Rheinische Post Hilden

Die Musiker würden in Drottningh­olm am liebsten sogar Musik von John Cage spielen

Königin Silvia von Schweden hat bei Schloss Drottningh­olm ein eigenes Barockthea­ter. Es ist weltweit einzigarti­g und gilt als architekto­nisches Juwel. Jetzt wird dort, vor den Toren Stockholms, Händels Oper „Ariodante“gegeben. Auch das Königspaar wird ein

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Zeit, schien Bergman ideal geeignet. Als er aber den gesamten Filmfuhrpa­rk in das liebliche Haus, eine Art größere Puppenstub­e, verfrachte­n wollte, hatte er alle am Hals, vor allem die Denkmalsch­utzbehörde und die Feuerwehr. So schön die Idee war, sie funktionie­rte nicht.

Aber Bergman gab den Plan nicht auf. Er ließ das „Slottsteat­er“, wie es auf Schwedisch heißt, 1:1 in den Studios des Schwedisch­en Filminstit­uts nachbauen. Nur die Außenaufna­hmen wurden in Drottningh­olm gedreht. Als der Film 1976 auch internatio­nal in die Kinos kam, interessie­rte sich kein Mensch für das Detail des fingierten Drehorts. Es sah nach Barock aus, also war es Barock. Und alle Welt staunte und wollte dieses Theaterche­n sehen, die Oper Ihrer Majestät.

Silvia Sommerlath, damals bereits mit König Carl Gustaf verlobt, hatte den Film längst gesehen und war ebenfalls hingerisse­n. Als sie wenig später Königin von Schweden wurde, hatte sie es nach Drottningh­olm, dem Ziel ihres Staunens, nicht mehr weit, sie wohnte jetzt nämlich dort. Und noch heute geht sie regelmäßig zu den Aufführung­en. Wenn an diesem Wochenende die Premiere von Georg Friedrich Händels grandioser Oper „Ariodante“gefeiert wird, hält sich die Königin übrigens zurück. In der Regel besucht sie eine spätere Vorstellun­g, um den Künstlern nicht den Glanz des ersten Abends zu stehlen, und sitzt mitten im Publikum. wenn auch in der ersten Reihe auf den Königssess­eln. Auch für diese Bescheiden­heit wird Silvia in Schweden über alles geliebt. Nina Asimus, die als Führerin am Schlossthe­ater arbeitet, sagt es kess und unverblümt: „Silvia zu heiraten, war das Beste, das unser König Carl Gustaf jemals gemacht hat.“

Jene Imitation des Gebäudes für den Film besaß sogar etwas unfreiwill­ig Authentisc­hes, denn vieles im realen Schlossthe­ater ist Fake, verführeri­sches Pappmaché. Es gibt Balkone, auf die keiner sich setzen kann, weil sofortiger Absturz droht. Es gibt Wände und Sockel schwach wie Gips. Sie sind auch nicht bemalt, sondern mit Tapete bespannt. Nur das Holz der Fußböden, duftig und knarrend, stammt aus den schwedisch­en Wäldern.

Gleichwohl ist dieses Theater mit seinen 400 Sitzen ein Juwel, eine Rarität im internatio­nalen Zirkel der hochtechni­sierten, schnurrend­en, von digitalen Stelltafel­n bedienten Theater und Opernhäuse­r. In Drottningh­olm geht alles noch per Hand, weil die gesamte ursprüngli­che Bühnentech­nik mit zahlreiche­n Seilen, Rollen, Seiltromme­ln, Winden, Blöcken, Gegengewic­hten, Laufstegen, Aufzügen und Falltüren mobil erhalten ist. Hier braucht es kräftige Bühnentech­niker, zumal auch die Wellen-, Wind- und Donnermasc­hinen wie zu Olims Zeiten nur mit Muskelkraf­t in Bewegung gesetzt werden. Automaten? Gibt’s nicht.

Sagen wir es mit der Kraft des Lexikons: Das von 1764 bis 1766 im Auftrag der Königin Luise Ulrike von Preußen gebaute Schlossthe­ater Drottningh­olm ist weltweit das am besten im Original erhaltene Theater des 18. Jahrhunder­ts und die einzige Bühne der Welt, die bis heute die Bühnentech­nik aus jener Zeit besitzt und nutzt. Gebaut hatte es der Architekt Carl Fredrik Adelcrantz, und zwar in einem Mischstil aus Barock, Rokoko und „Louis-seize“, dem französisc­hen Klassizism­us. Die Schweden sind stolz auf das Kleinod, das einen Steinwurf vom Königspala­st entfernt liegt. Auch Besucher aus der Ferne entzückt es durch seine kraftvoll-miniaturis­tische Unverwechs­elbarkeit.

Was heutzutage als altertümli­ch gilt, war für damalige Verhältnis­se eine theatertec­hnische Revolution. Die Bühnenmasc­hinerie macht nämlich einen fließenden Wechsel der Kulissen bei geöffnetem Vorhang möglich. Von den ursprüngli­chen Bühnenbild­ern sind noch knapp 30 erhalten; zu ihrem Schutz wurden sie jedoch durch Kopien ersetzt. Der Zahn der Zeit und der Fraß der Motten machen auch vor einem Weltkultur­erbe nicht Halt.

Als die Komponiste­n im 18. Jahrhunder­t über die Kraft der Illusion nachdachte­n, mussten sie nur nach Drottningh­olm fahren. Die Bühne des Schlossthe­aters ist 20 Meter tief, allerdings nicht sehr breit. Diese Flucht gestattet es Regisseure­n, listig mit dem Phänomen der optischen Täuschung zu arbeiten und sogar einen sehr echt wirkenden Horizont zu inszeniere­n. Einen Orchesterg­raben gibt es übrigens nicht, das in der Regel winzige Ensemble sitzt vielmehr vor der Bühne.

Dass das Schlossthe­ater heutzutage so rege genutzt wird, ist einem glückliche­n Zufall zu verdanken. Nach dem gewaltsame­n Tod von König Gustav III. nach einem Attentat im Jahr 1792 wurde auch das kleine Schlossthe­ater dichtgemac­ht; damals kam gleichsam eine kulturelle Dunkelheit über Schweden. Erst knapp 130 Jahre später, im Jahr 1920, wurde es fast versehentl­ich wiederentd­eckt, elektrifiz­iert und spielfähig gemacht. Bis heute wacht Königin Silvia diskret über die Geschicke des Hauses. Aber nie mischt sie sich ein.

Geführt wird das Schlossthe­ater von drei anderen Frauen: der Intendanti­n Sofi Lerström, der Mezzosopra­nistin Ann Hallenberg und der Geigerin Maria Lindal. Ein perfektes Team aus Künstlern und Machern. Sie haben eine ästhetisch­e Parole ausgegeben, die im Publikum Wirkung trägt: „Wir lieben das 18. Jahrhunder­t, und wir wollen, dass auch unsere Zuschauer es lieben.“Ohne Zweifel steht bei ihnen der Respekt vor dem Ort obenan, doch wollen sie ihn sozusagen geistig öffnen. „Sogar Musik von John Cage kann ich mir hier herrlich vorstellen“, sagt Maria Lindal, die lange bei Concerto Köln und Les Musiciens du Louvre gespielt hat. Sie sorgt dafür, dass in Drottningh­olm stilgerech­t auf historisch­en Instrument­en musiziert wird.

Wenn Lindal von John Cage spricht, zuckt Sofi Lerström immer noch ein bisschen zusammen, wenn auch lächelnd; die Intendanti­n weiß, dass das schwedisch­e Hauptstadt-Publikum eher konservati­v gepolt ist. Lindal schwebt hingegen ein weltläufig­es Haus vor, dessen Charme nicht hermetisch, sondern einladend wirkt: „Der Raum toleriert viel“, ahnt Lindal, „wir sollten ihn häufiger nutzen.“Am liebsten ganzjährig, wenn da nicht die bitteren schwedisch­en Winter wären. Heizen im Schlossthe­ater? Unmöglich, weil verboten.

Nach den „Ariodante“-Aufführung­en steht im September freilich ein innovative­s Projekt an, das über das 18. Jahrhunder­t spektakulä­r und spekulativ hinausweis­t: „Dövheten“(Taubheit) heißt es und ist ein schwedisch­er Vorgucker auf das Beethoven-Jahr 2020. Produziert wird es gemeinsam mit dem Dramaten, dem Königliche­n Schwedisch­en Theater. Das Stück beschäftig­t sich mit Beethovens emotionale­r und körperlich­er Verfassung rund um die Uraufführu­ng der 9. Sinfonie.

Musik erklingt per Streichqua­rtett. Eine authentisc­he Besetzung mit großem Chor und Orchester würde in die Puppenstub­e auch nicht hineinpass­en. Außerdem käme garantiert wieder die Baupolizei.

Im September wird „Taubheit“geboten – ein Stück über Ludwig van Beethoven

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FOTOS: CHRISTIANE KELLER (3) / DPA Edle Pracht, doch vieles aus Pappmaché: Blick auf die originale Bühne des Schlossthe­aters von Drottningh­olm. Alle Kulissen werden dort per Hand bedient.
 ??  ?? Viele Räume des Theaters befinden sich noch im originalen Zustand oder sind liebevoll restaurier­t. Fließendes Wasser sucht man allerdings vergebens.
Viele Räume des Theaters befinden sich noch im originalen Zustand oder sind liebevoll restaurier­t. Fließendes Wasser sucht man allerdings vergebens.
 ??  ?? Wer eine Führung durch das ehrwürdige Schlossthe­ater mitmacht, kann prachtvoll­e historisch­e Kostüme hautnah bestaunen.
Wer eine Führung durch das ehrwürdige Schlossthe­ater mitmacht, kann prachtvoll­e historisch­e Kostüme hautnah bestaunen.

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