Ablasshandel für den Klimaschutz
Warum immer mehr Flugpassagiere auf Kompensationszahlungen setzen.
DÜSSELDORF Heiße Tage, lange Trockenperioden, Bilder vom brennenden Amazonaswald und einer nach New York segelnden Umweltaktivistin Greta Thunberg lassen viele Konsumenten nicht unbeeindruckt. Laut einer Umfrage des Wirtschaftsmagazins „Bloomberg“entscheiden sich immer mehr Flugreisende für Kompensationszahlungen. Für den durch sie verursachten CO2-Ausstoß finanzieren sie Umweltprojekte, die etwa beim Aufforsten von Wäldern helfen. Die Anbieter melden immer höhere Nutzerzahlen.
Obwohl in vielen öffentlichen Diskussionen Fliegen zum Klimakiller Nummer eins stilisiert wird, gibt es kein Umdenken der Deutschen: An den deutschen Flughäfen gab es im ersten Halbjahr einen Passagierrekord. Laut dem Statistischen Bundesamt entschieden sich 59 Millionen Passagiere im ersten Halbjahr für einen Flug. Trotz Negativimage ist das Fliegen bei Weitem nicht der größte Umweltsünder. Laut der Internationalen Energieagentur ist der weltweite Flugverkehr für 2,7 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Zum Vergleich: 17,9 Prozent gehen auf den Straßenverkehr zurück.
Warum setzen also immer mehr Flugpassagiere auf Kompensationszahlungen? „Flugscham, wie wir es aus Skandinavien hören, ist Unsinn“, sagt Franz-Josef Radermacher, Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung an der Universität Ulm. Er beschäftigt sich mit Globalisierung und einer umweltverträglichen Mobilität. „Fliegen ist Teil der weltweiten Wertschöpfungskette und völlig in Ordnung, wenn es eine Emissionskompensation mit hochwertigen Projekten in nichtindustriellen Ländern gibt.“Er appelliert an Unternehmen und Einzelpersonen, ihren CO2-Ausstoß zu kompensieren, um im besten Fall rechnerisch sogar einen negativen CO2-Ausstoß zu erhalten. „Viele Leute sehen darin einen Ablasshandel und appellieren an das schlechte Gewissen. Am Ende haben wir aber eine individuelle Freiheit. Wir haben mehr davon, wenn alle Passagiere ihre Flüge kompensieren, anstatt dass einige auf das Flugzeug verzichten“, erklärt Radermacher.
Deutscher Marktführer für Kompensationszahlungen ist Atmosfair. Die gemeinnützige Organisation setzt seit 2005 die Zahlungen für unterschiedliche Projekte ein. Dazu gehören die Finanzierung effizienterer Kochherde, der Bau von kleinen Biogasanlagen und die Stromproduktion aus Ernteresten. Ein Hin- und Rückflug von Düsseldorf nach Berlin kostet laut Atmosfair rund sechs Euro. Einen ähnlichen Preis ruft auch die Lufthansa mit ihren neuen eigenen Kompensationszahlungen auf. Dort kann der Passagier aber auch das Zehnfache für nachhaltigere Projekte bezahlen. Das Problem mit der simplen Aufforstung: Es braucht 20 Jahre, bis die Bäume ihre volle Wirkung entfalten.