Für kleine Kinder gibt es wenig Arzneien
Die Auswahl an Kinder-Medizin ist besonders für die Allerkleinsten begrenzt. Es kommt nicht nur auf die Dosis an, sondern auch die Darreichung muss stimmen.
Husten, verstopfte Nase, Bindehautentzündung – wer Kinder hat, kommt um die alltäglichen Wehwehchen der Kleinen nicht herum. Im Prinzip müssen sie auch keine Sorgen bereiten, Medikamente dagegen gibt es genug. Die Probleme sind oft ganz anderer Art: Was tun, wenn das Kind den Hustensaft partout nicht schlucken will? Wenn die Augentropfen statt ins Auge immer daneben gehen oder gar von Tränen weggespült werden? Die Forschung arbeitet ständig an neuen kindgerechten Arzneien. Im Gespräch erklärt Peter Kleinebudde vom Institut für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie an der Heinrich-Heine-Universität (HHU) aktuelle Entwicklungen.
Was macht eine kindgerechte Arznei aus?
KLEINEBUDDE Die Arzneiform muss vor allem zwei wesentliche Bedingungen erfüllen. Zum einen muss das Kind in der Lage sein, sie einzunehmen. Zweitens muss es willens sein, das Medikament zu schlucken. Ein Saft zum Beispiel, der schrecklich schmeckt, wird schwierig zu verabreichen sein. Ebenso eine Tablette, die viel zu groß ist.
Was ist mit der Wirkstoff-Dosis? Es reicht doch sicher nicht, einfach die Erwachsenen-Arznei zu reduzieren und etwas Fruchtaroma für den guten Geschmack hinzuzufügen? KLEINEBUDDE Auf keinen Fall. Die Herstellung eines Kinder-Medikamentes ist weitaus komplizierter. Denn bei Kindern sind viele Stoffwechselprozesse ganz anders als bei Erwachsenen. Entsprechend können einzelne Bestandteile eines Medikamentes völlig anders wirken und zum Teil sogar giftig für Kinder sein. Die Dosierung kann nicht immer in Relation zur Erwachsenendosis linear heruntergerechnet werden. Gerade im Bereich der kindgerechten Darreichungsformen hat sich in den vergangenen 15 Jahren sehr viel in der Arzneimittelforschung getan. Auch an der HHU wird dazu geforscht. Vorher hat sich kaum jemand damit beschäftigt, welche Kriterien für kindgerechte Mittel gelten sollten. Seit 2007 gibt es europaweit klare gesetzliche Vorgaben, welche Bedingungen ein Medikament erfüllen muss, bevor es auf dem Markt für Kinder zugelassen wird. Dazu gehört unter anderem, dass in klinischen Studien jedes Mittel für jede Altersgruppe gesondert auf seine Wirksamkeit und Verträglichkeit geprüft werden muss.
Welches ist die häufigste Darreichungsform für Kinder? KLEINEBUDDE Aktuell sind es Säfte, weil man lange Zeit glaubte, dass Kinder Medikamente in flüssiger Form am leichtesten einnehmen können. Aktuelle Studien, unter anderem aus der Kinderklinik der HHU gemeinsam mit meinem Kollegen Professor Breitkreutz, belegen aber, dass dies so nicht stimmt. Gerade kleine Kinder kommen demnach auch mit Minitabletten sehr gut zurecht. Diese haben einen Durchmesser von zwei bis drei Millimetern und auch kleine Kinder können sie besser schlucken als einen Saft.
Gibt es viel Auswahl für Kinder? KLEINEBUDDE Das hängt von der Altersgruppe und der Schwere der Erkrankung ab. Kinder werden in fünf Altersgruppen eingeteilt, vom Frühgeborenen bis zum Jugendlichen. Je jünger ein Kind ist und je schwerer die Erkrankung ist, desto geringer ist die Auswahl an kindgerechten Arzneimitteln. Jugendliche können viele Arzneiformen für Erwachsene ebenfalls einnehmen. Bei leichten Erkrankungen wie einem Schnupfen ist die Auswahl auch für jüngere Kinder akzeptabel. Bei schweren Erkrankungen kleiner Kinder wie Herzfehlern, die auch im Krankenhaus behandelt werden müssen, ist die Auswahl kritisch.
Gelten bei Medikamenten für Neugeborene und Frühchen besondere Kriterien?
KLEINEBUDDE Hier gilt natürlich ganz besondere Vorsicht. Zunächst bei den Inhaltsstoffen. So gibt es zum Beispiel Hilfsstoffe wie etwa Konservierungs- und Lösungsmittel, die für Erwachsene vollkommen unproblematisch sind, bei den Allerkleinsten aber hochtoxisch sein können. Und natürlich spielen auch das Volumen und die Wirkstoffkonzentration eine große Rolle. Man braucht sehr geringe Mengen, die exakt abgestimmt sein müssen auf den kleinen Organismus.
In den vergangenen Jahren ist die Zahl der neu zugelassenen Medikamente und Applikationshilfen für Kinder stetig angewachsen, von 29 im Jahr 2016 auf 49 im vergangenen Jahr. Was tut sich in diesem Bereich in der aktuellen Forschung? KLEINEBUDDE Bei Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen passiert im Moment tatsächlich sehr viel. Besonders auf dem Generika-Markt gibt es viel Nachholbedarf. Denn für solche Medikamente, die schon auf dem Markt sind, müssen die Hersteller keine klinischen Studien nachweisen, wie sie für neu entwickelte Arzneien erforderlich sind. Daher sind diese Präparate auch billiger als das Original. In der europäischen Gesetzgebung von 2007 wurde auch ein Instrument geschaffen für innovative Kinder-Generika. Dieses Instrument war nicht besonders erfolgreich: In mehr als zehn Jahren gab es nur sechs dieser Zulassungen. Die Kosten für die Herstellung dieser Arzneimittel sind in der Regel höher als der Festbetrag vergleichbarer Erwachsenenarzneimittel. Leider hat der zuständige Bundesausschuss aber bisher keinen grundsätzlichen Mehrwert in speziellen Kinder-Generika gesehen und die Kostenerstattung für die meisten Neuzulassungen in diesem Bereich abgelehnt. Das hemmt die Bereitschaft zur Entwicklung weiterer kindgerechter Darreichungsformen für Generika mit altbekannten, aber vielfach eingesetzten Wirkstoffen.