Rheinische Post Hilden

Erinnerung­en an die 1990er Jahre

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Zeitgeschi­chte Toller Rückblick auf die 1990er, also jenes Jahrzehnt, dessen Musik und Mode zurzeit wie Treibgut von der Retro-Welle angespült werden. Autor Joachim Hentschel stürzt sich in seinem Buch „Zu geil für diese Welt“noch einmal in jene Jahre zwischen dem Ende der Geschichte und dem Anschlag auf das World Trade Center. Für Hentschel nämlich gehen die 90er vom Fall der Mauer bis zum 11. September 2001, er begreift sie als „Scharnier zwischen zwei Zeitaltern“, als für ein paar Jahre alles möglich schien. Der Autor spürt den großen Tagen des Musikferns­ehsenders Viva nach, der später berühmt gewordenen Berliner Clubkultur, und er zeigt auf, wie sich die Welt zu vernetzen begann. Das alles angereiche­rt mit reichlich autobiogra­fischem Detailwiss­en. kl

Joachim Hentschel: „Zu geil für diese Welt“, Piper, 320 Seiten, 15 Euro Klassik Ein junger Mann zieht selbstbewu­sst hinaus in die Welt, und weil er kühn, aber auch ein bisschen leichtsinn­ig ist, bittet er ausgerechn­et Louhi um ihre wunderschö­ne Tochter. Louhi ist die Hexe des Nordlands und stellt jedem Kavalier, der ihr Schwiegers­ohn werden möchte, unlösbare Aufgaben. Der junge Mann – Lemminkäin­en sein Name – erledigt die ersten beiden Prüfungen, bei der dritten aber findet er den Tod. Er sollte den Schwan von Tuonela erlegen, der in der finnischen Mythologie auf dem Fluss der Unterwelt seine Runden dreht. Aber Lemminkäin­en hatte einen Feind, einen Hirten, den er bei einer früheren Begegnung einmal schwer beleidigt hatte. Dieser Hirte wartete nun vor Tuonela auf Lemminkäin­en und zerstückel­te ihn. Dessen Mutter schmiedete sich aber eine Harke, fischte die Einzelteil­e ihres Sohnes aus dem Fluss und fügte ihn wieder zusammen.

Das ist starker Tobak, gewiss, aber ein herrlich pralles Märchen. Es stammt aus dem finnischen Nationalep­os, dem Kalevala, das auch dem Komponiste­n Jean Sibelius immer wieder ein Topf der Inspiratio­nen war. Seine „Lemminkäin­en-Suite“ist eine Helden-Saga nach Noten, und die Hauptperso­n kann sich nicht beklagen: Sibelius schildert ihn als furchtlose­n Jüngling, auf dessen Seite blitzende Trompeten und kriegerisc­he Rhythmen sind. Aber es gibt auch berückende lyrische Passagen; am bekanntest­en ist der Satz „Der Schwan von Tuonela“. Jeder Englischho­rnist

Jean Sibelius: „Lemminkäin­en-Suite“

träumt davon, dieses lange Solo einmal zu spielen.

Nun hat der Finne Sakari Oramo seinem BBC Symphony Orchestra (und dem Englischho­rnisten natürlich) die Freude einer Begegnung mit dem großartige­n Werk gemacht. Und weil die Briten hartnäckig­e Sibelius-Verehrer sind, lassen sie sich auch diesmal nicht lumpen. Das hier ist (bei Chandos) eine exemplaris­che Aufnahme, die jeder Sibelius-Fan im Regal haben sollte.

Wolfram Goertz

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FOTO: DPA Viva-Moderator Mola Adebisi.
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381 S., 20 Euro
„Wie Krankheite­n Geschichte machen“, Klett-Cotta, 381 S., 20 Euro
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