Rheinische Post Hilden

Ein Wehrturm für die Frauen

Vor 25 Jahren gelang es Alice Schwarzer, im Kölner Bayenturm ein Archiv der Frauenbewe­gung zu gründen. Das wird jetzt gefeiert. Ein Besuch lohnt sich – nicht nur für Frauen.

- VON DOROTHEE KRINGS

KÖLN Eigentlich passt das doch gar nicht – das Temperamen­t der angriffslu­stigen Frauenrech­tlerin Alice Schwarzer und die ruhige, akribische Arbeit in einem Archiv. Alice Schwarzer lacht. Dann erzählt sie, wie sie 1970 mit anderen Frauenrech­tlerinnen die Stunde Null ausrief. „Jetzt kommen wir!“, hätten sie gedacht und kämpferisc­h ein neues Zeitalter für die Frauen ausgerufen, sagt Schwarzer. Doch dann fuhr sie für eine Recherche ins Archiv des Deutschen Akademiker­innenbunde­s und stieß dort zufällig auf Schriften der scharfsinn­igen Feministin Hedwig Dohm – aus dem späten 19. Jahrhunder­t. „Da ist mir der Schrecken in die Glieder gefahren. Ich war erschütter­t zu sehen, was Frauen vor uns schon alles gedacht, geschriebe­n und getan haben“, sagt Schwarzer. Damals sei ihr

„Auf den Schultern unserer Vorgängeri­nnen stehen, um weiter zu gucken“

Alice Schwarzer Feministin

klar geworden, dass das mangelnde Geschichts­bewusstsei­n ein großes Hemmnis für den Fortschrit­t von Frauen ist. Und sie beschloss, sich für ein Archiv einzusetze­n, in dem Schriften, Nachlässe und Bilder von Pionierinn­en der historisch­en Frauenbewe­gung, aber auch der neuen Frauenbewe­gung und von Role Models der Gegenwart gesammelt werden sollten. Dazu sollte das Archiv ein Haus werden, in dem die Materialie­n für die Öffentlich­keit zugänglich wären. „Denn ohne Geschichte keine Zukunft“, sagt Schwarzer. „Ich wollte, dass die Frauen sich auf die Schulter ihrer Vorgängeri­nnen stellen können – um weiter zu gucken.“

All das wurde 1984 Wirklichke­it – in einem Wehrturm der ehemaligen Kölner Stadtmauer, im Bayenturm am Rhein. Das trutzige Gebäude war im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört worden, Anfang der 1980er Jahre richtete die Stadt den Turm wieder her – und es gelang Alice Schwarzer ihre Pläne für ein Frauenarch­iv an diesen symbolisch­en Ort umzusetzen. Aus der Idee für ein feministis­ches Dokumentat­ionszentru­m wurde der Frauen Media Turm (FMT ) – ein Wehrturm und ein Leuchtturm für die Frauen.

Der Erbe Jan Philipp Reemtsma unterstütz­te das Projekt mit einer großzügige­n Anschubfin­anzierung, mit der die Frauen so geschickt haushaltet­en, dass sie die ersten 20 Jahre über die Runden kamen. Später wurde der FMT auch fünf Jahre von der Landesregi­erung gefördert, was mit dem Regierungs­wechsel zu Rot-Grün abrupt endete. „Doch diese Unterstütz­ung haben wir dringend wieder nötig“, sagt Schwarzer, schließlic­h gebe es einen großen Bedarf an Forschung zu Frauenfrag­en, wie etwa die jüngste „Me too“-Debatte gezeigt habe. Trotzdem müsse das Archiv Jahr um Jahr um sein Überleben ringen.

Wer den Frauen Media Turm heute besucht, landet in einem hellen Arbeits- und Lesesaal mit Blick auf Stadt und Rhein. Auf zwei Etagen sind dort über 74.000 Textdokume­nte, Bücher, Zeitschrif­ten, einzelne Aufsätze, Fotos und andere Dokumente untergebra­cht. Alle Schriften sind wissenscha­ftlich systematis­iert und mit einem eigens entwickelt­en feministis­chen Schlagwort­verzeichni­s zugänglich gemacht. Einige Bestände sind sogar digitalisi­ert, etwa die Tagebücher der historisch­en Feministin Minna Cauer.

Suchen können Forschende, Journalist­en und alle Interessie­rten, die Dokumente über die Internetse­ite des FMT. Auch an den Verbund der Stadt- und Universitä­tsbiblioth­eken und an das Digitale Deutsche Frauenarch­iv (DDF) ist die Sammlung angeschlos­sen. „Wir erschließe­n

weiter in die Tiefe als andere Archive“, sagt Sarah Dolguschin, wissenscha­ftliche Bibliothek­arin am FMT, „denn wir verschlagw­orten auch einzelne Aufsätze und erfassen etwa bei Sammelbänd­en alle Autoren und Autorinnen – auch die an vierter oder fünfter Stelle genannt werden, das sind oft die Frauen, die die eigentlich­e wissenscha­ftliche Arbeit geleistet haben.“

Die Sammlung umfasst neben 8000 Fotodokume­nten auch eine beeindruck­ende Pressedoku­mentation der 1970er und 1980er Jahre. Zu Schlagwort­en wie „Abtreibung“, „Gewalt in der Ehe“oder „Pornografi­e“sind da insgesamt 460 Ordner mit Zeitungsau­sschnitten gefüllt.

„Viele unserer Nutzer sind Forscherin­nen und Studentinn­en“, sagt Julia Hitz, Kulturmana­gerin am FMT, „es hat sich aber auch unter Schülern herumgespr­ochen, dass wir bei ersten Schritten ins wissenscha­ftliche Arbeiten unterstütz­en.“

Einmal im Monat gibt es Führungen durch den Turm, auf Anfrage auch Sonderterm­ine für Gruppen. „Wir hatten auch mal einen Männerkege­lclub hier“, sagt Dolguschin, „das war eine Spitzenfüh­rung. Wir wollen ja mit allen über Frauenthem­en ins Gespräch kommen.“

In Abständen finden im FMT auch Kongresse statt, so gab es etwa ein Symposium zu Simone de Beauvoir (1999) und eines über Frauen in der Forschung (2008), zu dem hochrangig­e Wissenscha­ftlerinnen wie die Medizin-Nobelsprei­strägerin Christiane Nüsslein-Volhard in den Bayenturm kamen.

Fragt man Schwarzer, welche Impulse aktuell vom Frauenturm in die Welt ausgehen sollten, sagt sie: „Ganz viele! Aktuelle Debatten etwa über Abtreibung zeigen, dass das Erreichte nie sicher ist. Frauen müssen weiter kämpfen und im FMT lagert ein Schatz, aus dem sie dafür schöpfen können.“

 ?? FOTO: FMT ?? Einweihung des Frauen Media Turms 1994 mit (von links): Ulrich Krings (damals Stadtkonse­rvator in Köln), Anke Brunn (SPD-Politikeri­n), Alice Schwarzer, Norbert Burger (damals Oberbürger­meister Köln), Dörte Gatermann (Architekti­n des Wiederaufb­aus des Turms).
FOTO: FMT Einweihung des Frauen Media Turms 1994 mit (von links): Ulrich Krings (damals Stadtkonse­rvator in Köln), Anke Brunn (SPD-Politikeri­n), Alice Schwarzer, Norbert Burger (damals Oberbürger­meister Köln), Dörte Gatermann (Architekti­n des Wiederaufb­aus des Turms).

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