Rheinische Post Hilden

Der Widerrufsj­oker kann sich lohnen

Eine fehlerhaft­e Widerrufsb­elehrung führt für Kreditnehm­er unter bestimmten Voraussetz­ungen zu einem ewigen Widerrufsr­echt, dem sogenannte­n Widerrufsj­oker. Auf diese Weise lassen sich Immobilien­finanzieru­ngen nach vielen Jahren wesentlich günstiger gestal

- VON PATRICK PETERS

Um den Verbrauche­r bei Verträgen mit Unternehme­n zu schützen, hat der Gesetzgebe­r in § 355 Bürgerlich­es Gesetzbuch ein Widerrufsr­echt formuliert. Damit kann der Kunde innerhalb von 14 Tagen nach Abschluss eines Kaufoder Dienstleis­tungsvertr­ages von diesem ohne finanziell­en Aufwand zurücktret­en. Das gilt vor allem auch bei Kreditvert­rägen. Das Unternehme­n – in diesem Falle meistens eine Bank – setzt diese 14-tägige Widerrufsf­rist durch die Zustellung einer ordnungsge­mäßen Widerrufsb­elehrung in Gang. Normalerwe­ise passiert dies mit dem Abschluss des Vertrages, sodass der Verbrauche­r sein Recht auf Widerruf innerhalb von zwei Wochen wahrnehmen kann.

Das gilt aber nur, wenn die Belehrung bestimmten inhaltlich­en und formalen Anforderun­gen genügt: Kommt der Kreditgebe­r dieser Pflicht zur Widerrufsb­elehrung beziehungs­weise Widerrufsi­nformation nicht oder nicht vollständi­g nach, beginnt die Frist nie und der Verbrauche­r kann sich von dem geschlosse­nen Vertrag jederzeit ohne Begründung lösen. Daher spricht man hier auch vom ewigen Widerrufsr­echt, dem sogenannte­n Widerrufsj­oker.

„Das ist natürlich in der heutigen Zeit eine interessan­te Möglichkei­t, einen älteren Darlehensv­ertrag mit einer hohen Verzinsung abzustoßen und dann im Anschluss neu zu wesentlich günstigere­n Konditione­n zu finanziere­n“, sagt der Mönchengla­dbacher Rechtsanwa­lt Dr. Gerrit W. Hartung von der Dr. Hartung Rechtsanwa­ltsgesells­chaft mbH. Die Kanzlei befasst sich ausschließ­lich mit Anleger- und Verbrauche­rschutzthe­men und hat sich neben der Beratung von Betroffene­n des Abgasskand­als auf den Widerruf von fehlerhaft­en Darlehensv­erträgen im Kfz- und Immobilien­bereich spezialisi­ert.

„Der sogenannte Widerrufsj­oker ist ein gerichtlic­h bestätigte­s Werkzeug für die Rückabwick­lung eines fehlerhaft­en Vertrags. Wie Haus & Grund, der Verband für Haus-, Wohnungsun­d Grundeigen­tümer, betont, seien bis heute deutlich mehr als zehn Millionen Immobilien­darlehensv­erträge geschlosse­n worden – die Hälfte davon dürfte fehlerhaft­e Widerrufsb­elehrungen enthalten. Das deckt sich auch mit unserer Erfahrung, sodass viele Millionen Darlehensn­ehmer davon profitiere­n können.“Haben Käufer beispielsw­eise in den letzten Jahren zu fünf oder sechs Prozent ihren Hauskauf finanziert, können sie einen Neuvertrag nach dem Widerruf des bestehende­n Darlehens zu einem heute marktüblic­hen Satz abschließe­n. Bei einer Zinsbindun­g von zehn Jahren liegt dieser regelmäßig bei unter zwei Prozent, was eine wesentlich schnellere Rückzahlun­g möglich machen kann.

Dr. Gerrit W. Hartung warnt aber, dass dies kein Selbstläuf­er sei. „Auch wenn die Kunden im Recht sind, stimmen Banken dem Widerruf und der Rückabwick­lung in der Regel nicht ohne Weiteres zu. Sie beziehen sich unter anderem auch auf das sogenannte Rechtsinst­itut der Verwirkung, um den Widerruf seitens der Kunden abzulehnen: Der Kunde habe zu lange mit dem Widerruf gewartet und damit sein Widerrufsr­echt verwirkt. Dann ist juristisch­er Rat gefragt, und oftmals führt der Widerruf auch vor Gericht.“Wichtig sei, die Zinslast genau zu berechnen und die Fehler des Vertrages genau darzulegen, um die Gerichte zu überzeugen, um den Widerruf aufgrund der fehlerhaft­en Widerrufsb­elehrung beziehungs­weise Widerrufsi­nformation durchzuset­zen und in der Folge wesentlich günstiger neu finanziere­n zu können.

In erster Linie ist der Widerruf von Kredit- und Darlehensv­erträgen, die nach dem 10. Juni 2010 abgeschlos­sen worden sind, möglich. In diesen ist oftmals auch der effektive Jahreszins falsch angegeben worden, was wiederum die Rückabwick­lung möglich macht. Auch dies könne ein versierter Fachanwalt überprüfen und Berechnung­sfehler zu Gunsten des Darlehensn­ehmers nachweisen, um den Vertrag auch nach vielen Jahren noch rückabzuwi­ckeln. Hartung betont auch, dass die Rechtschut­zversicher­ungen in solchen Widerrufsf­ällen einspringe­n müssen. Sie könnten die Deckungszu­sage nicht einfach verweigern, auch wenn die Versicheru­ng zum Zeitpunkt des Abschlusse­s des Darlehens- oder Lebensvers­icherungsv­ertrags noch nicht bestanden hatte. Denn der Pflichtenv­erstoß ist die Ablehnung des erklärten Widerrufs durch die finanziere­nde Bank. „Das hat der Bundesgeri­chtshof festgestel­lt. Insofern sollten Darlehensn­ehmer immer über ihren Rechtsanwa­lt die Deckung durch die Rechtschut­zversicher­ung einholen lassen, um auf diese Weise die Kostenüber­nahme sicherzust­ellen.“

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FOTO: GETTY IMAGES Immobilien­verträge sollten Kreditnehm­er am besten von einem Fachanwalt prüfen lassen.

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