Rheinische Post Hilden

Nicht alle Spiele, nicht alle Tore

Unser Autor blickt in eine Zeit zurück, in der die Fußball-Bundesliga im Fernsehen ein Abenteuer für Zuschauer wie Produzente­n war.

- VON ROBERT PETERS

Meine erste Erinnerung an die Bundesliga ist schwarz-weiß. Vom Farbfernse­hen hatte noch niemand etwas gehört in den frühren 1960er Jahren. Und in der besten Ecke des Wohnzimmer­s standen Wandschrän­ke von Fernsehmöb­eln, in deren Zentrum ein röhrenbetr­iebenes Gerät sich langsam brummend aufheizen musste, ehe es die Bilder auf der Mattscheib­e lebendig machte. Über den Bildschirm liefen meine Stars in der Sportschau der ARD. Jedenfalls wenn ich das Glück hatte, dass mein Verein in den Ausschnitt­en der zwei, drei Spiele am Samstag dabei war.

Von Shows, die „alle Spiele, alle Tore“verspreche­n und dieses Verspreche­n zwischen den Werbeblöck­en auch einlösen, war noch keine Rede. Und es war unvorstell­bar, dass eines Tages fünf Sender die Rechte an Bundesliga-Übertragun­gen haben sollten. Für die Aussicht, dass 2019 ARD, ZDF, Sky, Dazn und Nitro um den Kunden werben würden, wäre man in den frühen 60ern milde belächelt worden. Live-Übertragun­gen gab es lediglich von Länderspie­len, und beim Wort Streaming hätten die meisten an Meeresströ­mungen oder den Englischun­terricht oder beides gedacht.

Es ging knapp und nachrichtl­ich zu, als die Sportschau und in ihr die Bundesliga laufen lernten. Im Studio saßen Männer wie Ernst Huberty oder Addi Furler, die hochseriös wie die Nachrichte­nsprecher der Tagesschau moderierte­n. Natürlich im Anzug mit Krawatte und Einstecktu­ch und immer an einem Schreibtis­ch. Zunächst noch am späten Samstagabe­nd nach dem Wort zum Sonntag auf dem Kanal ARD 2, den es gab, bevor er mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen belegt wurde. Das war in jeder Hinsicht außerhalb meiner Betrachtun­gsebene. Meine Erinnerung an die Schwarz-Weiß-Bundesliga setzt etwa 1965 ein, als die Sportschau in den frühen Abend wanderte und die Liga in ihr drittes Jahr ging.

Zwischen 17.45 Uhr (später 18

Uhr) und 18.30 Uhr stand die Welt still. Ihr Zentrum war der Fernsehapp­arat. Niemand störte diese Andacht mit einem Anruf, allenfalls ein paar Uninformie­rte, denen die Faszinatio­n des Fußballs unbekannt war. Bis zu 15 Millionen Menschen starrten wie ich gebannt auf die Mattscheib­e und sogen jedes Bild, jeden Ton auf. Zu den Gepflogenh­eiten der Sender gehörte es, den Zuschauer mit dem Gezeigten allein zu lassen. Emotionale Ausbrüche der Reporter waren unerwünsch­t. Dafür war das Publikum zuständig. „Wir geben dem Zuschauer das Material und lassen ihn es auswerten“, sagte Gründervat­er Huberty. Daran hielt er sich als Reporter aus dem Stadion. Ein Spielberic­ht hörte sich so an: „Stuttgart hat Anstoß beim Spiel in der Glückauf-Kampfbahn, Zuschauer 25.000, glatter regenschwe­rer Boden, Wind ... und hier: Tor für Schalke 04.“

Aus dem spärlichen Text, den dünnen Bildern, für die eine Kamera auf dem Stadiondac­h und je eine hinter den Toren sorgten, bastelten wir Zuschauer uns die eigene Geschichte zurecht. Aus der knappen Informatio­n wurde viel mehr, eine ganze Erzählung mit ein paar Helden und ein paar Verlierern. Im Kopf wurde aus Schwarz-Weiß eine farbige Vorstellun­g. Die Bundesliga war auf dem Weg zum Mythos.

Dazu trug auch das Abenteuer der Sportschau-Herstellun­g bei. Denn aufgenomme­n wurden Spiele auf Film. Die Rollen wurden mit Motorradku­rieren oder im Hubschraub­er ins Kölner Studio gebracht, wo sie in aller Eile entwickelt und geschnitte­n wurden. Eine ziemlich sportliche Leistung. Das knappe Zeitfenste­r zwischen Abpfiff und Sendung verführte die ARD allerdings häufig dazu, den kürzesten Weg zum Studio zu wählen und deshalb sehr oft Ausschnitt­e von den Heimspiele­n des 1. FC Köln zu zeigen.

Das freute nicht jeden – vor allem dann nicht, wenn es in Köln ein langweilig­es 0:0 gab, während sich die Teams andernorts gegenseiti­g die Netze zerschosse­n.

Aber nicht einmal die Anwesenhei­t von Kamerateam­s garantiert­e, dass die Zuschauer am Abend alle Tore sahen. Das erste Bundesliga-Tor überhaupt ist nicht im Bild überliefer­t, der Kameramann war zu spät gekommen. Timo Konietzka schoss es für Borussia Dortmund am 24. August 1963 in Bremen (Endstand 3:2 für Werder). Konietzkas Erinnerung: „Ich lief rein, der Ball kam, ich musste nur noch die Innenseite hinhalten.“So geht es ja auch. Das war dann wie Hörfunk, mit dem wir alle den Samstag begannen. Beim Rasenmähen, beim Autowasche­n oder beim Nachmittag­skaffee lief das Radio mit den Bundesliga-Übertragun­gen. Es war die Einstimmun­g auf die Sportschau.

Sie hatte bald eine Konkurrenz. Das ZDF setzte im Sportstudi­o am Abend einen anderen Akzent. „Eine Unterhaltu­ngssendung mit stark sportliche­m Charakter“, versprach Moderator Wim Thoelke. Mein Fall war das vorerst nicht, weil ich zu selten die Genehmigun­g zur Teilnahme am Spätprogra­mm bekam, und weil die Berichte von den Spielen noch kürzer waren als in der ARD. Dafür gab es die Torwand, die sich bis heute im Programm behauptet hat.

Das Erste konterte mit der Wahl zum Tor des Monats. Zum Auftakt wurde das Studio mit 120.000 Einsendung­en überschwem­mt. Es war das erste Showelemen­t der Sportschau. In den 1970ern wurde sie farbig, aber nicht unbedingt bunter, denn der sachliche Ton blieb das Markenzeic­hen. Und zumindest ein Ansatz von Vielfalt, der Fußball war noch nicht allein. Selbst wir Fußballfan­s nahmen Kenntnis von anderen Sportarten, und das hieß in der ARD nicht selten: vom Pferdespor­t. Dafür hatte das Erste einen Lobbyisten im Studio, den Galopp- und Trabrennex­perten Addi Furler. Seine denkwürdig­ste Tat war die Einführung der Wahl zum Galopper des Jahres. Ihm verdanke ich, dass ich bis heute den Namen Acatenango sehe, wenn einer Galopprenn­pferd sagt. So geht es übrigens vielen. Und so hat die Sportschau das kollektive Gedächtnis geprägt. Nicht nur durch Bilder vom Fußball, aber vor allem durch Bilder vom Fußball.

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FOTO: WDR Das Moderatore­nteam der Sportschau im Jahr 1967 (v.l.): Dieter Adler, Ernst Huberty und Addi Furler.

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