Verfassungsgericht segnet Bankenunion ab
Die Bankenaufsicht durch die EZB ist offenbar gerade noch hinnehmbar. Bei den Anleihekäufen könnte das anders sein.
BERLIN Die zentrale Bankenaufsicht im Euroraum und der gemeinsame Notfall-Fonds zur Abwicklung maroder Geldhäuser bewegen sich gerade noch im zulässigen Rahmen. Das gelte allerdings nur bei einer strikten Auslegung der Regelungen, urteilte das Bundesverfassungsgericht. Die Karlsruher Richter wiesen zwei Verfassungsbeschwerden gegen die Bankenunion ab. Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was ist die Bankenunion?
Zum Schutz vor neuen Finanzkrisen werden die größten Banken und Bankengruppen in Europa seit 2014 von Aufsehern unter dem Dach der Europäischen Zentralbank (EZB) überwacht. Ihrer Kontrolle unterstehen 114 „bedeutende“oder „systemrelevante“Institute, davon 19 in Deutschland. Für rund 1400 kleinere deutsche Geldhäuser sind weiterhin die Finanzaufsicht Bafin und die Bundesbank zuständig. Die EZB-Aufseher prüfen regelmäßig den Geschäftsbetrieb der Banken. Die zweite Komponente ist ein gemeinsamer Notfallfonds zur Abwicklung von Banken, die sich in einer Schieflage befinden. Der Fonds soll bis 2024 über Bankenabgaben mit schätzungsweise 55 Milliarden Euro ausgestattet werden.
Wogegen richteten sich die Beschwerden der Kläger?
Die Kläger um den Berliner Finanzwissenschaftler Markus Kerber waren der Ansicht, dass Deutschland mit der Bankenunion zu große finanzielle Risiken eingeht und gleichzeitig viel zu viel Macht aus der Hand gibt. Für die Übertragung derart weitreichender Kompetenzen auf europäische Ebene fehle die rechtliche Grundlage. Am Ende müsse der deutsche Sparer für notleidende Banken in Südeuropa zahlen.
Wie begründete das Gericht sein Urteil?
Für die Richter des Zweiten Senats war ausschlaggebend, dass die Bankenaufsicht nicht vollständig auf die EZB übertragen wurde. Das 174-seitige Urteil interpretiert die Bankenunion so, dass bei den nationalen Behörden umfangreiche Befugnisse verblieben sind. Der Brüsseler Ausschuss für den Banken-Notfall-Fonds stößt bei den Verfassungsrichtern zwar auf Bedenken. Sofern die Grenzen der ihm zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse „strikt beachtet“würden, liege aber keine offensichtliche Kompetenzüberschreitung vor.
Wie sieht es mit den Anleihekäufen der EZB aus?
Bis Mittwoch verhandelt das Verfassungsgericht auch über die umstrittenen Staatsanleihekäufe der Notenbank. Eine Entscheidung in dieser Frage wird aber erst in einigen Monaten erwartet. Seit März 2015 kaufte die EZB in großem Stil Anleihen von Eurostaaten, später auch Firmenanleihen, im Umfang von rund 2,6 Billionen Euro bis Ende 2018. Angesichts der schwächeren Konjunktur und nachlassender Inflation könnte die EZB die Ankäufe bald wieder fortsetzen.
Warum kauft die EZB Wertpapiere?
Oberstes Ziel der EZB sind stabile Preise. Denn dauerhaft niedrige oder auf breiter Front sinkende Preise könnten Unternehmen und Verbraucher verleiten, Investitionen aufzuschieben. Das kann eine gefährliche Deflation auslösen.
Was haben die Staaten davon, dass die EZB ihre Anleihen erwirbt?
Sie kommen günstiger an frisches Geld. Weil die Notenbank große Bestände aufkauft, müssen sie für ihre Wertpapiere nicht so hohe Zinsen bieten. Dazu kommt der psychologische Effekt: Die EZB signalisiert Verbrauchern und Unternehmen, dass sie die Wirtschaft nicht im Stich lässt. Kritiker werfen EZB-Chef Mario Draghi daher Staatsfinanzierung mit der Notenpresse vor. Das Kaufprogramm animiere Staaten zum Schuldenmachen und bremse notwendige Reformen in diesen Ländern.
Wie sieht das Bundesverfassungsgericht die Anleihekäufe?
Äußerst kritisch. Wegen des enormen Volumens und der immer wieder verlängerten Laufzeit hat der Zweite Senat schon im Sommer 2017 starke Bedenken geäußert: „Gewichtige Gründe“sprächen dafür, dass die Beschlüsse gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung verstießen. Für die Auslegung von EU-Recht ist aber der Europäische Gerichtshof (EuGH) zuständig. Dieser hatte sämtliche Bedenken im Dezember 2018 vom Tisch gewischt. Grundsätzlich fühlt sich das Bundesverfassungsgericht zwar an Entscheidungen des EuGH gebunden. Diese Bindungswirkung entfällt jedoch „bei einer schlechterdings nicht mehr nachvollziehbaren und daher objektiv willkürlichen Auslegung der Verträge“, so Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Die Frage ist nun also, ob Karlsruhe diese Schmerzgrenze diesmal erreicht sieht. Im äußersten Fall könnte das Gericht der Bundesbank die Beteiligung an neuen Anleihekäufen untersagen. (mit dpa)