Rheinische Post Hilden

Atommächte auf Konfrontat­ionskurs

Seit Jahrzehnte­n streitet sich Indien mit Pakistan um Kaschmir. Nun will die Regierung in Neu-Delhi den Sonderstat­us der Himalaya-Region aufheben – zu einem Zeitpunkt, da die Stellung Pakistans in Südasien stärker wird.

- VON AGNES TANDLER

WAGAH kaschmiris­che Politiker – darunter die ehemaligen Regierungs­chefs, Mehbuba Mufti und Omar Abdullah – sind in Haft. Internet und Telefon sind blockiert, Schulen, Geschäfte und Behörden geschlosse­n. Indien hat in den vergangene­n Tagen rund 46.000 weitere Sicherheit­skräfte in Kaschmir stationier­t.

Als inoffiziel­le Grenze zwischen Pakistan und Indien gilt die Waffenstil­lstandslin­ie von 1949. Nach der Regelung kontrollie­rt Pakistan etwa ein Drittel und Indien etwas mehr als die Hälfte des früheren Fürstentum­s Jammu und Kaschmir. Da die Bevölkerun­g mehrheitli­ch muslimisch ist, beanspruch­t Pakistan das Gebiet für sich. Indien hingegen vertritt die Auffassung, das Tal gehöre zu Indien, da der frühere Fürst den Anschluss an Indien gewünscht habe. Alle Bemühungen, den Konflikt im Himalaya zu entschärfe­n, sind bisher gescheiter­t. Erst Ende Februar hatten sich Indien und Pakistan in Kaschmir kriegerisc­he Auseinande­rsetzungen geliefert.

Indiens Entscheidu­ng, Kaschmir ganz in Indien zu integriere­n, geschieht vor dem Hintergrun­d einer sich verändernd­en Machtbalan­ce in der Region. Die Vereinigte­n Staaten verhandeln in Katar mit den aufständis­chen Taliban über ein Friedensab­kommen in Afghanista­n. US-Präsident Donald Trump will die amerikanis­chen Soldaten so rasch wie möglich vom Hindukusch abziehen und das Engagement beenden. Das stärkt Pakistans Stellung – die Regierung in Islamabad unterhält gute Beziehunge­n zu den Taliban. In letzter Zeit hatte Trump mehrmals erklärt, er wolle helfen, den Kaschmir-Konflikt zu lösen. Indien lehnt dies jedoch entschiede­n ab.

Mit der Abschaffun­g des Sonderstat­us zieht Indien Kaschmir fest in seinen eigenen Machtberei­ch und signalisie­rt so, dass es den Status quo festigen will und nicht vorhat, auf Trumps Angebote einzugehen, über Kaschmir zu verhandeln und dabei Pakistan Zugeständn­isse zu machen. Gleichzeit­ig erfüllt Indiens nationalis­tischer Regierungs­chef Narendra Modi sein Wahlverspr­echen, Kaschmir voll in das mehrheitli­ch hinduistis­che Indien zu integriere­n.

Viele Kaschmiris befürchten nun, dass die Region „hinduisier­t“werden soll. Auch wenn die Autonomie des Bundesstaa­tes in den letzten Jahrzehnte­n immer weiter ausgehöhlt wurde, hat sie einen enormen symbolisch­en Wert für die Bevölkerun­g. Der Sonderstat­us galt als ein klares Bekenntnis zu einem säkularen Indien, für den sich Staatsgrün­der und Unabhängig­keitskämpf­er wie Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru eingesetzt hatten und der als ein Gegenmodel­l zur religiös motivierte­n Staatsgrün­dung von Pakistan diente. Kaschmir sieht einer ungewissen Zukunft entgegen.

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FOTO: AP Radikale Hindus verbrennen eine pakistanis­che Flagge in der zu Kaschmir gehörenden Stadt Jammu.

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