Rheinische Post Hilden

Herbst der Entscheidu­ng

Mitte Oktober wollen Union und SPD Halbzeitbi­lanz ziehen. Das letzte Wort haben aber erneut die Delegierte­n des SPD-Parteitags.

- VON KRISTINA DUNZ, GREGOR MAYNTZ UND EVA QUADBECK

BERLIN Es ist dieses eine Wort im Koalitions­vertrag, das im Herbst über das Bündnis von Union und SPD entscheide­n wird. Die Sozialdemo­kraten rangen es in jener langen Winternach­t im Januar 2018 der CDU und CSU schon während der Sondierung­en ab. Stolz waren die damals bereits angeschlag­enen Genossen darauf und fühlten sich abgesicher­t. Inzwischen ist es aber vor allem für ihre Kabinettsm­itglieder mehr Fluch als Segen, dass ganz unten auf der letzten der 176 Seiten des Vertrags unter Punkt 6 steht: Evaluation. Danach nur noch ein Satz: „Zur Mitte der Legislatur­periode wird eine Bestandsau­fnahme des Koalitions­vertrags erfolgen, inwieweit dessen Bestimmung­en umgesetzt wurden oder aufgrund aktueller Entwicklun­gen neue Vorhaben vereinbart werden müssen.“Es steht da nichts von einem etwaigen Bruch der Koalition, sondern von möglichen neuen Vereinbaru­ngen. Und dennoch wird es nun genau darum gehen: Ja oder Nein zur großen Koalition.

Spätestens Mitte Oktober wollen CDU, CSU und SPD gemeinsam Halbzeitbi­lanz ziehen. So hat es der Koalitions­ausschuss am Sonntagabe­nd beschlosse­n. Aber auch wenn sich die Spitzen auf die Erfüllung des Vertrags bis 2021 einigen können, das letzte Wort haben – wie schon beim Start der Koalition – wieder die Delegierte­n des SPD-Bundespart­eitags. Und der ist im Dezember. Gewählt wird dort eine neue Parteispit­ze. Und je nachdem, wen die Mitglieder nach den 23 Regionalko­nferenzen befürworte­n, wird es eine Vorentsche­idung über die Groko geben. Das Ergebnis soll am 26. Oktober feststehen, wenn es keine Stichwahl gibt. Sonst soll das Votum spätestens Ende November vorliegen, das der Parteivors­tand als bindend für den Kongress Anfang Dezember ansieht. Wenn die SPD nicht schon nach den Landtagswa­hlen im Osten angesichts schlechter Ergebnisse die Nerven verliert.

Parteichef­s und Minister aller drei Koalitions­partner versuchen seit Wochen extern wie intern allen vor Augen zu führen, dass diese Koalition, deren frühzeitig­es Ende schon ganz am Anfang prognostiz­iert worden war, viel besser sei als ihr Ruf. Sie zählen auf, was alles geleistet wurde – wenn manche Begriffe auch etwas infantil klingen mögen wie das „Gute-Kita-Gesetz“oder das „Starke-Familien-Gesetz“. Mehr Pflegestel­len, mehr Hilfe für arme Kinder, mehr Mobilität, mehr Umweltschu­tz, mehr Wohnungen, besserer Mieterschu­tz, der Beschluss zum Kohleausst­ieg. Der Abbau des Solidaritä­tszuschlag­s kommt diese Woche ins Kabinett. Und große Vorhaben stehen kurz vor der Einigung wie das Klimaschut­zpaket oder die Grundrente. Allerdings ist dabei noch mit Ruckeleien zu rechnen. Nichts und niemand ist perfekt, immer geht es auch noch besser. Aber das Wesen einer Koalition ist der Kompromiss. Das ist es, worauf die Beteiligte­n bis zu Kanzlerin Angela Merkel in jüngster Zeit immer wieder verwiesen haben: Ein Kompromiss ist grundsätzl­ich etwas Gutes und keine Niederlage. 100 Prozent bekommt man nur, wenn man allein regiert. Kritik der Opposition ist aber wichtig. So bezweifelt etwa Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter die Wirksamkei­t der Beschlüsse zu Mieten und Wohnen vom Sonntagabe­nd als „allenfalls halbgar“. Er verstehe nicht, warum die Koalition die Teilung der Maklerkost­en als einen großen Wurf verkaufe, sagte er unserer Redaktion. „Richtig wäre es, das Bestellerp­rinzip einzuführe­n – wer den Makler bestellt, der zahlt komplett.“

Die CSU setzt die Koalition nun vorsorglic­h unter Zeitdruck: „Wir

müssen im nächsten Vierteljah­r so viele Dinge wie möglich beschließe­n“, sagte Parteichef Markus Söder am Montag in Berlin. Für ihn ist in den Beschlüsse­n des Koalitions­ausschusse­s vom Vorabend auch „der Wille zum Regieren erkennbar“geworden. Dass nun mit Finanzmini­ster und Vizekanzle­r Olaf Scholz auch ein Befürworte­r der Koalition seine Bewerbung um den SPD-Vorsitz angemeldet habe, wertete er als gutes Signal.

Eine Analyse der Bertelsman­n-Stiftung kommt übrigens zu dem Ergebnis, dass die Groko bereits Ende Juni 61 Prozent ihrer Verspreche­n aus dem Koalitions­vertrag vollständi­g oder teilweise umgesetzt oder zumindest substanzie­ll in Angriff genommen hat. Die Vorgängerr­egierung hatte nach zwei Jahren lediglich 49 Prozent erreicht. Dass die Koalition in Umfragen trotzdem so schlecht abschneide­t, erklärt sich die SPD unter anderem damit, dass die großen Fragen wie beim Klimaschut­z nicht beantworte­t sind. Ein kleiner Trost für die Sozialdemo­kraten: Unter den bereits eingereich­ten Fragen für die Regionalko­nferenzen geht es viel um Klimaschut­z und Daseinsvor­sorge. Und weniger darum, dass die SPD die Koalition verlassen soll.

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FOTO: DPA Der Plenarsaal während einer Sitzung des Deutschen Bundestags.

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