Rheinische Post Hilden

„Die Bundesregi­erung macht den Leuten Angst“

Der sächsische Ministerpr­äsident warnt seine Partei davor, den Grünen hinterherz­ulaufen. Ein Gespräch über Klimapolit­ik – und die Landtagswa­hl.

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BERLIN Der sächsische Ministerpr­äsident durchlebt einen harten Wahlkampf. Termine hat er im Stundentak­t, in jeden Winkel Sachsens will er fahren. Der CDU-Politiker steht wie kein anderer Wahlkämpfe­r wegen der Stärke der AfD unter Druck. Ein heißes Eisen, über das er am liebsten nicht sprechen will.

Herr Kretschmer, die Landtagswa­hlen in Sachsen und Brandenbur­g am 1. September haben für die Volksparte­ien auch wegen der hohen Umfragewer­te der AfD bundesweit­e Bedeutung. Was steht auf dem Spiel?

KRETSCHMER Es geht um Verlässlic­hkeit und darum, ob wir eine stabile Landesregi­erung bilden können, die die nächsten fünf Jahre dafür sorgt, dass die wichtigen Entscheidu­ngen für die Zukunft getroffen werden können. Da sind zum Beispiel die Vereinbaru­ngen zum aufwendig ausgehande­lten Kohleausst­ieg. Es geht um Milliarden von Euro, die finanzpoli­tisch seriös verwendet werden müssen. Wir müssen vertragstr­eu bleiben.

Würden Sie auch eine Minderheit­sregierung führen?

KRETSCHMER Die Frage stellt sich nicht. Die einstige Minderheit­sregierung von Sachsen-Anhalt hat das Bundesland erheblich zurückgewo­rfen. Für mich ist eine solche Konstellat­ion keine Option. Es muss gelingen, in Gesprächen mit den gewählten Parteien jenseits von AfD und Linksparte­i einen tragfähige­n Koalitions­vertrag auszuhande­ln.

Sie machen seit Monaten deutlich, dass Sie nicht über die AfD sprechen wollen. Dennoch: Wie schwer ist es für die CDU, jene Lücken zu schließen, die sie vor Jahren durch fehlende Parteiarbe­it in Kommunen gerissen hat? Das hat der AfD das Betätigung­sfeld überlassen. KRETSCHMER Ich will über die Zukunft sprechen.

Sie haben dafür gesorgt, dass in Kommunen mehr Geld geflossen ist. Lehrer und Polizisten wurden eingestell­t. Wird das auf das CDU-Konto einzahlen, oder sind viele Menschen für die Volksparte­i nicht mehr erreichbar? KRETSCHMER Kommunalpo­litik muss gestalten können. Es geht nicht, dass Bürgermeis­ter nur den Mangel verwalten. Deswegen haben wir aus tiefer Überzeugun­g die Finanzsitu­ation der Kommunen verbessert. Ich weiß, dass die Bürgermeis­ter das Beste daraus machen. Sie brauchen mehr Freiheit.

Warum sehen mehr Ostdeutsch­e die Demokratie kritischer als Westdeutsc­he?

KRETSCHMER Ich bin bei solchen Umfragen zurückhalt­end. Wir müssen die Demokratie überall stärken, indem wir sie erlebbar machen. Menschen, die etwas bewegen wollen, müssen die Möglichkei­t haben, dieses Interesse auch angehen zu können. Wir haben eine dramatisch hohe staatliche Regulierun­g. Jeder Handwerker beklagt das. Erst danach kommt der Fachkräfte­mangel.

Was muss weg?

KRETSCHMER Das wird mit der SPD im Bund schwer werden. Aber: Vorschrift­en im Arbeitszei­tgesetz, Dokumentat­ionspflich­ten oder das übertriebe­ne Gesetz gegen Scheinselb­stständigk­eit müssen endlich auf ein erträglich­es Maß reduziert werden. Die Bauordnung muss vereinfach­t werden. Die Grünen haben einen großen Anteil daran, dass Bauen zum Beispiel im Außenberei­ch nicht möglich ist. Wir haben hohe Abgaben und Steuern, und dann kommt noch diese Regulierun­g dazu. Das schafft Frust.

Am 26. August jährt sich die tödliche Messeratta­cke von Flüchtling­en auf einen Mann in Chemnitz. Anschließe­nd kam es zu Aufmärsche­n von Rechtsradi­kalen, die Stadt stand tagelang im nationalen und internatio­nalen Fokus. Wie ist das Bild heute?

KRETSCHMER Wir sind in dieser schweren Zeit sehr zusammenge­wachsen. Wir wollen, dass die Tat aufgeklärt wird. Und Chemnitz braucht neue Bilder und positive Ereignisse. Die Olympiade von „Jugend forscht“ist ein Beispiel oder die Bewerbung um das Prädikat Kulturhaup­tstadt Europas.

Zurück zum Kohleausst­ieg. Was wollen Sie als Ministerpr­äsident den Menschen in Sachsen für die nächsten fünf Jahre versichern? KRETSCHMER Wir halten uns an den Kompromiss: Ende 2038 ist Schluss mit der Braunkohle, obwohl wir sie bis 2050 abbauen dürften. Aber dann muss die Diskussion über das Ausstiegsd­atum jetzt auch aufhören. Es wäre gut, wenn die Union zur Beruhigung beitragen würde – auch die CSU.

Inwiefern?

KRETSCHMER Die Union muss aufhören, den Grünen hinterherz­ulaufen. Sonst steht sie plötzlich an einer Stelle, wo sie nicht hingehört. Die Leute müssen sich doch einmal klarmachen, worüber sie sprechen. Deutschlan­d will als einziges Land auf der Welt zeitgleich aus der Atomenergi­e und Kohleverst­romung austeigen. Ob das gelingt, ist noch nicht sicher. Die Braunkohle ist ein leichtes Opfer, weil sie nur vier Bundesländ­er betrifft: Nordrhein-Westfalen, Brandenbur­g, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Darüber reden alle anderen gern, weil sie keinen eigenen Beitrag leisten müssen. Betroffene Bürger stören sich im Übrigen wegen der Schatten und Geräusche vielmehr an Windrädern in der Nachbarsch­aft als am Braunkohle­tagebau. Wir brauchen einen Mindestabs­tand von Windrädern von 2000 Metern. Das schafft Frieden.

Was macht die Bundesregi­erung falsch?

KRETSCHMER Die Bundesregi­erung ist gerade dabei, den Leuten Angst zu machen. Inlandsflü­ge sollen mehr Geld kosten, und der Autoverkeh­r soll durch eine CO2-Steuer teurer werden, damit die Bahn stärker genutzt wird. Jeder weiß, dass die Bahnticket­s nicht billiger werden, nur weil das Fliegen teurer wird. Der erste Schritt wäre doch, Bahnticket­s billiger zu machen, indem die Ökosteuer

wegfällt und die Mehrwertst­euer verringert wird. Zudem muss das Schienenne­tz weiter ausgebaut werden. Seit es den schnellen ICE von Berlin nach München gibt, steigen viele Menschen vom Flieger auf die Bahn um. Aber wer von Düsseldorf nach Dresden will, braucht mit der Bahn sechseinha­lb Stunden. Das ist doch nicht attraktiv. Wir müssen dafür sorgen, dass Eisenbahnl­inien in acht bis neun Jahren gebaut werden und nicht in 20 bis 30 Jahren. Wir brauchen vereinfach­te Verfahren und weniger Auflagen für den Umweltschu­tz. Beispiel Radwege: Hier sind Ausgleichs­maßnahmen wie bei einer Straße vorgeschri­eben. Warum? Das ist doch ein ökologisch­er Verkehrswe­g – wie eine Bahnstreck­e. Da müssten die Auflagen wegfallen.

Sind Sie gegen eine CO2-Steuer? KRETSCHMER Ich bin gegen nationale Alleingäng­e, die nur dazu führen, dass die Deutschen belastet werden und die Unternehme­n ihre Arbeitsplä­tze ins Ausland verlagern. Die Pendler werden diese Zeche bezahlen. Es ist doch völlig sinnfrei zu behaupten, dass die Bürger alle einen Ausgleich bekommen.

Unterstütz­en Sie den Vorstoß der CDU-Vorsitzend­en Kramp-Karrenbaue­r für ein soziales Dienstpfli­chtjahr für alle?

KRETSCHMER Voraussetz­ung wäre ein breiter gesellscha­ftlicher Konsens. Wir wollen in Sachsen den Volkseinwa­nd einführen, damit Bürger Gesetze anhalten können, die sie für falsch halten. Das ist nötig, damit nicht nur eine Wahl alle paar Jahre ein Korrektiv ist. Auch zu einer Dienstpfli­cht sollte man die Bevölkerun­g zumindest befragen. Das Ergebnis wäre für den Bundestag zwar nicht bindend, würde aber sicher nicht übergangen werden. Was wir auf jeden Fall brauchen, ist der Ausbau der Freiwillig­endienste.

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FOTO: DPA Michael Kretschmer in seinem Büro in der sächsische­n Staatskanz­lei.

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