„Drei Ministerien für den Osten“
Brandenburgs CDU-Spitzenkandidat findet, dass zu wenig Ostdeutsche im Bundeskabinett sind. Zudem spricht er über die Gründe für die hohen AfD-Werte im Osten – und über die ewige Großbaustelle Flughafen.
BERLIN Ingo Senftleben ist nur auf Stippvisite in Berlin-Mitte in unseren Redaktionsräumen. Im Anschluss fährt er wieder mit dem Regionalzug nach Brandenburg. Der CDU-Spitzenkandidat ist im Wahlkampf auf Wandertour durch sein Heimatland. Am 1. September wird gewählt.
Sie hatten sich jemanden aus Ostdeutschland für die Nachfolge von Ursula von der Leyen im Bundeskabinett gewünscht. Nun ist CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer Verteidigungsministerin geworden. Sind Sie enttäuscht? SENFTLEBEN Nein, das ist eine gute Entscheidung. Trotzdem bilden wir den Osten nicht stark genug ab an der Spitze der Bundesregierung und der Bundespartei. Das muss sich ändern. Denn 30 Jahre nach dem Mauerfall muss den Ostdeutschen endlich die Sicherheit gegeben werden, dass sie mit den Westdeutschen auf Augenhöhe und keine Bürger zweiter Klasse sind. Auch weil das immer noch nicht überall geschieht, ist die Stimmung im Osten schlechter als im Westen. Mir tut das weh. Denn der Mauerfall war unser größtes Glück.
Wie sollte das Bundeskabinett dann aussehen?
SENFTLEBEN Wir können als Ostdeutsche genauso selbstbewusst auftreten wie die Bayern oder Nordrhein-Westfalen oder Saarländer. Wenn die CSU wie selbstverständlich drei Ministerposten im Bundeskabinett verlangt, und nun auch das Saarland drei Ministerien besetzt, hat der Osten auch das Recht dazu.
Was können Ostdeutsche besser? SENFTLEBEN Wir Ostdeutsche haben ein Gütesiegel: Wir waren nach der Wende massiv zu Veränderungen bereit und stark genug, sie umzusetzen. Da können andere von uns lernen, vor allem in der heutigen Zeit, in der vieles im Umbruch ist.
Wie wollen Sie den Graben zwischen Ost und West überwinden? SENFTLEBEN Es geht um Respekt und Verständnis füreinander. Wir reden noch immer zu viel über einander, aber wir reden zu wenig miteinander. Viele Westdeutsche und Ostdeutsche wissen gar nichts von der jeweiligen Lebenssituation der anderen. Kein Gesetz, kein Politiker kann Respekt vorschreiben. Die Frage muss sein, wer bist Du, und nicht, woher kommst Du? Und wie und wo begegnen wir uns? Setzen wir uns mit anderen auf die Parkbank oder versuchen wir, größtmögliche Distanz zu halten?
Und die Politiker müssen auch auf die Parkbank?
SENFTLEBEN Natürlich. Wir müssen auf die Parkbank.
Wann wird eigentlich der Großflughafen Berlin-Brandenburg eröffnet?
SENFTLEBEN Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht. Und es weiß auch keiner so genau. Aber die Länder Berlin und Brandenburg sagen doch weiterhin offiziell, der Flughafen werde im Oktober 2020 eröffnet?
SENFTLEBEN Ja, aber es glaubt doch keiner mehr an diesen Eröffnungstermin 2020. Wenn ich Ministerpräsident werde, werde ich sofort einen unabhängigen Sonderermittler hinschicken, der genau in die Bücher schaut und uns klipp und klar sagt, wo wir wirklich stehen. Das Schlimme ist, dass beim größten Berlin-Brandenburger Bauprojekt kein Mensch mehr den Aussagen der Verantwortlichen glaubt. Das ist ein Desaster. Ministerpräsident Dietmar Woidke hat seit sechs Jahren jeden Tag den größten Bogen um diese Baustelle gemacht. Das werde ich anders machen. Ich bin gern auf Baustellen.
Warum ist die AfD in Brandenburg so stark?
SENFTLEBEN Das ist zum Teil eine direkte Folge der schlechten Bilanz der Landesregierung von SPD und Linken. Der Staat macht in Brandenburg nicht seinen Job. Es sind nicht genügend Lehrer da, Schulen wurden geschlossen, es fehlen Polizisten, der öffentliche Nahverkehr nach Berlin hat große Lücken. Wir brauchen aus allen Regionen Direktverbindungen der Bahn in die Hauptstadt. Die Menschen wollen auf die Bahn umsteigen, aber die Züge fahren nicht oft genug und nicht direkt. Wir haben die längsten Gerichtsverfahren und die wenigsten Ärzte. Es gibt einen gemeinsamen Landesentwicklungsplan mit Berlin, der in entfernteren Dörfern Brandenburgs den Bau von Einfamilienhäusern untersagt, damit Freiflächen erhalten werden. Was dazu führt, dass im ohnehin schon teuren Speckgürtel die Miet- und Baupreise noch weiter steigen. Das verhindert Aufschwung in den Regionen. Und das organisiert Frust. Wir brauchen endlich eine Politik, die sich darum kümmert, dass diese Probleme gelöst werden.
Wenn in Brandenburg Rot-Rot Schuld am Erstarken der AfD ist, hat auch die CDU-geführte Regierung in Sachsen Schuld an der Stärke der AfD dort.
SENFTLEBEN Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer ist seit Ende 2017 im Amt und hat umgesteuert. Er hat mehr Lehrer und mehr Polizisten eingestellt. Die sächsische Union hat reagiert. Und wichtig ist auch, die AfD nicht weiter zur Opferpartei zu machen. Zum Beispiel, indem wir ihr grundlegende Rechte verwehren wie den Posten des Bundestagsvizepräsidenten im Bundestag.
Kann man Linke und AfD in einem Atemzug nennen, wie es die CDU in ihrem Bundesparteitagsbeschluss tut und eine Koalition mit beiden Parteien ausschließt? SENFTLEBEN Nein. In Brandenburg nicht. Die Linke ist seit zehn Jahren an der Regierung und hat mit Beschlüssen auch zu guten Entscheidungen beigetragen. Bei allen Differenzen, die ich mit ihr habe.
Mit wem wollen Sie eine Regierung bilden?
SENFTLEBEN Das wird keine leichte Regierungsbildung. Ich möchte einen Politikwechsel und einen neuen Politikstil und werde deswegen nach der Wahl mit jeder Partei sprechen und mit der AfD keine Koalition eingehen. Ich möchte, dass wir im Landtag die besten Ideen umsetzen, gleich wer sie ausgesprochen hat.
Für Sie wäre eine CDU-Minderheitsregierung und eine Koalition mit der Linken denkbar? SENFTLEBEN Welche Mehrheiten es geben kann, entscheiden die Wähler am 1. September. Wir wollen gestalten und möglichst viel von unserem Programm umsetzen. Und wir lassen als erster CDU-Landesverband die CDU-Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen.