Mozart ist für alles gut
Flüchtlingsdrama und Plastikmüll: Peter Sellars inszeniert „Idomeneo“bei den Salzburger Festspielen.
SALZBURG Früher war Peter Sellars das netteste, aber auch aufsässigste Kerlchen in der Regisseursfamilie. Mozarts drei da-Ponte-Opern beispielsweise verlegte er an skurrile und kriminelle Spielplätze, und als Wiens Opernpublikum damit konfrontiert wurde, hätten sie ihn am liebsten exorziert. Dann wurde er zum Kultregisseur von Gerard Mortier in Brüssel und später in Salzburg, dort waren es Werke des 20. Jahrhundert, die Sellars ästhetisieren und intellektualisieren durfte. Immer stand einer mit Kamera auf der Bühne und machte Live-Bilder, die auf Bildschirme übertragen wurden. Damals fanden wir das toll.
Seit einiger Zeit aber scheint alles Leben aus dem lustigen Kerl gewichen, er wirkt verbraucht, angestrengt – und seine Geschichten und Tricks glaubt ihm auch keiner mehr. Vor zwei Jahren zeigte er bei den Salzburger Festspielen Mozarts „Titus“als Folge eines Terroranschlags, aber es sah schrecklich langweilig aus, als die typische Sellars-Militärpolizei mit kugelsicheren Westen in der Felsenreitschule aufmarschierte. Too much!
Nun beschäftigt er sich in Salzburg mit Mozarts Oper „Idomeneo“, in der das Meer eine ausufernde Rolle spielt. Da hat Sellars schnell assoziiert und folgende Theorie abgeleitet: Meer = Flüchtlinge = Menschenrechte = Umwelt = Gefährdung = Plastik. Weil aber Plastikmüll meist nicht so dekorativ aussieht, wie es bei Sellars‘ Regisseur George Tsypin zwingend aussehen muss, stehen und schweben nun in der Salzburger Felsenreitschule sehr viele hübsche Vitrinen, Säulen, Muscheln, Meerestiere, Kuben und Ballons herum. Alle aus Plastik. Flüchtlinge aus Troja sind auch nicht besonders dekorativ, zumal sie Einheitsklamotten tragen, als befänden wir uns in einer nordkoreanischen Batteriefabrik. Militärpolizei ist auch wieder da. Nein, Sellars hat nichts mehr zu sagen. Teodor Currentzis hat bei „Titus“noch sehr eigenmächtig mit den Tempi jongliert, nun hat er das vorzügliche Freiburger Barockorchester an seiner Seite, das den Willen des Maestros unmerklich reguliert. Das sorgt für eine feine Balance zwischen Kühnheit und Gestaltungsdisziplin. Mehr und mehr begreift man den Emotionsdirigenten Currentzis. Zuweilen stapft er direkt aus dem Berserkerkerker in den Orchestergraben und nietet mit Musik alles um, was sich ihm in den Weg stellt. Anderswo lauscht er tief in den Wald der Musik und lässt uns staunen, welches Echo ihm antwortet. Die Arien und Rezitative der Oper sind bei Currentzis eigenständige Sensoren, die sämtliche Vitalparameter der Musik neugierig ausloten und bestimmen. Dieser Mozart ist frisch, wie neugeboren, erlebnishungrig, körnig gezeichnet, aber auch subtil bis in die dritte Stelle hinterm Komma. Aus der Riege der Sänger ragt Nicole Chevalier als Elektra heraus – ein dramatischer, glutvoller Sopran, der sich beim Singen ins Herz schauen lässt. Der Idomeneo des Tenors Russell Thomas ist in der Oper nur knapp dem Ertrinken entkommen, wovon sich seine Stimme den Abend über leider nicht erholt.