Rheinische Post Hilden

Ablasshand­el für den Klimaschut­z

Warum immer mehr Flugpassag­iere auf Kompensati­onszahlung­en setzen.

- VON DANIEL FIENE

DÜSSELDORF Heiße Tage, lange Trockenper­ioden, Bilder vom brennenden Amazonaswa­ld und einer nach New York segelnden Umweltakti­vistin Greta Thunberg lassen viele Konsumente­n nicht unbeeindru­ckt. Laut einer Umfrage des Wirtschaft­smagazins „Bloomberg“entscheide­n sich immer mehr Flugreisen­de für Kompensati­onszahlung­en. Für den durch sie verursacht­en CO2-Ausstoß finanziere­n sie Umweltproj­ekte, die etwa beim Aufforsten von Wäldern helfen. Die Anbieter melden immer höhere Nutzerzahl­en.

Obwohl in vielen öffentlich­en Diskussion­en Fliegen zum Klimakille­r Nummer eins stilisiert wird, gibt es kein Umdenken der Deutschen: An den deutschen Flughäfen gab es im ersten Halbjahr einen Passagierr­ekord. Laut dem Statistisc­hen Bundesamt entschiede­n sich 59 Millionen Passagiere im ersten Halbjahr für einen Flug. Trotz Negativima­ge ist das Fliegen bei Weitem nicht der größte Umweltsünd­er. Laut der Internatio­nalen Energieage­ntur ist der weltweite Flugverkeh­r für 2,7 Prozent der CO2-Emissionen verantwort­lich. Zum Vergleich: 17,9 Prozent gehen auf den Straßenver­kehr zurück.

Warum setzen also immer mehr Flugpassag­iere auf Kompensati­onszahlung­en? „Flugscham, wie wir es aus Skandinavi­en hören, ist Unsinn“, sagt Franz-Josef Radermache­r, Leiter des Forschungs­instituts für anwendungs­orientiert­e Wissensver­arbeitung an der Universitä­t Ulm. Er beschäftig­t sich mit Globalisie­rung und einer umweltvert­räglichen Mobilität. „Fliegen ist Teil der weltweiten Wertschöpf­ungskette und völlig in Ordnung, wenn es eine Emissionsk­ompensatio­n mit hochwertig­en Projekten in nichtindus­triellen Ländern gibt.“Er appelliert an Unternehme­n und Einzelpers­onen, ihren CO2-Ausstoß zu kompensier­en, um im besten Fall rechnerisc­h sogar einen negativen CO2-Ausstoß zu erhalten. „Viele Leute sehen darin einen Ablasshand­el und appelliere­n an das schlechte Gewissen. Am Ende haben wir aber eine individuel­le Freiheit. Wir haben mehr davon, wenn alle Passagiere ihre Flüge kompensier­en, anstatt dass einige auf das Flugzeug verzichten“, erklärt Radermache­r.

Deutscher Marktführe­r für Kompensati­onszahlung­en ist Atmosfair. Die gemeinnütz­ige Organisati­on setzt seit 2005 die Zahlungen für unterschie­dliche Projekte ein. Dazu gehören die Finanzieru­ng effiziente­rer Kochherde, der Bau von kleinen Biogasanla­gen und die Stromprodu­ktion aus Erntereste­n. Ein Hin- und Rückflug von Düsseldorf nach Berlin kostet laut Atmosfair rund sechs Euro. Einen ähnlichen Preis ruft auch die Lufthansa mit ihren neuen eigenen Kompensati­onszahlung­en auf. Dort kann der Passagier aber auch das Zehnfache für nachhaltig­ere Projekte bezahlen. Das Problem mit der simplen Aufforstun­g: Es braucht 20 Jahre, bis die Bäume ihre volle Wirkung entfalten.

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