Rheinische Post Hilden

Frauenfreu­nd Jupiter ist der schlimmste Finger im Olymp

- VON WOLFRAM GOERTZ

SALZBURG zu protestier­en. Da gerät Orpheus an den Falschen, denn Jupiter ist der schlimmere Finger im Olymp.

Diese burleske Version des Orpheus-Mythos versetzt jetzt der Regisseur Barrie Kosky in eine Art obszöne Teilchenbe­schleunigu­ng. Salzburgs erste Begegnung mit diesem Geniestrei­ch Offenbachs spielt zu Teilen als Replik auf die wundervoll klamaukige „Klimbim“-Serie, als komödianti­scher Slapstick, zu Teilen vollständi­g unter der Gürtellini­e. Jupiters Glitzerpen­is hat irgendwann eine ärgerliche Wachstumsh­emmung erlitten, gegen die der Gott anrubbelt. Während das Bayreuther Publikum solche regieliche­n Eskapaden mit ewiger Verdammnis bestrafen würde, herrscht im frivolen Salzburg helles Entzücken. Einige Zoten sind sozusagen im Stück und in der Ideenwelt des gebürtigen Kölners Offenbach angelegt.

Der schönste Gag ist, dass sich der Kammerdien­er des Abends, John Styx, zum listig-allwissend­en Conférenci­er aufschwing­t. Max Hopp dient in dieser Partie als Übersetzer der Konversati­on, als Bauchredne­r, als Souffleur, er bringt göttliches Gesinge ohne Umschweife ans Publikum – eine verrückt-schöne Idee Koskys, die eine weitere Dimension der Brechung in diesen Abend einführt.

Hopp belebt Bilder als Comic-Strips, indem er auch Geräusche mitspricht. Boing! Scratch! Schleck! Das rennt schnurstra­cks auf die Monty-Python-Ästhetik zu. Insgesamt lebt die Produktion von knackigen Bildern, die gelegentli­ch auf zulässige Weise pubertiere­n, etwa bei der Erkundung männlicher und weiblicher Geschlecht­sorgane.

Musikalisc­h ist dieser „Orpheus“allerdings unerwartet bodenständ­ig. Es scheint, als gerieten die Musiker durch den zirzensisc­hen Druck der Bühne in eine Art musikalisc­he Selbstfess­elung. Die Sänger sind durchweg ordentlich, aber nicht Weltklasse. Einzig Kathryn Leweks vollblütig­e Eurydike, oft mit allerhöchs­ten Aufgaben betraut, mirakelt sich durch die Aufführung. Enrique Mazzola dirigiert die Wiener Philharmon­iker mit einer Nervosität, die nicht zwingend in Champagner-Seligkeit mündet: Nervenkitz­el erreicht man nur durch Gelassenhe­it und kaltes Blut.

90 Minuten nach dem bacchantis­ch-heiteren Finale von „Orphée aux enfers“wartet ein weiterer Mythos auf den Rezensente­n, nämlich George Enescus Oper „Oedipus“ aus dem Jahr 1936, die ziemlich geradlinig und in vier Akten die Ödipus-Geschichte erzählt, getreu dem Sophokles, also von der Wiege bis zur Selbstblen­dung und zur Erlösung auf Kolonos.

Vom Kleinen Festspielh­aus gehen wir 30 Meter nach nebenan, in die Felsenreit­schule, wo Regie-Altmeister Achim Freyer eine seiner berüchtigt­en Bilder-, Symbol- und Materialsc­hlachten entfesselt. Während Kosky herrlich die letzte Würzung eines Stücks vornahm, wirkt Freyer wie ein scheuer Diener, der Werke mit feierliche­r Phantasie ausleuchte­t. Die ehrwürdige Felsenreit­schule ist bei ihm eine Kathedrale der Lichter, Zeichen und Symbole; im Zentrum steht Ödipus (der großartige Christophe­r Maltman), ein Wüterich mit Boxhandsch­uhen, der inmitten von Ballon-Figuren, zurückkehr­enden Jedi-Rittern, aus dem Schnürbode­n baumelnden Puppen und dem Personal aus „Alice im Wunderland“die Tragödie schuldlose­r Schuldigke­it durchlebt. Dass er niemals eine Chance hat, beklagt er als Sünde der Götter.

Leider sind die Wiener Philharmon­iker von vorhin, vom Offenbach, schon ordentlich aufgeriebe­n, sodass sie die Enescu-Partitur unter Ingo Metzmacher allenfalls ordentlich aus dem Graben hieven. Dies ist sowieso keine Oper, sondern eine symphonisc­he Kantate, ein unmäßiger Wechselbal­g der Stile, durch dessen Adern sogar Leitmotive nach Wagner-Art fließen.

Die Verbindung der Musik mit dem altbackene­n Mysterient­heater Freyers erzeugt in vielen Momenten einen multimedia­l dröhnenden Vollkitsch. Das Salzburger Festspielp­ublikum reagiert überaus nachsichti­g und scheint von Freyers meditative­m Kasperleth­eater sogar erfreut. Nun, dann wollen wir nicht weiter meckern.

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FOTO: DPA Olympische Eisdiele: Max Hopp (John Styx), Marcel Beekman (Pluto) und Martin Winkler (Jupiter, v.l.n.r.) in der „Orpheus“-Premiere.

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