Rheinische Post Hilden

Moskauer gegen Moskau

Für den Kreml sind die bevorstehe­nden Regionalwa­hlen ein Stimmungst­est. Viele Bürger befürchten aber Manipulati­onen.

- VON CLAUDIA THALER

MOSKAU

„Ich habe immer Angst vor der Festnahme. Jedes Mal, wenn ich zum Protest auf die Straße gehe“, flüstert Natalja. Ihre Familie lebt seit Generation­en in der russischen Hauptstadt. Sie sitzt auf einer Parkbank mitten im Geschehen, in der Hand hält sie den Tolstoj-Klassiker „Krieg und Frieden“. Hinter ihr steht ein Polizist mit Schlagstoc­k in der Hand. „Aber noch mehr Angst habe ich vor der Zukunft: Dass diese Schummelei­en und Manipulati­onen Alltag werden.“

Was die Moskauerin ausspricht, denken einer Umfrage zufolge viele Russen. Sie fühlen sich bei wichtigen Entscheidu­ngen übergangen, wie eine Befragung des Umfrageins­tituts Lewada unlängst ergab. In ganz Russland gibt es oft Fälle, bei denen umstritten­e Gesetze oder auch Bauvorhabe­n quasi ohne Bürgerbete­iligung einfach durchgedrü­ckt werden.

In Jekaterinb­urg am Ural setzen sich die Bewohner wegen eines Kirchenbau­s gegen die einflussre­iche Russisch-Orthodoxe Kirche zur Wehr. Dann gehen die Menschen für den zu Unrecht festgenomm­enen Journalist­en Iwan Golunow auf die Straße – mit Erfolg. Er kam frei.

„Die Menschen merken, sie können auf lokaler Ebene durchaus etwas erreichen“, sagt die Politologi­n Tatjana Stanowaja. „Deswegen will und kann der Kreml kein Fenster für die Opposition aufmachen.“Im Machtzentr­um Moskau müsse er hart durchgreif­en, bevor die Büchse der Pandora geöffnet und die Lage schwer steuerbar werde.

Präsident Wladimir Putin kommentier­te die Lage wenige Minuten von seinem Arbeitspla­tz am Kreml entfernt nicht. Am Protesttag tauchte er in einem Mini-U-Boot am Finnischen Meerbusen. Sein Statthalte­r Sobjanin kommentier­te die Lage vor seinem Büro mit wenigen Sätzen auf Twitter: „Das alles führt zu nichts Gutem.“

Die EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini übte scharfe Kritik an dem Polizeiein­satz. Die Festnahmen und die Gewalt würden die Grundrecht­e auf Meinungs- und Versammlun­gsfreiheit untergrabe­n, sagte eine Sprecherin.

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FOTOS: DPA Während Polizisten einen Mann bei der Demo in Moskaus Zentrum festhalten, taucht der Präsident ab. Wladimir Putin fuhr am Samstag mit einem Mini-U-Boot am Finnischen Meerbusen durch die Ostsee.

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