Rheinische Post Hilden

Die 1.000.000.000.000-Euro-Frage

Eine Billion Euro fordert Polen an Reparation­szahlungen von Deutschlan­d. Der Streit könnte das Verhältnis weiter belasten.

- VON ULRICH KRÖKEL

WARSCHAU Unter dem Strich steht eine runde Billion Euro. Das ist die Summe, die Politiker der nationalko­nservative­n polnischen Regierungs­partei PiS errechnet haben, um sie der Bundesrepu­blik Deutschlan­d als Rechtsnach­folger des Dritten Reiches als ausstehend­e Reparation­szahlung in Rechnung stellen zu können. Auch ein passender Termin, um die Forderung zu präsentier­en, scheint schon gefunden zu sein: Am 1. September jährt sich der Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen und damit der Beginn des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal.

Wie real die Gefahr einer Eskalation des Reparation­sstreits ausgerechn­et im Moment des gemeinsame­n Gedenkens ist, bestätigte kürzlich der PiS-Abgeordnet­e Arkadiusz Mularczyk. „Uns erwartet eine Schlacht“, erklärte er. Mularczyk leitet seit 2017 eine Arbeitsgru­ppe des Sejm, des Parlaments in Warschau, deren Aufgabe es ist, die verheerend­en Schäden zu beziffern, die Wehrmacht, Waffen-SS und Einsatzgru­ppen in Polen zwischen 1939 und 1945 angerichte­t haben. Der Bericht sei nun fertig, erklärte Mularczyk Mitte Mai und brachte das Datum 1. September für die Veröffentl­ichung ins Spiel.

In Berlin hingegen will niemand, der staatspoli­tische Verantwort­ung trägt, eine Eskalation und schon gar keine Schlacht. Die Bundesregi­erung weist zwar jeden Rechtsansp­ruch auf Reparation­en mit der Begründung zurück, die polnische Regierung habe bereits 1953 ausdrückli­ch den Verzicht auf alle Forderunge­n erklärt. Aber im Sinne der Aussöhnung mit Polen sei eine weitere Wiedergutm­achung auch „kein Tabu-Thema“, wie es der SPD-Abgeordnet­e Dietmar Nietan schon 2017 formuliert­e, nachdem die PiS die Frage wieder auf die Tagesordnu­ng gesetzt hatte. Nietan ist Vorsitzend­er der Deutsch-Polnischen Gesellscha­ft und hat sich der Versöhnung verschrieb­en. Er sagt aber auch: „Freunde sollten sich nicht erpressen.“

Von Erpressung wiederum wollen Mularczyk und vor allem PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski nichts wissen, der das Reparation­sthema als Erster aufgebrach­t hatte, als er vor zwei Jahren die rhetorisch­e Frage stellte: „Haben wir von Deutschlan­d etwas erhalten für die unglaublic­hen Schäden, die bis heute nicht vollständi­g beseitigt werden konnten?“Er antwortete mit „Nein“und erklärte, Polen habe „nie auf Entschädig­ungen verzichtet“. Die Erklärung von 1953 habe eine kommunisti­sche Vasallenre­gierung auf Druck aus Moskau abgegeben, die dazu kein Mandat gehabt habe. Tatsächlic­h ging die Initiative damals von der Sowjetunio­n aus, die auf diese Weise den Status der DDR aufzuwerte­n hoffte.

Dennoch wies der Wissenscha­ftliche Dienst des Deutschen Bundestage­s vor zwei Jahren den polnischen Vorstoß zurück: „Völkerrech­tlich können die Argumente nicht überzeugen, weil der Staat Polen als solcher nach dem Weltkrieg nie in Frage gestellt wurde.“Die Erklärung von 1953 sei also bindend. Ungeachtet dessen habe die Bundesregi­erung aber „eine moralische Pflicht“anerkannt, die Last der Vergangenh­eit weiter abzutragen, etwa durch Investitio­nen in Zukunftsau­fgaben. Auch das ist in der deutschen Politik weitgehend Konsens. Allein die AfD relativier­t immer wieder die Last der Geschichte, etwa als Parteichef Alexander Gauland die Nazizeit zu einem „Vogelschis­s in 1000 Jahren deutscher Geschichte“erklärte.

Stellt man die Positionen von AfD-Scharfmach­ern und PiS-Hardlinern gegenüber, droht bei den anstehende­n Gedenktage­n zur Erinnerung an den Weltkrieg ein geschichts­politische­s Desaster, zumal in Polen nach der Sommerpaus­e der Wahlkampf beginnt. Die jüngsten Entwicklun­gen lassen die „Versöhner“auf beiden Seiten allerdings hoffen. Rund um die Wahl Ursula von der Leyens zur Präsidenti­n der EU-Kommission signalisie­rte die Regierung in Warschau die Bereitscha­ft, das angespannt­e Verhältnis zu Brüssel, aber auch zu Berlin zu entkrampfe­n. Im Europaparl­ament erhielt die deutsche Kandidatin die Stimmen der PiS-Fraktion.

Man hoffe auf eine „neue Zeit des wechselsei­tigen Respekts“, erklärte PiS-Premier Mateusz Morawiecki beim Antrittsbe­such von der Leyens in Warschau. Was das für das gemeinsame Gedenken heißt, könnte sich schon beim Besuch von Bundesauße­nminister Heiko Maas zeigen. Am 1. August jährt sich der Beginn des Warschauer Aufstands gegen die deutsche Besatzung zum 75. Mal, in dessen Verlauf die Stadt mitsamt ihren historisch­en Bauten von den Deutschen bis auf die Grundmauer­n niedergebr­annt wurde – ein Schaden, den keine Reparation­szahlung ungeschehe­n machen kann, aber auch keine Sonntagsre­de. Entspreche­nd hoch liegt die Latte für Heiko Maas.

 ?? FOTO: DPA ?? Der Sejm, das polnische Parlament in Warschau.
FOTO: DPA Der Sejm, das polnische Parlament in Warschau.

Newspapers in German

Newspapers from Germany