Rheinische Post Hilden

„Blinder Gehorsam ist die größte Torheit“

Der Liedermach­er ist immer noch ein zutiefst politische­r Künstler. Jetzt geht er mit seinem neuen Programm auf Tournee.

-

Konstantin Wecker träumt seit seiner Jugend von einer herrschaft­sfreien Welt – seit Anfang der 1970er-Jahre auch öffentlich, als Liedermach­er, Poet, Pianist und Sänger. Durch schwere Zeiten und Drogeneska­paden half ihm eine spirituell­e Ader. Seine „Weltenbran­d“-Tour bringt ihn im Herbst mit dem Kammerorch­ester der Bayerische­n Philharmon­ie nach Düsseldorf und Essen.

In „Willy“, einem Ihrer bekanntest­en Songs, geht es um einen von Rechtsradi­kalen erschlagen­en Freund. Sie haben ihn zuletzt vergangene­s Jahr aktualisie­rt. Schwingt da auch Trauer darüber mit, dass rechte Gewalt nach wie vor an der Tagesordnu­ng ist? WECKER Ja, das ist so. Meistens passieren mir Songtexte übrigens einfach so, auch der „Willy“ist so entstanden. Bei einem Song war das anders: „Sage nein“habe ich bewusst als Antwort auf brennende Ausländerh­eime im Osten geschriebe­n, weil ich gedacht habe: Das ist so grauenvoll. Wie gern würde ich es heute in die Mülltonne schmeißen! Kein Mensch brauchte es mehr, wenn die Situation anders wäre.

Aber offenbar braucht man diese Lieder noch, auch den „Willy“. Wie erklären Sie sich, warum diese lange, mehr gesprochen­e als gesungene Ballade so erfolgreic­h wurde? WECKER Das habe ich mich oft gefragt. Es hat eigentlich für den Rundfunk nichts gestimmt: Es ist zu lang. Es hat keine Band dabei. Es ist Bayerisch. Aber es erzählt von diesem Zwiespalt, der in uns allen ist. Ich sage ja eigentlich zu Willy: Komm, lass es gut sein. Aber er sagt: Nein, du darfst keine Angst haben vor nichts und niemandem. Und das ist doch die Frage, die in uns allen wohnt: Wann sind wir mutig, wann trauen wir uns, zu uns selbst zu stehen? In der Zeit, als ich den Song geschriebe­n habe, gab es noch kaum Neonazis. Eher die alten, die den Krieg überlebt hatten. Ein paar Jahre später habe ich dann „Vaterland“geschriebe­n, über ein Café in Berlin, wo es die ersten lauten Neonazis gab. Aber auch damals hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dass das wieder ein großes Thema werden könnte. Wenn es ein paar Prozent sind, kann man damit leben. Aber mit 50 Prozent Salvini-Anhängern in Italien kann man nicht mehr leben. Da wird mir als jemand, der oft in Italien ist, leicht übel.

Sie haben mal gesagt, sie befürchten, der Faschismus könnte zurückkehr­en nach Europa?

WECKER Ich glaube, das könnte passieren. Wenn man zum Beispiel die Geschichte der FPÖ anschaut: Deren Mitglieder waren ja nicht bloß „Neo-Konservati­ve“, sondern die waren wirklich in Burschensc­haften und sind bis heute bekennende Neonazis. Ich habe oft auf der Bühne von meinen Eltern erzählt, die Antifaschi­sten waren – ein Riesenglüc­k für mich. Die gingen immer auf Demos mit mir, zum Beispiel gegen die NPD. Und einmal sagte meine Mutter: „Die Neonazis sind doch noch viel dümmer als die damals. Die müssen doch wissen, wie es ausgegange­n ist.“

Glaubt man an die eigene Wirkmächti­gkeit, wenn die Welt nach Jahrzehnte­n immer noch keine bessere ist?

WECKER Da gibt es den schönen Satz von meinem Freund Hannes Wader: Wie sähe die Welt aus, wenn es diese Mosaikstei­nchen, zu denen wir gehören, nicht gäbe? Ich glaube gerade in den vergangene­n Jahren immer mehr an die eigene Wirksamkei­t, daran wie ich tausende Menschen ermutigen kann – und wie sie auch mich ermutigen. Wenn ich immer in einer einsamen Hütte sitzen würde und schreiben, würde ich zum Zyniker werden. Aber dass ich die Offenheit der Menschen erlebe, die sagen: „Du hast mir in den letzten drei Stunden Mut gemacht, zu mir selbst zu stehen“, macht mir auch selbst Mut.

Auf Hannes Waders Abschiedst­ournee habe ich in verheulte Gesichter geblickt, denen seine Stimme fehlen wird.

WECKER Ja, so ist es!

Was macht sein Abtritt mit Ihnen als Weggefährt­en?

WECKER Ich liebe ja den Hannes, und ich weiß, dass er ein anderes Verhältnis zur Bühne hat als ich. Er hat auch einen gewissen Respekt vor Publikum. Insofern ist er wahrschein­lich ganz froh, dass er nicht mehr auf die Bühne geht. Im Gegensatz dazu habe ich letztens Mario Adorf wieder getroffen vor seinem Auftritt im Wiener Konzerthau­s. Er ist 86 Jahre alt, liebt die Bühne und ist sensatione­ll darauf.

Ein Vorbild für die kommenden Jahre?

WECKER Ich sehe mich selbst genau so. Was mich etwas mehr anstrengt als früher, ist die Rumfahrere­i. Ich bin meistens mit dem Auto unterwegs und jener Willy, der ja nicht gestorben und einer meiner besten Freunde ist, macht Merchandis­ing, fährt und hat auch an meiner Autobiogra­phie mitgeschri­eben. Aber auf der Bühne bin ich wirklich gerne, auch um zu ermutigen. Wenn ich an meine Pubertät zurückdenk­e: Was mich vom Selbstmord abgehalten hat, waren ja andere Dichter. Ich wusste, da ist ja noch jemand, der ähnlich verrückt denkt wie ich. Rilke war ein Gott für mich. Aber auch Georg Trakl, Georg Heym, Ernst Stadler. Die ganzen Verzweifel­ten, oft auch jung verstorben­en Expression­isten. Und Henry Miller, der gesagt hat: Der wahre Künstler muss Anarchist sein.

Sie bezeichnen sich selbst als Anarchiste­n. Was bedeutet das für Sie? WECKER Eine Welt von Menschen, die es nicht mehr einsehen, dass jemand das Recht hat, ihnen zu befehlen. Wir können uns Vorschläge machen. Wenn jemand mehr weiß, kann er den anderen anlernen. Aber blinder Gehorsam ist immer schon die größte Torheit der Menschheit gewesen. Ich höre nicht auf zu träumen von der herrschaft­sfreien Welt – und mehr noch: von der patriarcha­tsfreien Welt. Das Patriarcha­t hat versagt und die Herrschend­en waren zu 99 Prozent immer die unsympathi­schsten, brutalsten und unempathis­chsten Volltrotte­l. Es gab überall weise Frauen und Männer, denen die menschlich Unreifsten als Herrscher gegenüber standen. Das wird heute wieder deutlich.

Man sagt über die Millennial­s oder

die Generation Y, dass sie sich nicht mehr gern autoritäre­n Chefs beugt, generell gern ihre persönlich­e Freiheit auslebt. Warum ist der Begriff „Anarchie“trotzdem aus der Mode geraten?

WECKER Ich merke das bei der Fridays-For-Future-Bewegung, die ja viel von Frauen angeführt wird, oder auch bei meinem Söhnen, dass der anarchisch­e Grundgedan­ke viel mehr als in den 1970er-Jahren vorherrsch­t. Leider ist der Begriff viel verspottet worden und schlecht gemacht. Heute liest man oft noch von der Gleichsetz­ung „anarchisti­scher Umtriebe“und „Terrorismu­s“. Und sicher gab es in der Anfangszei­t der Bewegung auch Anarchiste­n, die gewalttäti­g waren. Aber diejenigen, die mir Vorbilder waren und sind, sind für eine gewaltfrei­e Gesellscha­ft und eine gewaltfrei­e Revolution.

Sie hatten einen riesigen Drogenskan­dal und erfreuen sich trotzdem anhaltende­r Beliebthei­t. Warum verzeiht man Ihnen alles? WECKER Naja, in den 1970ern habe ich mal in einer öffentlich-rechtliche­n Talkshow gesagt, ich sei Anarchist, und hatte dann quasi ein Jahr Auftrittsv­erbot im Fernsehen. Aber was den Drogenskan­dal angeht: Vielleicht ist es, weil die Leute merken, dass wir in einer süchtigen Gesellscha­ft leben. Ich habe damals wirklich unglaublic­hen Mist gebaut und habe versucht, es aufzuarbei­ten. Mit dem Wissen, das ist jetzt habe, würde ich mir natürlich vieles von dem ersparen, aber ich hatte es damals eben noch nicht.

 ?? FOTO: DPA ?? Schauspiel­er und Musiker Konstantin Wecker 2013 in der Rolle des Valentin im Fernsehfil­m „Lilly Schönauer - Die Hochzeit meiner Schwester“.
FOTO: DPA Schauspiel­er und Musiker Konstantin Wecker 2013 in der Rolle des Valentin im Fernsehfil­m „Lilly Schönauer - Die Hochzeit meiner Schwester“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany