Nicht alle Spiele, nicht alle Tore
Unser Autor blickt in eine Zeit zurück, in der die Fußball-Bundesliga im Fernsehen ein Abenteuer für Zuschauer wie Produzenten war.
Meine erste Erinnerung an die Bundesliga ist schwarz-weiß. Vom Farbfernsehen hatte noch niemand etwas gehört in den frühren 1960er Jahren. Und in der besten Ecke des Wohnzimmers standen Wandschränke von Fernsehmöbeln, in deren Zentrum ein röhrenbetriebenes Gerät sich langsam brummend aufheizen musste, ehe es die Bilder auf der Mattscheibe lebendig machte. Über den Bildschirm liefen meine Stars in der Sportschau der ARD. Jedenfalls wenn ich das Glück hatte, dass mein Verein in den Ausschnitten der zwei, drei Spiele am Samstag dabei war.
Von Shows, die „alle Spiele, alle Tore“versprechen und dieses Versprechen zwischen den Werbeblöcken auch einlösen, war noch keine Rede. Und es war unvorstellbar, dass eines Tages fünf Sender die Rechte an Bundesliga-Übertragungen haben sollten. Für die Aussicht, dass 2019 ARD, ZDF, Sky, Dazn und Nitro um den Kunden werben würden, wäre man in den frühen 60ern milde belächelt worden. Live-Übertragungen gab es lediglich von Länderspielen, und beim Wort Streaming hätten die meisten an Meeresströmungen oder den Englischunterricht oder beides gedacht.
Es ging knapp und nachrichtlich zu, als die Sportschau und in ihr die Bundesliga laufen lernten. Im Studio saßen Männer wie Ernst Huberty oder Addi Furler, die hochseriös wie die Nachrichtensprecher der Tagesschau moderierten. Natürlich im Anzug mit Krawatte und Einstecktuch und immer an einem Schreibtisch. Zunächst noch am späten Samstagabend nach dem Wort zum Sonntag auf dem Kanal ARD 2, den es gab, bevor er mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen belegt wurde. Das war in jeder Hinsicht außerhalb meiner Betrachtungsebene. Meine Erinnerung an die Schwarz-Weiß-Bundesliga setzt etwa 1965 ein, als die Sportschau in den frühen Abend wanderte und die Liga in ihr drittes Jahr ging.
Zwischen 17.45 Uhr (später 18
Uhr) und 18.30 Uhr stand die Welt still. Ihr Zentrum war der Fernsehapparat. Niemand störte diese Andacht mit einem Anruf, allenfalls ein paar Uninformierte, denen die Faszination des Fußballs unbekannt war. Bis zu 15 Millionen Menschen starrten wie ich gebannt auf die Mattscheibe und sogen jedes Bild, jeden Ton auf. Zu den Gepflogenheiten der Sender gehörte es, den Zuschauer mit dem Gezeigten allein zu lassen. Emotionale Ausbrüche der Reporter waren unerwünscht. Dafür war das Publikum zuständig. „Wir geben dem Zuschauer das Material und lassen ihn es auswerten“, sagte Gründervater Huberty. Daran hielt er sich als Reporter aus dem Stadion. Ein Spielbericht hörte sich so an: „Stuttgart hat Anstoß beim Spiel in der Glückauf-Kampfbahn, Zuschauer 25.000, glatter regenschwerer Boden, Wind ... und hier: Tor für Schalke 04.“
Aus dem spärlichen Text, den dünnen Bildern, für die eine Kamera auf dem Stadiondach und je eine hinter den Toren sorgten, bastelten wir Zuschauer uns die eigene Geschichte zurecht. Aus der knappen Information wurde viel mehr, eine ganze Erzählung mit ein paar Helden und ein paar Verlierern. Im Kopf wurde aus Schwarz-Weiß eine farbige Vorstellung. Die Bundesliga war auf dem Weg zum Mythos.
Dazu trug auch das Abenteuer der Sportschau-Herstellung bei. Denn aufgenommen wurden Spiele auf Film. Die Rollen wurden mit Motorradkurieren oder im Hubschrauber ins Kölner Studio gebracht, wo sie in aller Eile entwickelt und geschnitten wurden. Eine ziemlich sportliche Leistung. Das knappe Zeitfenster zwischen Abpfiff und Sendung verführte die ARD allerdings häufig dazu, den kürzesten Weg zum Studio zu wählen und deshalb sehr oft Ausschnitte von den Heimspielen des 1. FC Köln zu zeigen.
Das freute nicht jeden – vor allem dann nicht, wenn es in Köln ein langweiliges 0:0 gab, während sich die Teams andernorts gegenseitig die Netze zerschossen.
Aber nicht einmal die Anwesenheit von Kamerateams garantierte, dass die Zuschauer am Abend alle Tore sahen. Das erste Bundesliga-Tor überhaupt ist nicht im Bild überliefert, der Kameramann war zu spät gekommen. Timo Konietzka schoss es für Borussia Dortmund am 24. August 1963 in Bremen (Endstand 3:2 für Werder). Konietzkas Erinnerung: „Ich lief rein, der Ball kam, ich musste nur noch die Innenseite hinhalten.“So geht es ja auch. Das war dann wie Hörfunk, mit dem wir alle den Samstag begannen. Beim Rasenmähen, beim Autowaschen oder beim Nachmittagskaffee lief das Radio mit den Bundesliga-Übertragungen. Es war die Einstimmung auf die Sportschau.
Sie hatte bald eine Konkurrenz. Das ZDF setzte im Sportstudio am Abend einen anderen Akzent. „Eine Unterhaltungssendung mit stark sportlichem Charakter“, versprach Moderator Wim Thoelke. Mein Fall war das vorerst nicht, weil ich zu selten die Genehmigung zur Teilnahme am Spätprogramm bekam, und weil die Berichte von den Spielen noch kürzer waren als in der ARD. Dafür gab es die Torwand, die sich bis heute im Programm behauptet hat.
Das Erste konterte mit der Wahl zum Tor des Monats. Zum Auftakt wurde das Studio mit 120.000 Einsendungen überschwemmt. Es war das erste Showelement der Sportschau. In den 1970ern wurde sie farbig, aber nicht unbedingt bunter, denn der sachliche Ton blieb das Markenzeichen. Und zumindest ein Ansatz von Vielfalt, der Fußball war noch nicht allein. Selbst wir Fußballfans nahmen Kenntnis von anderen Sportarten, und das hieß in der ARD nicht selten: vom Pferdesport. Dafür hatte das Erste einen Lobbyisten im Studio, den Galopp- und Trabrennexperten Addi Furler. Seine denkwürdigste Tat war die Einführung der Wahl zum Galopper des Jahres. Ihm verdanke ich, dass ich bis heute den Namen Acatenango sehe, wenn einer Galopprennpferd sagt. So geht es übrigens vielen. Und so hat die Sportschau das kollektive Gedächtnis geprägt. Nicht nur durch Bilder vom Fußball, aber vor allem durch Bilder vom Fußball.