Rheinische Post Hilden

Kirchenfen­ster zum „Trost der Betrachter“

Gerhard Richter hat für die Abteikirch­e im saarländis­chen Tholey drei Chorfenste­r entworfen – seine zweite Arbeit für eine Kirche.

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THOLEY Der in Köln lebende, weltbekann­te Künstler Gerhard Richter (87) hat für die Abteikirch­e in Tholey drei Chorfenste­r entworfen. Die 12.000 Einwohner zählende Gemeinde Tholey liegt im saarländis­chen Landkreis St. Wendel, die Kirche gehört zum ältesten Kloster auf deutschem Boden. Als Mentor des Projekts abseits der Metropolen gilt Bernhard Leonardy, Chef der Musikfests­piele Saar und Kantor an der Saarbrücke­r Basilika St. Johann. Er hält seit 2009 Kontakt zu Richter, nachdem er einen Photo-Painting-Zyklus des Künstlers vertont hatte. Ausschlagg­ebend war die Idee, fürs Saarland eine ähnliche Attraktion zu schaffen, wie es Metz jenseits der französisc­hen Grenze mit den Kirchenfen­stern gelang, die seinerzeit Marc Chagall für die dortige Kathedrale entworfen hatte. Richter hat seine Entwürfe dem Tholeyer Kloster unentgeltl­ich zur Verfügung gestellt, wie er auch vor zwölf Jahren für die Gestaltung des Südfenster­s im Kölner Dom kein Honorar genommen hatte. Wir sprachen mit Richter über seine Fenster, die Mitte nächsten Jahres eingeweiht werden sollen, über deren Beziehung zur Kirche und Richters Verhältnis zur Religion.

Wie kam es zum Entwurf der drei Fenster?

RICHTER Als mich aus dem Saarland die Anfrage erreichte, ob ich für das Kloster Tholey drei Kirchenfen­ster entwerfen könne, war ich damit beschäftig­t, ein Buch zu machen: „Patterns“(Muster), 2012 erschienen. Ich sagte: „Ich bin gerade dabei“und wählte für Tholey die Motive, die ich vor mir hatte. Was ich allerdings nicht berücksich­tigt hatte, war, dass ich von der Umsetzung von Grafik in Glasmalere­i nichts verstehe. Da ich nicht wusste, was dabei herauskomm­en würde, habe ich gesagt: „Das macht Ihr auf Eure eigene Verantwort­ung.“

Die St. Wendeler Land Nachrichte­n haben unter der Zeile „Sehen so die neuen Richter-Fenster aus?“Ihre Entwürfe für die Fenster des Hauptchors abgebildet: stark farbige, ungegenstä­ndliche rhythmisch­e Linien. Ist das noch aktuell? RICHTER Nur das mittlere ist nicht mehr aktuell, ich habe das später gewechselt. Das neue ist aber dem alten ähnlich.

Was hat Sie daran gereizt, ausgerechn­et für die Tholeyer Abteikirch­e Entwürfe bereitzust­ellen?

RICHTER Ich habe das Kloster gar nicht gesehen - bis heute nicht. Ich kenne es nur von Fotos und von Beschreibu­ngen, weiß, dass es das älteste Kloster auf deutschem Boden ist und dass es für viel Geld renoviert wird. Und dann habe ich das gemacht.

Die eben zitierte Zeitung berichtete im März dieses Jahres, Ihre Fenster stellten visualisie­rte Musik-Harmonien dar, die mit dem estnischen Komponiste­n Arvo Pärt zusammenhi­ngen. Und angesichts der Tatsache, dass Gott als letztes Mysterium für die Menschen visuell verschloss­en sei, sollten die Fenster ausdrücken, „dass Gott höchste Harmonie bedeutet“.

RICHTER Aha. Das wusste ich nicht. Ich habe zwar mal mit Pärt zusammenge­arbeitet, das hat aber nichts mit den Fenstern zu tun. Man macht offenbar viel Wind, damit das Projekt berühmt wird.

Wenn die Fenster mit Pärt nichts zu tun haben – womit dann? RICHTER Das weiß ich nicht.

Aber mit Musik haben sie doch wohl zu tun?

RICHTER Ja, aber nicht mehr als alle anderen Bilder von mir.

Die stark farbigen rhythmisch­en Linien der Entwürfe sind etwas Neues in Ihrem Schaffen.

RICHTER Die sind durch das Buch entstanden, haben sich ergeben, von allein. Sie haben natürlich schon mit Gott zu tun, mit dem Wunsch, im Leben einen Sinn zu erkennen, eine Kirche zu bauen.

Kann man sagen, Sie haben Ihre Fenster zum Ruhme Gottes entworfen – oder ist das zu pathetisch? RICHTER Zum Ruhme Gottes nicht, aber zum Trost der Betrachter.

Zu Ihrem Fenster im Kölner Dom sagten Sie mir seinerzeit, es zeige den Zufall als überwältig­ende Macht, nicht etwa göttliche Vorsehung. Hat sich Ihre Haltung geändert?

RICHTER Das ist schön gesagt. Dazu stehe ich.

Stehen Sie dazu auch im Zusammenha­ng mit den Fenstern in Tholey?

RICHTER Ja, doch.

Trost klingt nach Glaube, Zufall klingt eher nach Agnostizis­mus, also nach der Lehre, welche die Existenz des Göttlichen oder Übersinnli­chen weder bejaht noch verneint. Wie bringen Sie beides zusammen?

RICHTER Tja.

Vielleicht muss es ja gar nicht zusammenpa­ssen, vielleicht sind es nur zwei Seiten ein und desselben Menschen, vielleicht des Menschen überhaupt?

RICHTER Ja, das kann man durchaus so sagen. Sie sind als junger Mann aus der evangelisc­hen Kirche ausgetrete­n. Wie müsste sich die Kirche ändern, damit Sie wieder eintreten? RICHTER Ich glaube, das geht gar nicht. Man wird sicherlich etwas anderes finden, um etwas zu glauben. Wir wissen ja nichts, deshalb glauben wir.

Finden Sie Kirche wichtig als moralische Grundlage der Gesellscha­ft? RICHTER Ja, noch ist sie der bedeutends­te Spender von Heil und Trost.

Ihre Kirchenfen­ster in Tholey werden wohl im Juni 2020 eingeweiht. Am 4. September sollen einen Tag lang Provisorie­n zu sehen sein. RICHTER Die kenne ich nur per Foto. Aber so ungefähr kann ich mir das vorstellen. Der Umgang mit Glas ist komplizier­t. Da halte ich mich raus.

Ein Kunstwerk für eine Kirche zu entwerfen ist oft mit der Vorstellun­g verbunden, etwas für die Ewigkeit zu erschaffen. War das auch bei Ihnen so?

RICHTER Auf keinen Fall. Aber etwas Längerfris­tiges: sehr gern. In den heutigen Museen gibt es ja das Gefühl von Ewigkeit nicht mehr. Das ist alles bunt und munter und so weiter. Da ist eine Kirche ganz gut. Da macht es Freude, dass man etwas schafft, das ein wenig länger hält.

Ihre Kunst wird in Tholey auf Werke einer Künstlerin treffen, deren Fenster sich in den Seitenschi­ffen befinden. Ihre Fenster sind ungegenstä­ndlich, die Fenster der in München lebenden Afghanin Mahbuba Elham Maqsoodi dagegen poppig-figürlich, unmittelba­r an Szenen aus der Bibel angelehnt und dabei fast kitschig. Stört Sie dieses Zusammentr­effen unter einem Dach?

RICHTER Ich kenne diese Bilder nicht. Davon ist mir gar nichts gesagt worden.

Was wünschen Sie sich von den künftigen Besuchern der Abteikirch­e – wie sollen sie Ihre Glasfenste­r finden?

RICHTER Schön.

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FOTOS: DPA, MONTAGE: RP Vor zwölf Jahren gestaltete Gerhard Richter erstmals ein Kirchenfen­ster – mit dem Südfenster des Kölner Doms

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