Rheinische Post Hilden

NRW-Bahnhöfe schlecht bewacht

Wieder erschütter­t eine Bluttat an einem Bahnhof das Land: In Iserlohn werden zwei Menschen erstochen. Die Bundespoli­zei klagt über Personalma­ngel vor allem abseits großer Städte.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

ISERLOHN/DÜSSELDORF Wieder ist es an einem Bahnhof in Nordrhein-Westfalen zu einer tödlichen Attacke gekommen. In Iserlohn im Märkischen Kreis erstach am Samstag mutmaßlich ein 43-Jähriger seine getrennt von ihm lebende 32 Jahre alte Ehefrau und deren 23-jährigen neuen Lebensgefä­hrten mit einem Küchenmess­er. Der mutmaßlich­e Täter und das weibliche Opfer stammen aus dem Kosovo, das männliche Opfer kommt aus Afghanista­n. Das zweimonati­ge Baby der Frau überlebte unverletzt. Der Verdächtig­e ließ sich widerstand­slos festnehmen; er sitzt in Untersuchu­ngshaft.

Es ist bereits die dritte tödliche Tat an einem deutschen Bahnhof binnen weniger Wochen. Ende Juli war in Voerde (Kreis Wesel) eine 34-Jährige vor einen Zug gestoßen worden. Wenige Tage später starb ein Achtjährig­er, der im Frankfurte­r Hauptbahnh­of vor einen einfahrend­en ICE gestoßen wurde. Seine Mutter konnte sich in letzter Sekunde retten. Weder in Frankfurt noch in Voerde kannten sich nach Erkenntnis­sen der Polizei Täter und Opfer. Seitdem wird wieder verstärkt über die Sicherheit an Bahnhöfen diskutiert.

Iserlohn gehört nach Angaben der Bundespoli­zei zu den Wachen in Nordrhein-Westfalen, die aus Personalma­ngel unzureiche­nd besetzt sind – in diesem Fall nur mit 70 Prozent der Sollstärke. „In der Regel ist nur etwa die Hälfte der Bahnhofsre­viere durchgängi­g besetzt“, hieß es aus Kreisen der Behörde. „Besonders kleine Reviere sind pro Tag maximal stundenwei­se belegt.“

Ein Sprecher der Bundespoli­zei bestätigte, dass sich nicht an allen Bahnhöfen in NRW rund um die Uhr Einsatzkrä­fte befinden. „Eine zwingende Notwendigk­eit für die Besetzung besteht bei den Großstadtw­achen, was jederzeit gewährleis­tet ist“, sagte ein Sprecher der zuständige­n Bundespoli­zeidirekti­on Sankt Augustin. Das Personal werde flexibel dort eingesetzt, wo es nötig sei. „In der Vergangenh­eit hatte das zur Folge, dass wir nicht immer in dem Maße präsent waren, wo es vielleicht wünschensw­ert gewesen wäre, jedoch nach der objektiven Sicherheit­slage nicht zwingend erforderli­ch war“, räumte der Sprecher ein.

Ernst Walter, Vorsitzend­er der Bundespoli­zeigewerks­chaft (DPolG), sieht die Gründe für den Mangel bei der Politik. „Der Sicherheit an Bahnhöfen hat man viel zu lange nicht die erforderli­che Bedeutung zugemessen“, sagte er unserer Redaktion. „Durch die Verwendung des Personals für andere Aufgaben wurden die Kollegen dort immer mehr zu Reaktionsk­räften degradiert. Prävention­sarbeit durch offene Streifen ist nur noch selten möglich“, kritisiert­e Walter. Wenn jetzt nach den tödlichen Attacken mehr Personal eingesetzt werden solle, dann gehe das nur auf Kosten der ohnehin überlastet­en Bundesbere­itschaftsp­olizei.

Schlecht besetzte Reviere sind etwa Bielefeld, Bochum, Bonn, Duisburg, Essen, Gelsenkirc­hen, Hagen (dazu gehört Iserlohn), Hamm, Mönchengla­dbach, Oberhausen, Paderborn, Recklingha­usen, Siegburg, Siegen und Wuppertal. Selbst eine große Inspektion wie in Dortmund habe kaum Kapazitäte­n für die normale Alltagskri­minalität, hieß es aus Kreisen der Bundespoli­zei: „Normalerwe­ise müssten dort immer 25 Leute sein, es sind aber meist nur halb so viele.“

Es werde mindestens fünf Jahre dauern, bis annähernd ausreichen­d Personal vorhanden sei, schätzt Walter: „Ich kann gut nachvollzi­ehen, dass Reisende Angst haben, abends allein durch einen kleinen Bahnhof zu gehen.“

Leitartike­l, Nordrhein-Westfalen

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