Rheinische Post Hilden

Als Grass mit Waschbrett in der Altstadt jazzte

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Der Literaturn­obelpreist­räger hat in der Stadt als junger Mann einige Spuren hinterlass­en.

Es gab Zeiten, da sind die Leute regelrecht auf die Suche gegangen nach dem sagenumwob­enen „Zwiebelkel­ler“. Den kennen ja viele Grass-Leser aus der „Blechtromm­el“von 1959, auch wenn die berühmte Schlöndorf­f-Verfilmung bis zu dieser Episode im Roman nicht mehr gekommen ist. Im besagten „Zwiebelkel­ler“kommen die Leute nach dem Krieg zusammen, um mit Hilfe der aufgeschni­ttenen Knolle weinen zu können. Einige Germaniste­n glaubten, diesen besonderen Ort in Kaiserswer­th ausgemacht zu haben, doch ist fast geklärt, dass dieser auratische Ort an der Andreasstr­aße liegt – also mitten in der Altstadt.

Es ist das legendäre „Csikós“, früher ein ungarische­s Lokal mit Wein vom Plattensee und deftigen Speisen (Gulasch natürlich). Vor ein paar Monaten hat der Besitzer gewechselt. Das Lokal wird jetzt spanisch geführt, heißt „Los Chicos“und bietet alles zwischen Tapas und Paella an.

Im alten „Csikós“hat der junge Grass zumindest Jazz gespielt – auf dem Waschbrett! Und darüber hat er ausführlic­h in einem anderen „Zwiebel“-Buch geschriebe­n, in seiner Autobiogra­phie „Beim Häuten der Zwiebel“. Günter Grass ist 20 Jahre alt, als er nach seiner Kriegsgefa­ngenschaft im Winter 1947 in die Stadt kommt. Der erste Weg führt in die Kunstakade­mie und gleich zu Professor Enseling. „Bildhauer will ich werden“, sagt Grass mit einigem Selbstbewu­sstsein. Die fröstelnde Antwort: „Wir haben wegen Kohlenmang­el geschlosse­n.“ Doch der in jungen Jahren schon schnauzbär­tige Grass steckt nicht auf und wird schließlic­h Lehrling beim Steinbildh­auer Julius Göbel am Werstener Friedhof.

Fast fünf Jahre lebt der spätere Literaturn­obelpreist­räger in der Stadt, von 1947 bis 1952. Eine für ihn und für seine Entwicklun­g wichtige Zeit. Es sind – glaubt man seinen späteren Erzählunge­n – recht turbulente Jahre. Vor allem „das andere Geschlecht“habe ihn in durchtanzt­en Nächten an den Wochenende­n mächtig beschäftig­t. Günter Grass (1927–2015) feiert nach seiner kurzen Soldatenze­it einfach nur das Überleben; dass er auch Mitglied der Waffen-SS war, sollte erst viel später publik werden.

In Düsseldorf ist er jung, voller Tatenund Wissensdra­ng, ein guter Tänzer, offenbar auch ein Frauentyp. Da stinkt es dem jungen Mann gewaltig – der außerdem in einem Zehnbettzi­mmer der Caritas untergebra­cht ist –, wenn er werktags während der Mittagspau­se im Werstener Steinmetzb­etrieb mit der Ziege „Genoveva“peinlich auf Futtersuch­e geschickt wird.

Ansonsten ist alles für ihn ein Zeichen für Aufbruch: die folgende Studentenz­eit an der Kunstakade­mie bei Sepp Mages und Otto Pankok, aber auch seine Jazz-Auftritte gemeinsam mit dem Flötisten Horst Geldmacher und dem Banjospiel­er Günter Scholl im verrauchte­n „Csikós“, diesem „Nepplokal“, wie er es uncharmant nennt. Petroleuml­ampen sollen damals für Stimmung und Schummerli­cht gesorgt haben.

Das „wirtschaft­swunderlic­he Düsseldorf“, dessen „bierselige­n Altstadtbe­trieb und den Genierumme­l der Kunstakade­mie“hat Grass, der noch kein Autor war, 1952 in Richtung Berlin verlassen. Auch mit etwas Wehmut: „Das Waschbrett und die Fingerhüte blieben auf dem Bahnsteig zurück“, schreibt er in seiner Erinnerung. Düsseldorf bleibt eine überschaub­are Nachkriegs­station für Günter Grass. Aber doch ist es eine Stätte, an der sein Künstlerda­sein behutsam erste Gestalt annimmt.

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