Anfängliche Zweifel an seinem technischen Verständnis hat Pofalla ausräumen können
Mitten in der Sommerpause hat eine Nachricht die Bahn-Gemeinde aufgeschreckt. Angeblich habe Infrastruktur-Vorstand Ronald Pofalla (60) einen Auflösungsvertrag erhalten, schrieb die „Bild“-Zeitung am vergangenen Mittwoch. Die Bahn dementierte heftig: Die Behauptung sei „völlig frei erfunden“und beziehe sich „offenbar auf parteipolitisch motivierte Verschwörungstheorien“. Von einem Tiefpunkt des Journalismus war bahnintern die Rede. Viel härter kann ein Unternehmen kaum widersprechen. Und doch: Völlig unumstritten ist der Bahnvorstand nicht.
Dem Chef des staatlichen Schienenkonzerns, Richard Lutz, wird der Vorwurf gemacht, er zeige Führungsschwächen und betreibe nicht energisch genug den Kurs, die Bahn wieder vornehmlich auf ihre Hauptaufgabe, den Zugverkehr innerhalb Deutschlands, zu konzentrieren. Schließlich ließen die notorische Unpünktlichkeit, das marode Streckennetz, die veraltete Signal- und Stellwerkstechnik sowie die Anfälligkeit der Lokomotiven und Züge die Bahn in der Öffentlichkeit in einem schlechten Licht erscheinen. Zugleich hagelt es Kritik von allen Seiten – vom Bundesrechnungshof, der dem Unternehmen und dem Bund „Planlosigkeit und Versagen“vorwirft, über den Fahrgastverband Pro Bahn bis hin zu vielen Parlamentariern wie dem FDP-Verkehrsexperten Christian Jung oder Linken-Chef Bernd Riexinger, der sogar die Erste Klasse in Regionalzügen abschaffen will.
Tatsächlich gilt Lutz als kompetenter Eisenbahn-Fachmann, aber nicht gerade als charismatischer Unternehmenschef. Mit der Öffentlichkeit tut er sich schwer, bei Pannen und anhaltender Kritik agiert er oft unglücklich. Wesentlich gewandter tritt sein Infrastrukturvorstand, der frühere Kanzleramtsminister Pofalla auf, der in der Politik bestens verdrahtet ist, aber als gelernter Sozialpädagoge und Jurist von der komplizierten Bahntechnik von Haus aus nur wenig Ahnung mitbrachte. Doch in zähen Verhandlungen konnte er zuletzt einen Bundeszuschuss von sage und schreibe 86 Milliarden Euro für die bislang fehlenden Bahninvestitionen herausholen. „Zu wenig“, heißt es allerdings vonseiten der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat. Es fehle an Baukostensteigerungen. Auch müsse man genau hinschauen. So seien Maßnahmen in die Summe mit eingeflossen, die ohnehin finanziert gewesen seien, um das Paket größer erscheinen zu lassen, als es de facto sei. 100 Milliarden Euro und deutlich mehr Planstellen beim Eisenbahnbundesamt wären nötig gewesen, heißt es. Und trotzdem: „Auch wenn uns das Verhandlungsergebnis zu niedrig erscheint, setzt man dafür niemanden vor die Tür“, heißt es aus Arbeitnehmerkreisen. Denn auch anfängliche Zweifel an Pofallas technischem Verständnis hat dieser offenbar inzwischen ausräumen können. „Er hat sich akribisch in die Bahnwelt eingearbeitet und ist gut im Thema drin.“
Und so haben die beiden prominenten Bahn-Manager für den Moment die volle Rückendeckung des Aufsichtsrats – und was noch wichtiger ist, die von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Der, so heißt es in Berlin, wolle jetzt nicht mitten im Strom die Pferde wechseln, zumal dann auch ihm der Vorwurf gemacht würde, warum er ein notwendiges Personalrevirement nicht schon früher durchgezogen hätte. Der umtriebige und durchaus bahn-kritische Haushälter und Aufsichtsratsmitglied Eckhardt Rehberg (CDU) meint deshalb: „Die aktuelle Bahn-Führung macht bei allen Herausforderungen, vor denen das Unternehmen steht, einen exzellenten Job. Vor allem Lutz und Pofalla arbeiten sehr gut miteinander.“
Bei so viel Unterstützung müssen sich die beiden kurzfristig wenig Sorgen um ihre eigene Zukunft machen. Doch es droht Ungemach von anderer Stelle. Die Bahn hatte – wie die Bundeswehr – umfangreiche Verträge mit Beratern abgeschlossen, darunter auch einen mit dem früheren Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg. Vor allem der letztere hat viel Kritik gefunden, weil geargwöhnt wurde, hier solle einem geschassten Manager der Abschied versüßt werden. Noch größere Bedenken rief der Vertragsabschluss hervor, bei dem es immerhin um einen sechsstelligen Betrag ging, weil der Aufsichtsrat nicht informiert wurde. Der Chef des Kontrollgremiums, der frühere Staatssekretär Michael Odenwald, versicherte jedenfalls unlängst: „Beraterverträge von ehemaligen Vorständen und Geschäftsführern am Aufsichtsrat vorbei darf es zukünftig nicht mehr geben.“
Insbesondere für Lutz könnte der Vorgang gefährlich werden. Denn er war zurzeit des Vertragsabschlusses Finanzchef der Bahn. Auch wenn solche Beraterhonorare nicht unbedingt in die Verantwortung des obersten Kassenwarts fallen, könnte Lutz dennoch von dem Vorgang Kenntnis gehabt haben. Dann würde sich die Frage stellen, warum er sich nicht für eine Befassung des Falls durch den Aufsichtsrat stark gemacht habe.
Die Bahn hat deshalb die Frankfurter Rechtsanwaltskanzlei Noerr und die Compliance-Spezialisten der Stuttgarter Wirtschaftsprüfergesellschaft EY (Ernst & Young) beauftragt, alle „auffälligen“Verträge zu überprüfen. Zeitgleich läuft auch eine Prüfaktion des Bundesrechnungshofs, die sich ebenfalls mit diesen Beraterhonoraren beschäftigt. Schließlich ist der Bund über seine Beteiligungsverwaltung zu 100 Prozent Eigentümer der Bahn. Sollten die Beraterhonorare zu Unrecht bezahlt worden sein, würde Untreue zu Lasten des Steuerzahlers vorliegen – für die Kontrollbehörde ein Grund, hier genau hinzuschauen. Innerhalb der Behörde wird auf die Zeitgleichheit der beiden Vorgänge hingewiesen. Das heißt, die Stuttgarter Wirtschaftsprüfer können sich keine Gefälligkeitsgutachten erlauben.
Der Vorwurf, zu üppige Beraterhonorare an Ex-Vorstände oder befreundete Firmen gezahlt zu haben, hat für viel Unruhe in der Bahnführung gesorgt. So wird kolportiert, Bahnvorstand Pofalla habe telefonisch bei NRW-Ministerpräsident und CDU-Landeschef Armin Laschet interveniert, um politische Rückendeckung aus der Bundesregierung zu erhalten. Der Aufsichtsrat der Bahn wird am 18. September über den EY-Bericht diskutieren. Sollten die Prüfer Anzeichen von gravierendem Fehlverhalten finden, dürfte es eng für die Führung um Lutz werden. Und selbst wenn EY dem Vorstand einen Persilschein ausstellt, käme es spätestens bei der Vorlage des Prüfberichts des Bundesrechnungshofs zum Schwur. Doch der wird nicht vor Ende des Jahres erwartet. Noch kann also der Bahnvorstand auf Zeit spielen. Aber nicht mehr lange.