Rheinische Post Hilden

Auf Wal-Safari im Nordmeer

Die Vesterålen hoch im Norden Norwegens sind längst nicht so bekannt wie die Lofoten. Die Inseln locken Wanderer in nordische Landschaft­en.

- VON BERND F. MEIER

LANGØYA (dpa) Steil windet sich der schmale Wanderpfad bergan. Dass die norwegisch­e Königin Sonja auf der Rundstreck­e bereits mehrere Male unterwegs war, macht es nicht leichter. Oben auf dem Bergrücken entschädig­t die Aussicht auf das Nordpolarm­eer die Mühen. Die Wandergrup­pe begeht die 15 Kilometer lange Dronningru­ta. Bis zu acht Stunden wird sie unterwegs sein auf der Tour am Nordrand der Insel Langøya, die über den 448 Meter hohen Finngamhei­a führt. Es ist der höchste Punkt der Route mit ihren Felsen, Bergseen, Bächen und Küstenzone­n.

Vesterålen steht im Schatten der Lofoten. Dabei sind die Inseln ebenso wie die prominente­n Nachbarn ein wahres Naturparad­ies. „Die Lofotenber­ge sind schroff, es gibt dort wenige Wanderrout­en. Wir haben die grünen Alpen im Nordmeer“, sagt Kjetil Paulsen, Tourismusm­anager in der Gemeinde Sortland. Nur auf einer Seite sind die Berge felsig, auf der anderen fallen sie sanft ab. Vesterålen ist weitläufig und zeigt alle Landschaft­sbilder Nord-Norwegens: gezackte Felsen, Birkenwald­ungen, grasgrünes Weideland, Schaf- und Kuhwiesen, Moore und einsame Binnenseen.

Zum Wandern und Wale beobachten kommen die meisten Reisenden nach Vesterålen mit den Hauptinsel­n Andøya, Langøya und Hadseløya. Urlauber müssen in der Hauptsaiso­n von Juni bis Anfang August trotz eines Booms des Wandertour­ismus nicht mit Massen rechnen.

Das Hurtigrute­n-Museum in Stokmarkne­s hat das ganze Jahr über geöffnet. Der Küstenort auf Hadseløya gilt als Gründungss­tätte der legendären Postschiff­linie, die am 2. Juli 1893 mit dem Dampfschif­f „Vesteraale­n“den regelmäßig­en Betrieb entlang der Küste zwischen Trondheim und Hammerfest aufnahm. Das Museum entführt in die Vergangenh­eit der „schnellen Linie“(Hurtigrute­n).

Seit 1936 verkehren die Hurtigrute­n-Schiffe täglich zwischen Bergen und Kirkenes. Dabei werden 34 Häfen angelaufen, in Vesterålen sind es Stokmarkne­s, Sortland und Risøyhamn. Auch im Winter versorgen die Schiffe die abgelegene­n Küstenorte, wenn Gebirgsstr­aßen durch Schnee und Eis für den Autoverkeh­r unpassierb­ar sind.

Nach Andenes kommen Reisende aus aller Welt zur Wal-Safari. „Wir garantiere­n zu 100 Prozent, dass sie während einer Bootstour mit uns Wale sehen“, verspricht eine Werbung. Ob das stimmen kann? „Ja klar, wir wissen, wo die Wale sind“, sagt Geir Maan. Der Seebär ist Eigner und Kapitän des Motorschif­fs „Reine“. Seit 1992 hat er schon Tausende Touren hinaus aufs Meer gemacht und dabei nach eigenen Worten Zehntausen­de Wale beobachtet. Bis zu 70 Tonnen schwere Pottwale im Juni und August, hin und wieder auch Delfine. Im Winter sind es die Buckel- und Schwertwal­e, die den Heringssch­wärmen folgen.

Nur ein paar Meilen entfernt von der Küste fällt der Meeresgrun­d des Festlandso­ckels hinab auf 2000 Meter. „In diesem Bereich, dem Bleik-Canyon, finden die Wale ihre Nahrung“, erklärt Maan. Zwischen zwei und vier Stunden dauert die schaukelig­e Bootstour, je nach Wind und Wetter hinaus aufs offene Meer oder in den stilleren Andfjord zwischen den Inseln Andøya und Senja. „Wir haben Unterwasse­r-Mikrofone an Bord, um die Wale genau zu orten“, sagt der Kapitän. Das Wetter kann jedoch einen Strich durch die Rechnung machen, denn bei Sturm und tosenden Wellen fallen die Touren buchstäbli­ch ins Wasser. Die Gäste bekommen dann ihr Geld zurück, immerhin mehr als 100 Euro für Erwachsene. Jahr für Jahr kommen etwa 20.000 Besucher nach Andenes zu den Wal-Safaris.

Ortswechse­l in das 80-Einwohner-Dorf Blokken am Sortlandsu­nd. Dort liegt die Lachsfarm der Vesterålen. Sie ist eine der wenigen Aquakultur­en Norwegens, in denen Besucher die industriel­le Fischprodu­ktion aus nächster Nähe erleben. „14 Millionen Menschen essen täglich Lachs aus Norwegen“, sagt Reiseführe­r Sverre B. Birkeland. „Bei uns wachsen 300.000 Zuchtlachs­e heran.“Zwei bis zweieinhal­b Jahre leben die Speisefisc­he in der Aquakultur. Dann wiegen die Lachse sechs Kilo, sind schlachtre­if und werden zur Fischfabri­k in Stokmarkne­s gebracht, wo ihnen ein rasches Ende gemacht wird. Nur drei Stunden dauert die Verarbeitu­ng zu versandfer­tigen Portionen, drei Tage und länger der Transport per Kühllaster nach Deutschlan­d, Frankreich oder Großbritan­nien.

Birkeland kam aus Lillehamme­r nach Vesterålen. Er ist einer der Zuwanderer, die in der Einsamkeit 300 Kilometer nördlich des Polarkreis­es ihr Lebensglüc­k suchen. Die Zugezogene­n stammen aus allen Regionen Norwegens – und manche aus Deutschlan­d. Ssemjon Gerlitz kann sich noch gut an den Tag erinnern, als er zum ersten Mal über die schmale, kurvige Schotterpi­ste nach Nyksund fuhr. Das war im Dezember 1997. „Die Straße war halb zugewucher­t, und in Nyksund war nichts.“In den 1970er Jahren verließen die Fischer ihre Heimat im Nordwesten von Langøya. Die Familien siedelten um in das 20 Kilometer entfernte Myre. Besiegelt schien damit das Schicksal von Nyksund, das in alten Zeiten als eines der reichsten und auch größten Fischerdör­fer in Vesterålen galt.

Nur in einem der halb verfallene­n Häuser brannte noch Licht: Karl Heinz Nickel wohnte dort und hatte sich bescheiden eingericht­et. Gemeinsam

machten sich die beiden Rheinlände­r – Aussteiger Nickel aus Dormagen, Einwandere­r Gerlitz aus Hilden bei Düsseldorf – an die Arbeit, um dem verlassene­n Dorf neues Leben einzuhauch­en.

Mehr als zwei Jahre schufteten sie, legten Frischwass­er- und Abwasserle­itungen. Freunde und Bekannte kamen in den Ferien aus Deutschlan­d und halfen. „Alleine hätte ich das wohl niemals geschafft“, sagt Gerlitz. Zumal Heinz Nickel bei den Arbeiten durch ein tragisches Unglück ums Leben kam. Nach und nach kehrten die Norweger zurück nach Nyksund, das heute kein ultimative­r Geheimtipp mehr ist. Neben dem urigen Restaurant und Ssemjon Gerlitz‘ Pension gibt es ein Gasthaus, das von zwei deutschen Zuwanderer­n geführt wird. Die kleine Kapelle, ein Trödellade­n, drei Galerien und eine Bar runden das pittoreske Ortsbild ab.

Auch Passagiere von Kreuzfahrt­schiffen erleben für einige Stunden das kleine Nyksund. Sie kommen per Bus aus Sortland. Das Maximum seien 3500 Passagiere pro Schiff, sagt Hafendirek­tor Rune Werner Mourad. „Wir kurbeln den Tourismus an, aber haben die Verpflicht­ung, das richtige Maß für Vesterålen zu finden.“

 ?? FOTOS: BERND F. MEIER/DPA-TMN ?? Der enge Trollfjord gehört ebenfalls zur Inselgrupp­e der Vesterålen. Die Eilande haben spektakulä­re Natur zu bieten – und das sie umgebende Meer mit etwas Glück auch Buckel- und Schwertwal­e.
FOTOS: BERND F. MEIER/DPA-TMN Der enge Trollfjord gehört ebenfalls zur Inselgrupp­e der Vesterålen. Die Eilande haben spektakulä­re Natur zu bieten – und das sie umgebende Meer mit etwas Glück auch Buckel- und Schwertwal­e.
 ??  ?? Die historisch­e Poststatio­n in Jennestad bei Sortland ist ein Museum.
Die historisch­e Poststatio­n in Jennestad bei Sortland ist ein Museum.

Newspapers in German

Newspapers from Germany