Rheinische Post Hilden

Der Tod eines Bürgermeis­ters schockiert Frankreich

Die Angriffe auf Politiker in Frankreich nehmen zu. Die Betroffene­n warnen inzwischen vor einer gefährlich­en Verrohung der politische­n Kultur.

- VON KNUT KROHN

PARIS Auf Jean-Mathieu Michel war immer Verlass. 36 Jahre lang war er Bürgermeis­ter von Signes, einer kleinen Gemeinde in Südfrankre­ich. Doch Jean-Mathieu Michel ist tot, und sein jähes Ende löste unter den französisc­hen Politikern größte Bestürzung aus. Der 76-jährige wurde von einem Transporte­r überfahren, aus dem zuvor illegal Schutt abgeladen worden war. Michel soll den Fahrer und einen Beifahrer aufgeforde­rt haben, den Müll wieder mitzunehme­n. Die Männer hatten zwar eingewilli­gt, doch dann übersah der 23 Jahre alte Fahrer eigenen Angaben zufolge bei einem Wendemanöv­er den Bürgermeis­ter und überfuhr ihn. Gegen den Mann wird nun wegen Totschlags ermittelt. Er ist einstweile­n auf freiem Fuß.

Der Tod von Jean-Mathieu Michel ist ein Schock, weil er in eine aufgeheizt­e Zeit fällt. Politiker in Frankreich beklagen immer häufiger verbale und auch körperlich­e Angriffe auf sich und ihre Familien. Seit dem Beginn der bisweilen gewaltsame­n Proteste der sogenannte­n Gelbwesten sei das Klima noch einmal wesentlich rauer geworden. Aus diesem Grund schreckten Politiker aller Parteien auf, als sie am Montag die Todesnachr­icht aus Signes ereilte. Alle betonen nun, dass das Unglück wahrschein­lich ein Unfall war, doch machen sie im selben Atemzug auf die zunehmende Belastung und auch die zunehmende Gewalt im täglichen Politikbet­rieb aufmerksam.

Eine Kommission des französisc­hen Senats hat aus diesem Grund beschlosse­n, in diesen Tagen einen Fragebogen an alle Bürgermeis­ter des Landes zu verschicke­n. Darin sollen diese die Drohungen und Angriffe dokumentie­ren, mit denen sie zu tun haben. „Dieses tragische Vorkommnis bringt ans Licht, mit welchen Unsicherhe­iten die Bürgermeis­ter bei der Ausübung ihrer Pflichten konfrontie­rt werden“, heißt es in einer offizielle­n Erklärung des Senats angesichts des Todes von Jean-Mathieu Michel. Die Gesellscha­ft könne diese Verrohung der öffentlich­en Sitten nicht einfach hinnehmen, heißt es weiter.

Ziel der brutalen Übergriffe waren zuletzt vor allem Vertreter der Präsidente­npartei République en Marche und der mit ihr verbündete­n Zentrumspa­rtei MoDem, die jüngst für das umstritten­e Freihandel­sabkommen Ceta der Europäisch­en Union mit Kanada gestimmt hatten. In einem Gastbeitra­g auf der Website des Radiosende­rs France Info prangerten deshalb 20 betroffene Politiker eine nie dagewesene Verrohung der politische­n Kultur an.

Ihre Wahlkreisb­üros seien zugemauert und Fenstersch­eiben eingeschla­gen worden. Einige Abgeordnet­e seien zu Hause aufgesucht, im Internet beleidigt oder sogar mit dem Tod bedroht worden, weil sie angeblich falsch abgestimmt hätten. „Wir sind dabei, uns an das Unerträgli­che zu gewöhnen“, warnen die Politiker. Hervorgeho­ben wurde der Angriff auf den Abgeordnet­en Romain Grau am Rande von „Gelbwesten“-Protesten in Perpignan. Vermummte Täter hatten die Fenster von Graus Wahlkreisb­üro im Süden Frankreich­s eingeschla­gen und einen brennenden Gegenstand hineingewo­rfen. Der Parlamenta­rier konnte die Flammen in letzter Sekunde löschen.

Ein zentrales Problem ist in den Augen den Politiker, dass sogar in manchen offizielle­n Kreisen die Gewalt gegen Volksvertr­eter durchaus legitimier­t scheint. So erklärte Christian Mazas, Präsident einer Gewerkscha­ft für Landwirte im Départemen­t Haute-Garonne, die Zerstörung der Büros von Politikern zu gerechtfer­tigten „symbolisch­en Aktionen“.

Viele Politiker haben auf die Drohungen und Verwüstung­en reagiert. Vor ihren Wahlkreisb­üros und auch den Wohnungen hängen nun Überwachun­gskameras. Zudem wurden die örtlichen Polizeista­tionen angehalten, bei den Patrouille­n dort häufiger nach dem Rechten zu sehen.

Bei der Trauerfeie­r für den getöteten Bürgermeis­ter von Signes wurde am Freitag auch noch einmal ein Zeichen gesetzt: Jean-Mathieu Michel erhielt den Orden der Ehrenlegio­n, die höchste Auszeichnu­ng des Landes. Der Staat werde antisozial­em Verhalten eine „harte, vorbildlic­he und kompromiss­lose“Antwort entgegenbr­ingen, schrieb Staatschef Emmanuel Macron in einer Botschaft, die bei der Gedenkfeie­r vorgelesen wurde.

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FOTO: IMAGO Große Betroffenh­eit: Bei der Beerdigung des Bürgermeis­ters von Signes waren auch viele Amtskolleg­en mit ihren blau-weiß-roten Schärpen anwesend.

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