und die richtige Ernährung könnten Doncic vorne unaufhaltsam und hinten unbezwingbar machen“, schwärmt die „Sports Illustrated“.
Dirk Nowitzki, sonst darauf bedacht, bei allem Lob vor allem den Erwartungsdruck auf junge Mitspieler zu drosseln, widerspricht nicht: „Mir gefällt wirklich sehr gut, was ich da sehe.“Trainer, Mitspieler und Fans würden „über lange, lange Zeit viel Spaß mit ihm haben“. Nowitzkis Hauptaufgabe ist längst die Weitergabe seines Wissens an Doncic. Eines Tages soll wieder der NBA-Titel für die Mavericks her. Der zweite überhaupt. Der erste ohne Nowitzki. Wenn der bald abtritt, hinterlässt er mächtige Fußspuren, in Größe 54, nach amerikanischer Messung 15. Riesig. Aber Doncic trägt 16.