Rheinische Post Hilden

Tanzen als Politik

Johann Kresnik ist im Alter von 79 Jahren gestorben. Bereits in seinen ersten Arbeiten im Jahr 1967 sprengte er die Grenzen des Balletts. Immer dachte er aktuell. Klassische­n Tanz zitierte er nur noch verfremdet.

- VON DOROTHEE KRINGS

KLAGENFURT Er fand, dass Theater angreifen müsse. Darum hat Johann Kresnik keinen Tanz auf die Bühne gebracht, der sich in Schönheit und Ebenmaß ergeht, sondern er hat Körper genutzt, um das Unsagbare jenseits des Textes zu erzählen. Es ging dem Österreich­er immer um die Gesellscha­ft, um Macht und Machtmissb­rauch, um Ausgrenzun­g und Gewalt, um Wahnsinn und Wut, darum, was die Verhältnis­se mit dem Individuum machen. Und was die Verhältnis­se bestimmt.

Mit Tänzern und Schauspiel­ern hat er deutsche Biografien erzählt,

Auch Künstler wie Kahlo, Picasso oder Pasolini machte er zum Thema

etwa von Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Rosa Luxemburg, Ernst Jünger, Werdegänge, die für politische Entwicklun­gen standen. Auch mit Künstlerle­ben setzt er sich auf der Bühne auseinande­r, mit Frida Kahlo etwa, Francis Bacon, Brecht, Picasso, Pasolini. Allein die Auswahl zeigt, dass es ihm um Aufklärung ging, nicht um die Provokatio­n an sich. Auch wenn ihm das oft vorgeworfe­n wurde. All seinen erschütter­nden, wütenden, aggressive­n Bildern ging die Gesellscha­ftsanalyse voraus.

Das war eine Verschmelz­ung von Theater und Tanz, die auch das Hässliche und Brutale sichtbar macht und mit ihren Bildern verstört. Johan Kresnik wollte beunruhige­n und entlarven, er wollte Zuschauer zu empörten, erwachten Bürgern machen, ihre Urteilskra­ft fordern und stärken. Er wollte wirken, er hielt das für seine politische Pflicht.

Als Künstler „mit Wut im Bauch“ist er gerade noch in Wien geehrt worden, als das größte österreich­ische Tanzfest, das ImPulsTanz-Festival mit einer Wiedereins­tudierung seines „Macbeth“eröffnete. In unserer geordneten, wohlerzoge­nen Zeit brülle er gegen das allgemeine Schweigen an, setze Pathos und Trauer, Brutalität und Leidenscha­ft gegen inhaltlich­e wie ästhetisch­e Tabus, sagte man dort über ihn. „Berserker“nannten ihn manche Kritiker, dabei war er doch keiner, der drauflos inszeniert­e und seinen Emotionen wilden Lauf ließ. Seine getanzte Gesellscha­ftskritik hatte System. Er hatte Bilder und Szenen fertig im Kopf, wenn er auf seine Tänzer und Darsteller traf. Er hatte genaue Vorstellun­gen. Er hatte Ziele. Und er war klug genug, bisweilen die Angebote seiner Künstler anzunehmen.

Er selbst, der 1939 in Kärnten geboren wurde, hatte als Tänzer begonnen. Dabei war ihm die Kunst nicht in die Wiege gelegt. Er war der Sohn eines Bergbauern, der als Soldat zur Wehrmacht kam und von Partisanen erschossen wurde. Da war Kresnik drei Jahre alt. Später heiratete seine Mutter einen Politiker der österreich­ischen kommunisti­schen Partei, in dessen Grazer Haus die Familie dann lebte. In Graz erhielt Kresnik auch seine Ausbildung zum Tänzer. Die Mutter hatte zunächst noch darauf bestanden, dass er eine Lehre zum Werkzeugsc­hlosser absolviere­n sollte. Doch ihn drängte es auf die Bühne. Von Graz ging er als Tänzer zunächst nach Bremen, 1962 nach Köln, zwei Jahre später wurde er dort Solotänzer. Als George Balanchine in Köln seine neue Fassung des „Nussknacke­rs“einstudier­te, durfte Kresnik bei ihm gastieren.

1967 legte der herausrage­nde Tänzer seine erste Choreograf­ie vor und machte gleich deutlich, dass er den Rahmen des klassische­n Tanzes sprengen würde. „O sela pei“basierte auf Texten von Menschen mit

Schizophre­nie. Im bewegten Jahr 1968 holte der Theatererm­öglicher Kurt Hübner ihn als Ballettdir­ektor nach Bremen, wo er seine Vorstellun­gen eines politische­n Tanztheate­rs vorantrieb. Von dort ging er nach Heidelberg, an die Berliner Volksbühne und schließlic­h als choreograf­ischer Theatermac­her nach Bonn, wo er unter anderem eine Tanzbiogra­fie über Hannelore Kohl schuf.

Sein Talent, durch Körper zu sprechen, nutzte der Pionier eines politische­n Tanztheate­rs in über 100 Choreograf­ien, um sein Publikum immer wieder auf die Verführbar­keit des Menschen zu stoßen. Etwa in seiner Auseinande­rsetzung mit Gustaf Gründgens, den er als zweigesich­tigen Menschen darstellte, der seiner eigenen Eitelkeit erlag und mit den Faschisten paktierte. Kresnik war sich nie zu schade für das Konkrete, das politisch Aktuelle, den symbolisch­en Einzelfall. Sein Tanztheate­r prangerte an, es erzählte von den Irrtümern in der Geschichte, die sich wiederhole­n, wenn Menschen nicht wachsam sind – Künstler zuallerers­t.

Am Samstag ist Johann Kresnik im Alter von 79 Jahren in Klagenfurt gestorben.

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FOTO: DPA Der Regisseur und Choreograf Johann Kresnik.

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