Neue Energie braucht das Land
Jahrzehntelang konnte sich NRW auf seine Kohlevorkommen verlassen. 2038 soll mit der Förderung endgültig Schluss sein. Aber was kommt danach? Über den Energiemix der Zukunft
Die Kohleförderung hat NRW geprägt wie sonst wenig. Kilometerlange unterirdische Stollen für die Steinkohleförderung durchschneiden das Ruhrgebiet, Kraterlandschaften mit Wüstencharakter hinterlässt der Braunkohletagebau im Rheinischen Revier. Noch sind über 50 Braun- und Steinkohleblöcke in Kraftwerken in Betrieb. Über ein Viertel des deutschen Stroms wird in NRW erzeugt. Ohne die fossilen Energien wäre der Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg kaum denkbar gewesen.
Jetzt soll damit Schluss sein – es ist das Ende einer jahrzehntelangen Ära. Die letzte Steinkohlenzeche hat ihre Förderung bereits eingestellt, der Abschied vom Braunkohletagebau soll spätestens 2038 folgen. Zu hoch sind der CO2-Ausstoß und die Folgekosten für die Umwelt. Ohne den Ausstieg aus den fossilen Energien könnte Deutschland die Klimaziele niemals erreichen. Aber was kommt danach? Wie soll ein Energiemix der Zukunft aussehen, der zugleich wirtschaftlich, sicher und umweltfreundlich ist? NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) präsentierte dazu kürzlich ein Konzept, das einige Überraschungen bereithält.
Erneuerbare Energien
Windräder, Photovoltaikanlagen auf Dächern, aber auch die umstrittene Geothermie sollen zu einer entscheidenden Säule der Energieversorgung in NRW werden. Allein bei der Windenergie sieht der Wirtschaftsminister das Potenzial einer Verdoppelung der in Terrawattstunden gemessenen Leistung. Pinkwart setzt zunächst auf die Wiederertüchtigung bereits bestehender Anlagen – die Landesregierung hat gerade erst verfügt, dass neue Windräder einen Mindestabstand von 1500 Metern zu Wohngebieten einhalten müssen. Großes Potenzial, das erst zu sechs Prozent ausgenutzt wird, verspricht die Photovoltaik. Hier will die Landesregierung etwa dafür sorgen, dass öffentliche Gebäude verstärkt mit Solarpanels ausgestattet werden. Während bei Biomasse und Wasserkraft kaum mehr Steigerungen möglich seien, hält Pinkwart die oberflächennahe Geothermie für sehr vielversprechend. Diese Energiequelle allein könne mehr als die Hälfte des Bedarfs zum Beheizen von Gebäuden decken, werde aber erst zu einem Prozent genutzt. Doch Pinkwart will auch die Tiefengeothermie fördern: „Die Tiefengeothermie sowie das warme Grubenwasser ehemaliger Zechen bieten eine verlässliche Wärme- und Kälteversorgung, die es gerade in NRW systematisch zu erschließen gilt.“Erste Erkundungsbohrungen und seismische Untersuchungen laufen den Angaben zufolge unter anderem zusammen mit RWE am Kraftwerksstandort Weisweiler. Kritiker der Tiefengeothermie weisen auf die Gefahr von Erderschütterungen und -beben hin, weil zum Anzapfen der Erdwärme tiefe Bohrlöcher genutzt werden müssen.
CO2-Bepreisung Die Landesregierung befürwortet ein möglichst EU-weites System zur CO2-Bepreisung, das sich am bestehenden Zertifikatehandel orientieren soll. Die Sektoren Wärme und Mobilität sollen einbezogen werden, dafür sollen die übrigen Stromsteuern auf ein Mindestniveau sinken. Das würde sich für den privaten Endkunden lohnen: Pinkwart rechnet vor, dass zurzeit der Anteil von Steuern, Abgaben und Umlagen rund 53 Prozent des Haushaltsstrompreises ausmacht und der Anteil von Netzentgelten 24 Prozent.
Wasserstoff Gemessen an seiner bisherigen Bedeutung für den Energiemix schreibt die Landesregierung Wasserstoff für die Zukunft eine bedeutende Rolle zu. So will der Wirtschaftsminister eine Modellregion für Wasserstoffmobilität aufbauen. Das Rheinland, Düsseldorf-Wuppertal-Neuss und Steinfurt erhalten Landesmittel, um ein umfassendes Konzept zu entwickeln. Überdies will die Landesregierung zusammen mit Unternehmen und Wissenschaft ermitteln, welche Infrastruktur benötigt wird. Wasserstoff kann auch als Langzeitspeicher für erneuerbare Energien dienen: Per Elektrolyse kann das Gas aus überschüssigem erneuerbarem Strom gewonnen werden – das Verfahren ist heute allerdings noch nicht wirtschaftlich. Auch die Zahl der Wasserstofftankstellen soll deutlich ausgebaut werden.
Ohne den Ausstieg aus den fossilen Energien könnte Deutschland die Klimaziele nie erreichen
Netze Damit der Wandel funktionieren kann, braucht es eine gut ausgebaute Netzinfrastruktur, die die vielen dezentralen Energiequellen miteinander verbindet und den von Offshore-Windrädern erzeugten Strom aus dem Norden nach NRW bringt. Zwar ist die Ausgangsbasis nicht schlecht – das Land verfügt über rund 10.000 Kilometer Stromübertragungsnetz, rund 15.000 Kilometer Hochspannungsnetz und rund 300.000 Kilometer weitere Stromverteilnetze. Hinzu kommen rund 80.000 Kilometer Gasnetz und 6000 Kilometer Gasfernleitungsnetz. Doch bis 2035 könnten weitere rund 600 Kilometer Übertragungsnetze in NRW erforderlich werden.
Speicher Wenn die Energiewende gelingen soll, muss es mehr Speicher für den erzeugten und zeitweise überschüssigen Strom geben. Schon heute stellen hiesige Gasspeicher dem deutschen Gasnetz im Winter teilweise bis zu 65 Prozent der regional erforderlichen Gasmengen bereit. Nachholbedarf gibt es bei Pump- und bei Wärmespeichern.
Energieeffizienz Die beste Energiequelle ist, Energie einzusparen. Gerade ältere Gebäude – zwei Drittel in NRW sind vor 1979 erbaut – bieten viel Verbesserungspotenzial. Sollte es gelingen, in NRW bis 2050 einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand zu verwirklichen, könnte der Energieverbrauch um die Hälfte gesenkt werden. Das setzt höhere Renovierungsquoten voraus und eine Beheizung der meisten Wohnungen mit erneuerbaren Energien.