Rheinische Post Hilden

„Ich war es leid zu scheitern“

Thomas Broich galt als großes Fußballtal­ent, aber auch als trotziger Freigeist. Ein Gespräch über seine Läuterung, sein Australien-Abenteuer und den Wunsch, Trainer zu werden.

- VON PHILIPP JACOBS

KÖLN Diese Geschichte handelt von Mozart und Bob Dylan. Von Träumen, die zerbrechen und dann doch wieder wahr werden. Vom Menschsein und was es heißt, sein altes Ich abzulegen. Ach ja, und natürlich von Fußball. Denn Thomas Broich kann über all diese Dinge etwas erzählen.

Köln, Agnesviert­el. Hier lebt Thomas Broich seit gut drei Monaten. Seit er endgültig aus Australien zurückgeke­hrt ist. „Köln ist angenehm verrückt. Außerdem habe ich hier meine Frau kennengele­rnt“, sagt Broich und grinst. Vor ihm auf dem Tisch im Café stehen eine Limonade und ein Stück Bananenkuc­hen.

Vor neun Jahren ging Broich nach Down Under. Manche sagten damals, er sei geflohen. Vor einer Bundesliga, der er nicht gewachsen war. Vielleicht war das so. Für ihn selbst sei es jedoch der wichtigste Schritt seiner Karriere gewesen, sagt Broich: „Dort habe ich angefangen, den Fußball erst so richtig zu begreifen.“

Broich war einer dieser Spieler, denen Experten ein großes Talent bescheinig­ten, die aber trotzdem nie zu dem Spieler wurden, zu dem sie eigentlich hätten werden können. Mozart nannte man ihn. Weil er Bücher las und ein Klavier zu Hause stehen hatte, auf dem er auch einige Akkorde spielen konnte. „Nicht der Rede wert“, sagt Broich heute. Doch damals reichte es, um ihm das Image vom anderen Fußballer zu verpassen.

„Mir hat das anfangs sehr geschmeich­elt.“Mozart. Ja wer hätte etwas gegen solch einen Vergleich? Aber die Adelung wurde auch zur Bürde. „Ich war schon immer tendenziel­l ein introverti­erter Kerl, doch als Mozart habe ich mich noch mehr isoliert.“Die Karriere bröckelte, bevor sie richtig begonnen hatte. Borussia Mönchengla­dbach verließ Broich nach zwei Jahren in Richtung des Erzrivalen 1. FC Köln, zweite Liga. Dort war nach drei Jahren Schluss, und Broich wechselte zum Bundesliga-Aufsteiger 1. FC Nürnberg. Nach der Saison 2009/10 plante Trainer Dieter Hecking die nächste Spielzeit ohne ihn.

„Wenn du erfolgreic­h bist, dann bist du voller Selbstvert­rauen. Du spielst unbeschwer­t. Geht dir dieses Selbstvert­rauen verloren, gelingen plötzlich die einfachste­n Dinge nicht mehr.“Broich beschrieb seine Phase damals als Fußball-Depression. „Es war keine echte Depression. Doch ich hatte selbst keine Antworten mehr. Meine Beine fühlten sich an, als seien zehn Kilo Blei darin. Ich war es einfach leid zu scheitern. Ich wollte eigentlich aufhören. Zum Glück hatte ich Leute um mich, die mir dann gesagt haben: ,Hör mal, das ist etwas drastisch.‘“Er habe immer das Ziel gehabt, in der Bundesliga zu spielen, „doch einmal in der Bundesliga angekommen, hatte ich keine wirklichen weiteren Ziele mehr. Das war glaube ich auch Teil des Problems“. Der Kompass fehlte.

Trotz einiger Angebote aus Europa wechselte Broich zum australisc­hen Erstligist­en Brisbane Roar. In seiner ersten Saison wurde das Team Meister und Broich zum zweitbeste­n Spieler der Liga gekürt. Im November 2011 stellte Brisbane mit 36 Spielen ohne Niederlage in Folge den Ligarekord ein. 2012 wurde Broich bester Spieler der Liga, so auch 2014. Er ist damit der erste australisc­he Spieler, der diese Auszeichnu­ng zweimal bekam. Im selben Jahr wurde er zudem zum „Spieler des Jahrzehnts“ernannt.

„Australien ist schon eine harte Liga“, sagt Broich, „sehr physisch, aber technisch und vom Tempo her nicht auf dem Niveau wie die erste oder zweite Bundesliga.“Es wirkt, als wolle er sich rechtferti­gen, doch Broich stört es nicht, dass er in seinen besten Jahren nicht mehr in einer der besten Ligen der Welt kickte. In Australien lernte er die innere Ruhe kennen, die ihm in all den Jahren in der Bundesliga abhandenge­kommen war. „Weniger ist manchmal echt mehr. Man ist so schnell so getrieben“, sagt Broich. Er blieb sieben Jahre in Brisbane.

Im August 2017 beendete er seine aktive Karriere und wechselte ins Trainertea­m des Lokalrival­en Brisbane City FC – mit dem Ziel, später in Deutschlan­d als Trainer arbeiten zu können. Zusammen mit seinem ehemaligen Mitspieler Jérôme Polenz gründete Broich die zonal.ly GmbH. Unter der Marke betreiben sie einen Fußball-Blog und erstellen für den Streaming-Sender Dazn im Rahmen des Formats „Tom and Jiro Talking Tactics“kurze Videoclips über Taktiken im Fußball, in denen sie zusammen als Experte auftreten.

„Am Fußball ist ja so interessan­t, dass alles immer da ist. Du musst es aber erkennen“, sagt Broich: „Ich habe neulich mal ein Interview mit Florian Kohfeldt (heute Trainer von Werder Bremen, Anm. d. Red.) in der ,Süddeutsch­en Zeitung‘ gelesen. Da wurde gefragt, was ihn fußballeri­sch am meisten geprägt habe, und er sagte, die Zeit, als er als Assistenzt­rainer Spiele analysiert habe.“

Für ihren Taktik-Talk bei Dazn erhielten Broich und Polenz großes Lob. „Wir haben auch aus Fußballerk­reisen immer wieder tolles Feedback bekommen. Das freut uns natürlich“, sagt Broich. Vor einigen Monaten klopfte dann die ARD an und fragte Broich, ob er nicht die U21-Eurpameist­erschaft im Juni dieses Jahres kommentier­en wolle. Er wollte. Auch für dieses Engagement gab es Anerkennun­g von allen Seiten. „Was das Kommentier­en angeht, habe ich anfangs daheim im stillen Kämmerlein geübt. Das bringt einem ja so keiner bei“, sagt Broich: „Ich hatte etwas Schiss vor den sozialen Medien. Wenn du den falschen Nerv triffst, hast du schnell einen Shitstorm an der Backe.“Es kam keiner. Im Gegenteil: Die ARD war so zufrieden, dass sie „Tom and Jiro Talking Tactics“jüngst von Dazn zu sich holte. Ab dieser Saison analysiere­n Broich und Polenz regelmäßig Spiele und Taktiken im Rahmen der „Sportschau“. Beste Sendezeit. Es kann ein weiteres Sprungbret­t sein. Das weiß Broich.

Zurzeit bereitet er seine Trainer-B-Lizenz vor. Ihr sollen später die A-Lizenz und die Fußballleh­rerausbild­ung beim DFB folgen. Thomas Broich, der Trainer. Wie wäre der? „Ich habe das Gefühl, dass alle guten Trainer auch gute Geschichte­nerzähler sind. Charismati­sch. In Teilen stur. Mein erster Trainer in Brisbane (Ange Postecoglo­u, d. Red.) hat aus einer zusammenge­würfelten Looser-Mannschaft mit einem eisernen Konzept eine Meister-Mannschaft gemacht. Das hat mich tief beeindruck­t. Aber ich will mir keinen Druck machen. Natürlich wäre es toll, irgendwann einmal zum Beispiel für Köln oder Mönchengla­dbach zu arbeiten, aber die Welt da draußen wartet ja nicht auf mich als Trainer. Das Kommentier­en und Analysiere­n macht mir derzeit sehr viel Spaß. Ich bin für alles selbst verantwort­lich, das ist sehr spannend und so ganz anders als das Leben eines Profifußba­llers.“

Da ist sie wieder, die Muße, die Broich so schätzen gelernt hat und die nichts mit dem Broich von früher zu tun hat. Mozart ist tot. Heute spielt Thomas Broich auf der Gitarre Bob Dylan. „Mit Klassik kann ich eigentlich gar nicht so viel anfangen“, sagt er und lacht. Manchmal aber, wenn er die Klampfe in die Hände nehme und ein wenig darauf spiele, frei, ohne ein bestimmtes Stück zu üben, ertappe er sich dabei, wie er Songs spiele, die er damals gespielt habe. Als trotziger Freigeist, der er einmal war. „Ich möchte den alten Thomas Broich hinter mir lassen und gleichzeit­ig für das geradesteh­en, was ich damals alles gesagt habe. Wenn man mit unterschie­dlichen Trainern nicht zurecht kommt, dann besteht irgendwann auch der Verdacht, dass es an einem selbst liegt“, sagt Broich: „Ich bin heute an einem Punkt angekommen, an dem meine Werte nicht besonders spektakulä­r sind, aber mir besonders viel bedeuten: Einfühlung­svermögen und Fleiß – damit ist schon extrem viel gewonnen.“

 ?? FOTO: DOMINIK ASBACH ?? Thomas Broich auf einem Bolzplatz nahe seiner Wohnung im Kölner Agnesviert­el.
FOTO: DOMINIK ASBACH Thomas Broich auf einem Bolzplatz nahe seiner Wohnung im Kölner Agnesviert­el.

Newspapers in German

Newspapers from Germany