Ganz großes Kino
Die Künstlerinnen Lena Willikens und Sarah Szczesny haben den Kunstverein in einen Erlebnisraum verwandelt.
Schuhe aus! So lautet vor Eintritt durch einen japanischen Vorhang die erste Einstimmung. Der Lappen ist schwarz und soll die bösen Geister abwenden. Man wird auf weißem Teppich laufen, auf bemalten Kissen bodennah Platz nehmen. Ach, und die Nase meldet ein exaltiertes Parfum. Noch Stunden später ist es nicht verduftet. Die Augen wissen nicht, wo sie beginnen sollen zu schauen. Der Hals dreht nach links, rechts, oben, unten. Ein ganzer Raum wurde aufgefüllt mit Kunst verschiedener Herkunft. Videos, Musik, bemalten Leinwänden, belebten Böden, Kissen, ausrollbaren Manifesten, Kostümen für Akteure. Eine besondere Art von Container, stimulierend und simulierend. Mixed-Media-Kunst. Wie ein Behältnis für die Collage der Möglichkeiten von Leben.
Wer jung und offen ist, wird für sein Leben so ähnliche Empfindungen aufbringen wie die Künstlerinnen Lena Willikens und Sarah Szczesny, die ihre Befindlichkeit in künstlerische Formen gießen. Statische Objekte oder Bilder an den Wänden wären nicht genug, sie spiegelten das Gefühl von heute, von Rauschen und digitaler Welt, nicht mehr wider. In diesem künstlich und künstlerisch hergestellten Raum greift alles schön verwirrend ineinander. Dabei verschmilzt Musik mit bewegten Bildern, die Architektur wankt mit heruntergezogenen Decken, und sie wandelt sich ständig unter performativ wirkenden Eingriffen.
„Kuriositätenkabinett“nennen die Akteurinnen diese Ausstellung im Kunstverein, was vielleicht auf die Wunderkammern des Barock verweist. Das Leben hat sich seitdem sehr verändert. Die Wunderkammer anno 2019 beherbergt keine, wenn auch beredten, so doch starren Gegenstände. Ihre imaginären Regale sind gefüllt mit Soundfragmenten und Schwarzem Theater, an verschiedenen Stellen der Videos blitzen Zitate der Geschichte von Celebrities wie Mario Montez auf, Maria Callas oder Anna Oppermann. Es existiert kein klares Narrativ. Interviewfragmente, Dialogsequenzen und poetische Einsprengsel sollen Momente heraufbeschwören, in denen Leid durch gesellschaftliche und innere Zwänge greifbar wird. So stellen sich das die Künstlerinnen vor. Es wirkt. „Und das hat etwas Befreiendes“, sagt Sarah Szczensny.
„Phantom Kino Ballett“nennen die beiden die Ausstellung, mit der sie von Ort zu Ort ziehen und nun in ihrem ehemaligen Studienort Düsseldorf gelandet sind. Beide haben an der hiesigen Kunstakademie studiert, Willikens ist viel mehr der Musik zugewandt als ihre Partnerin, hat sich mit DJ-Sets und elektronischen Musikproduktionen einen Namen gemacht. Regelmäßige Besucher des Düsseldorfer Salon des Amateurs kennen und schätzen sie, weil sie dort auflegte.
Sarah Szczesny hingegen nennt sich weiterhin Malerin, die Schülerin von Rosemarie Trockel will allerdings neue Wege der Malerei beschreiben, daneben die Materialität von Medien und visueller Kultur untersuchen. Kennengelernt haben sie einander im Dunkel der Nacht, in der Clubszene von Köln und Düsseldorf. „Der Club ist ein Ort, wo wir uns zuhause fühlen“, sagt Szczesny, weil es dort laute Musik gebe und wenig Raum für intellektuelle Gespräche. Das verbindet sie und lieferte Impulse und Energie für die gemeinsame Arbeit. Zuvor hatten sie beide nicht mit Videos gearbeitet, erzählt Szczesny, und dass sie sich an ihrem amateurhaften Zugang erfreuen konnten.
Der Ausgangspunkt für „Phantom Kino Ballett“war die Musik, es folgten die bewegten Bilder, die Wortbeiträge, die Kostüme, die Installationen. Den gewaltigen Raum zu
verstehen, erfordert einiges an Hingabe. Man muss sich einlassen. Bei gegebenem Anlass gesellen sich die Künstlerinnen und ihre Gäste dazu. Dann verstehen sie sich als Phantome im Raum, als wandelnde Platzhalter für weitere Malerei und Musik. Dazu haben sie eigens die Kostüme angefertigt und bemalt. Ist die Performance gerade nicht zugange, ist die Arbeit dennoch nicht eingefroren, da stets Bewegung stattfindet im schwarz-weißen Rundum-Erlebnisraum.
Die Videos sind nacheinander geschaltet, es weht ein Wind durch alle Gehirnwindungen, von den Sinneseindrücken getrieben, dreht sich der Besucher im Kreis. Der Soundtrack sei so etwas wie ein abstraktes Hörspiel aus Musik, Rede und ungefilterten Klangaufzeichnungen, sagt Szczesny. Das Aufregende sei der ständige Wandel: „Alles ändert sich mit den neu hinzukommenden Bildern und Sounds.“Während sie – ohne dass sie es kritisch meint von einem „hysterischen Flickenteppich“spricht, fühlt man sich im Kunstverein derzeit ein bisschen wie im Club. Man könnte beginnen zu tanzen.