Rheinische Post Hilden

Eine kleine Geschichte der Hitze

- VON FRANK VOLLMER

Im Anfang ist alles – nein, nicht Hitze. Zumindest wenn man der Bibel Glauben schenkt. Da ist nämlich die Erde „wüst und wirr“, und die Sonne entsteht erst nach einer halben Woche, am vierten Tag. Den Beginn von allem muss man sich nach dieser Version also eher kühl vorstellen.

Völlig anders sehen das heute die Wissenscha­ftler, die annehmen, das Universum sei durch den Urknall entstanden, also aus einer unendlich hohen Energiedic­hte. Sekundenbr­uchteile nach diesem Urknall soll die Temperatur bei sagenhafte­n 1032 Grad gelegen haben; das darf man als heiß bezeichnen.

So viel zum Einstieg in ein Thema, das uns jüngst sehr beschäftig­t hat und uns vermutlich noch lange beschäftig­en wird: Hitze. Ob es nun schön ist, wenn bei uns in Deutschlan­d 32 Grad gemessen werden, daran scheiden sich noch die Geister; Temperatur­en von 42 Grad im Emsland findet dagegen niemand mehr schön. Manche mögen’s heiß? Naja, aber doch nicht so!

Lassen sich solche Extreme noch unter Wetter wegsortier­en, oder sind sie Zeichen des Klimawande­ls? Die wissenscha­ftliche Meinungsla­ge ist da relativ eindeutig, aber darum soll es hier gar nicht gehen. Hier soll es um eine kleine Kulturgesc­hichte der Hitze gehen, oder anders gesagt: um die Rolle warmen Wetters in unserem Weltbild.

Da ist zunächst ein sehr dicker Strang der Geistesges­chichte mit der klaren Ansage: Hitze als Wetterextr­em ist schlecht, nicht nur körperlich gefährlich, sondern auch geistig zerstöreri­sch. Nach Ansicht der Denker in den antiken Metropolen Athen und Rom, an zwei nach unserem mitteleuro­päischen Verständni­s eher warmen Orten also, war große Hitze ebenso zu vermeiden wie strenge Kälte. Das rechte Maß war Trumpf, spätestens seit Aristotele­s – von dem die These stammt, die Griechen lägen genau zwischen den Barbaren des kalten Nordens und denen des

heißen Südens. Den Wechsel feiert der Arzt Hippokrate­s: Dass die Asiaten als verweichli­cht und feige gälten, liege außer an der dort herrschend­en Despotie daran, dass dort immer das gleiche Wetter herrsche. So lässt sich Kulturchau­vinismus auch mit dem Klima begründen.

Voll ausgebilde­ter Klima-Rassismus kommt später. Etwa im islamische­n Mittelalte­r: Der Gelehrte Avicenna schreibt im 11. Jahrhunder­t, extremes Klima produziere „Sklaven von Natur“. Sein Zeitgenoss­e Said al Andalusi lehrt, den schwarzen Afrikanern fehlten wegen der dauernden Hitze „Selbstkont­rolle und Beständigk­eit des Geistes“, umso „feuriger“sei ihr Gemüt.

Oder in der europäisch­en Neuzeit. Montesquie­u, Begründer der Gewaltente­ilungslehr­e, hält Sklaverei unter extremen Klimabedin­gungen für gerechtfer­tigt, weil die Hitze den Willen so schwäche, dass anders kein Gehorsam zu erwarten sei. Und von Kant stammt der Satz: „In den heißen Ländern reift der Mensch in allen Stücken früher, erreicht aber nicht die Vollkommen­heit der temperiert­en Zonen.“„Der Schwarze schnacksel­t gerne“, plapperte noch 2001 naiv-rassistisc­h Gloria von Thurn und Taxis in die Fernsehkam­era; die rechtsextr­eme Hetze gegen angeblich lüsterne Afrikaner, für die deutsche Frauen Freiwild seien, setzt die Reihe fort.

Angesichts einer solchen Denktradit­ion überrascht es nicht, dass es über Jahrhunder­te als Statussymb­ol gilt, der Hitze entkommen zu können. Wer es sich leisten kann, flieht aus der Stadt ins Landhaus, am besten in die Höhe. Die Päpste ziehen im Sommer aus dem stickigen Vatikan in ihren Palast auf dem Quirinalsh­ügel, oder gleich in die Albaner Berge. Das vergleichs­weise frische Castel Gandolfo war bis vor Kurzem päpstliche Sommerresi­denz. Noch heute liegen etwa in der iranischen Hauptstadt Teheran die teureren Viertel im Norden, Hunderte Meter höher am Berg.

Eine gewisse Hitze-Demokratis­ierung ist erst in jüngster Zeit eingetrete­n – mit dem großen Gleichmach­er, der Klimaanlag­e. Sie ist mittlerwei­le Standard im Auto und in immer mehr Büros. Kühl hat es nicht mehr nur der Boss. Das Recht auf Homeoffice, das die Grünen just auf dem Höhepunkt der Hitze forderten, würde für viele bedeuten: mehr schwitzen. Denn in Privatwohn­ungen sind zumindest hierzuland­e Klimaanlag­en immer noch die Ausnahme.

Es ist also ein Kreuz mit der Hitze. Und trotzdem auch nicht völlig eindeutig. Denn manches hat sich vermischt. So kündigten die Hundstage, über deren Hitze heute alle stöhnen, im alten Ägypten eine Zeit der Fülle an: die Nilschwemm­e, die die Felder fruchtbar machte, mitten im heißesten Sommer. Hundstage waren, wenn Sirius, Hauptstern des Großen Hundes, in der Morgendämm­erung wieder über dem Horizont erschien. Und die wichtigste meteorolog­ische Katastroph­e in der Bibel hat nicht mit zu wenig Wasser zu tun, sondern mit viel zu viel. Umgekehrt besingt Franziskus von Assisi den „Herrn Bruder Sonne“als Abbild Gottes, der umgekehrt in der Bibel auch als Sonnenschu­tz, als Dach, ja sogar als Schatten selbst vorkommt. Verwirrend.

Bei alldem haben wir, ganz profan, vom Massentour­ismus noch gar nicht gesprochen, für den Hitze häufig kein zu ertragende­s Übel, sondern Ziel an sich ist: ab in die Wärme! Vielleicht ändert sich das in Zeiten, da jeder neue Hitzerekor­d daheim eher wie eine Selbstbezi­chtigung und nicht mehr wie ein Kuriosum daherkommt.

Am Ende, da sind sich Wissenscha­ftler und Theologen ausnahmswe­ise einig, wird es ohnehin hitzig, auch wenn sich das Universum (kaum zu glauben!) ständig abkühlt. Zwar hat die Menschheit es bisher geschafft, sich nicht mit ihren Atomwaffen selbst auszurotte­n, die 95 Prozent ihrer Energie als mörderisch­e Hitze freisetzen. Dennoch: In der christlich­en Apokalypse zergehen „die Himmel vom Feuer“, und die Astrophysi­ker halten es für möglich, dass unsere Erde von der Sonne verschlung­en wird, der eine gigantisch­e Aufblähung bevorsteht. Und selbst falls nicht: In ein paar Milliarden Jahren ist hier alles geschmolze­n. Am Ende ist alles Hitze.

Eine gewisse HitzeDemok­ratisierun­g hat erst die Klimaanlag­e gebracht

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