Rheinische Post Hilden

Orbán: „Wir sind die Burghüter der Deutschen“

- VON KATHRIN LAUER UND MATTHIAS RÖDER

Ungarns Premier erinnert an die Grenzöffnu­ng vor 30 Jahren und rechnet mit neuem Migrations­druck.

SOPRON (dpa) Der Ton macht die Musik. Unter diesem Motto zeigte sich Ungarns Regierungs­chef Viktor Orbán gegenüber seiner einstigen Lieblingsg­egnerin Angela Merkel nun von seiner fast charmanten Seite. „Nach den Gesetzen der Ritterlich­keit ziehen wir den Hut von Weitem vor hart arbeitende­n und erfolgreic­hen Damen“, verbeugte sich Orbán rhetorisch vor der deutschen Kanzlerin. Der 56-Jährige schien am Montag im westungari­schen Sopron fest entschloss­en, den Festakt zum 30. Jahrestag der ersten Massenfluc­ht von DDR-Bürgern mit einem Aufbruchsi­gnal in den getrübten ungarisch-deutschen Beziehunge­n zu verbinden. Die harte Haltung Orbáns in der Migrations­frage, sein Bestehen auf nationale Interessen, sein Eintreten für die illiberale Demokratie hatten Berlin und Budapest entfremdet.

Nun sprach Orbán mehrfach von seiner und der Wertschätz­ung Ungarns für die Kanzlerin, gerade in ihren europapoli­tischen Bemühungen. Deutschlan­d und Ungarn verbinde ein „besonderes Verhältnis“, so der starke Mann aus Budapest, der die Willkommen­spolitik Merkels („Wir schaffen das“) während des Höhepunkts des Flüchtling­sandrangs scharf missbillig­t hatte.

Merkel ihrerseits verzichtet­e in ihrer Ansprache in der Evangelisc­hen Kirche von Sopron darauf, direkt in alten Wunden zu wühlen. Lieber dankte sie den mutigen Ungarn von damals, die die DDR-Bürger bei der Flucht anlässlich des „Paneuropäi­schen Picknicks“nahe der ungarisch-österreich­ischen Grenze unterstütz­t hatten. „Aus dem Picknick wurde die größte Massenfluc­ht aus der DDR seit dem Bau der Mauer 1961. Aus dem Picknick wurde ein Weltereign­is.“Mehr als 600 DDR-Bürgern war am 19. August 1989 die Flucht über die anlässlich des Picknicks kurzzeitig geöffnete Grenze gelungen. Das Geschehen war der Vorbote zum Fall der Berliner Mauer im November 1989.

Zugleich mahnte die Kanzlerin die Verteidigu­ng europäisch­er Werte an. „Sopron ist ein Beispiel dafür, wie viel wir Europäer erreichen können, wenn wir für unsere unteilbare­n Werte mutig einstehen“, sagte Merkel. Zentrale politische Fähigkeit sei der Wille zum Kompromiss. „Wir sollten uns stets bewusst sein, dass nationales Wohl immer auch vom europäisch­en Gemeinwohl abhängt.“Ungarn gehört zu den EU-Ländern, die gerade in der Migrations­frage ihre nationale Interessen bisher unnachgieb­ig verteidige­n. „Es verlangt auch manchmal, über den eigenen Schatten zu springen, um gemeinsam der Verantwort­ung für Europa und auch für die Welt gerecht zu werden“, mahnte die deutsche Regierungs­chefin.

Der sonst gern europakrit­ische Orbán zeigte sich auch in dieser Hinsicht diesmal diplomatis­ch. Die Einheit Europas solle nie als „vollendet“betrachtet werden, betonte Orbán. Vielmehr müsse sie „von Konflikt zu Konflikt“stets neu erschaffen werden, sagte der rechtsnati­onale ungarische Regierungs­chef mit Blick auf die Abkühlung des deutsch-ungarische­n Verhältnis­ses wegen des Streits um die Migrations­politik. Ein Grund für die neue ungarische Mäßigung scheint Ursula von der Leyen zu sein. Die künftige EU-Kommission­spräsident­in habe bei einem Gespräch auf ihn großen Eindruck gemacht, meinte Orbán, „Ich kann nur das Beste sagen.“Logisch, dass er nun hofft, dass sich die belasteten Beziehunge­n seiner Regierung zur EU-Kommission unter von der Leyen verbessern. Ein Neustart könne gelingen. „Es existiert ein neues Gleis statt alter Strukturen. Das ist auf jeden Fall ermutigend“, sagte Orbán.

Eine Feier zum Abbau eines Grenzzauns vor 30 Jahren mit einem Politiker, der für den Bau neuer Grenzzäune in Europa wie kein anderer stehe – wie vertrage sich das?, wollte eine Journalist­in bei der Pressekonf­erenz wissen. Orbán war um eine Antwort wenig verlegen: Der Abbau des Grenzzauns vor 30 Jahren habe auf die Freiheit der Bürger des damaligen Ostblocks abgezielt. Der Bau des neuen Zauns an den Grenzen zu Serbien und Kroatien 2015 diene der „Freiheit und Sicherheit“der Europäer, betonte Orbán. Er rechne mit neuem Migrations­druck. „Wir haben jetzt an den südlichen Grenzen Mauern gebaut, damit jene Deutschen, für die wir vor 30 Jahren Mauern abgebaut haben, heute in Sicherheit leben können. Diese beiden Dinge hängen zusammen. Wir sind die Burghüter der Deutschen.“

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FOTO: GETTY IMAGES Kanzlerin Angela Merkel und Ungarns Premier Viktor Orbán.

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