Frauenfreund Jupiter ist der schlimmste Finger im Olymp
SALZBURG zu protestieren. Da gerät Orpheus an den Falschen, denn Jupiter ist der schlimmere Finger im Olymp.
Diese burleske Version des Orpheus-Mythos versetzt jetzt der Regisseur Barrie Kosky in eine Art obszöne Teilchenbeschleunigung. Salzburgs erste Begegnung mit diesem Geniestreich Offenbachs spielt zu Teilen als Replik auf die wundervoll klamaukige „Klimbim“-Serie, als komödiantischer Slapstick, zu Teilen vollständig unter der Gürtellinie. Jupiters Glitzerpenis hat irgendwann eine ärgerliche Wachstumshemmung erlitten, gegen die der Gott anrubbelt. Während das Bayreuther Publikum solche regielichen Eskapaden mit ewiger Verdammnis bestrafen würde, herrscht im frivolen Salzburg helles Entzücken. Einige Zoten sind sozusagen im Stück und in der Ideenwelt des gebürtigen Kölners Offenbach angelegt.
Der schönste Gag ist, dass sich der Kammerdiener des Abends, John Styx, zum listig-allwissenden Conférencier aufschwingt. Max Hopp dient in dieser Partie als Übersetzer der Konversation, als Bauchredner, als Souffleur, er bringt göttliches Gesinge ohne Umschweife ans Publikum – eine verrückt-schöne Idee Koskys, die eine weitere Dimension der Brechung in diesen Abend einführt.
Hopp belebt Bilder als Comic-Strips, indem er auch Geräusche mitspricht. Boing! Scratch! Schleck! Das rennt schnurstracks auf die Monty-Python-Ästhetik zu. Insgesamt lebt die Produktion von knackigen Bildern, die gelegentlich auf zulässige Weise pubertieren, etwa bei der Erkundung männlicher und weiblicher Geschlechtsorgane.
Musikalisch ist dieser „Orpheus“allerdings unerwartet bodenständig. Es scheint, als gerieten die Musiker durch den zirzensischen Druck der Bühne in eine Art musikalische Selbstfesselung. Die Sänger sind durchweg ordentlich, aber nicht Weltklasse. Einzig Kathryn Leweks vollblütige Eurydike, oft mit allerhöchsten Aufgaben betraut, mirakelt sich durch die Aufführung. Enrique Mazzola dirigiert die Wiener Philharmoniker mit einer Nervosität, die nicht zwingend in Champagner-Seligkeit mündet: Nervenkitzel erreicht man nur durch Gelassenheit und kaltes Blut.
90 Minuten nach dem bacchantisch-heiteren Finale von „Orphée aux enfers“wartet ein weiterer Mythos auf den Rezensenten, nämlich George Enescus Oper „Oedipus“ aus dem Jahr 1936, die ziemlich geradlinig und in vier Akten die Ödipus-Geschichte erzählt, getreu dem Sophokles, also von der Wiege bis zur Selbstblendung und zur Erlösung auf Kolonos.
Vom Kleinen Festspielhaus gehen wir 30 Meter nach nebenan, in die Felsenreitschule, wo Regie-Altmeister Achim Freyer eine seiner berüchtigten Bilder-, Symbol- und Materialschlachten entfesselt. Während Kosky herrlich die letzte Würzung eines Stücks vornahm, wirkt Freyer wie ein scheuer Diener, der Werke mit feierlicher Phantasie ausleuchtet. Die ehrwürdige Felsenreitschule ist bei ihm eine Kathedrale der Lichter, Zeichen und Symbole; im Zentrum steht Ödipus (der großartige Christopher Maltman), ein Wüterich mit Boxhandschuhen, der inmitten von Ballon-Figuren, zurückkehrenden Jedi-Rittern, aus dem Schnürboden baumelnden Puppen und dem Personal aus „Alice im Wunderland“die Tragödie schuldloser Schuldigkeit durchlebt. Dass er niemals eine Chance hat, beklagt er als Sünde der Götter.
Leider sind die Wiener Philharmoniker von vorhin, vom Offenbach, schon ordentlich aufgerieben, sodass sie die Enescu-Partitur unter Ingo Metzmacher allenfalls ordentlich aus dem Graben hieven. Dies ist sowieso keine Oper, sondern eine symphonische Kantate, ein unmäßiger Wechselbalg der Stile, durch dessen Adern sogar Leitmotive nach Wagner-Art fließen.
Die Verbindung der Musik mit dem altbackenen Mysterientheater Freyers erzeugt in vielen Momenten einen multimedial dröhnenden Vollkitsch. Das Salzburger Festspielpublikum reagiert überaus nachsichtig und scheint von Freyers meditativem Kasperletheater sogar erfreut. Nun, dann wollen wir nicht weiter meckern.