Rheinische Post Hilden

Im Zirkus mit den Rolling Stones

1968 lud Mick Jagger die größten Musiker der Welt zu einer legendären TV-Show ein. Sie wurde nie gesendet. Nun gibt es sie auf DVD.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

LONDON Sie gründen eigens eine Band für diesen Tag, und was für eine: John Lennon, Eric Clapton, Keith Richards und Mitch Mitchell, der Schlagzeug­er von Jimi Hendrix, spielen gemeinsam „Yer Blues“von den Beatles. Neben der Bühne liegt ein schwarzer Sack, die Zuschauer wundern sich, was da wohl drin sein mag, und als das Lied zum Ende kommt, erhebt sich der Sack, der gar

Die Show ist der letzte Auftritt von Brian Jones. Sechs Monate danach starb er

keiner ist, wirft die Decke ab, und hervor kommt Yoko Ono. Sie schreitet ans Mikrofon und kreischt, sie schreit einfach den Buchstaben A und hört nicht auf. Sie gibt sich so dermaßen die Krach-Kante, dass selbst der unerschütt­erliche Keith Richards irritiert schaut: Yoko? Oh, no! Einzig John Lennon bleibt gelassen, er kennt das ja von zuhause: „Christ, you know it aint easy / You know how hard it can be.“

„Rock And Roll Circus“heißt die legendäre Show, die die Rolling Stones am 10. Dezember 1968 veranstalt­en. Ein Zirkus sollte das sein, das war das Konzept der Schnapside­e, die man erst kurz zuvor geboren hatte, und nun treffen sie sich also im Fernsehstu­dio in Wembley: Artisten und Clowns, die man von Robert Fossett’s Circus ausleiht, und einige der berühmtest­en Musiker aller Zeiten. Mick Jagger hatte sie angerufen, den Blues-Mann Taj Mahal etwa. Nur bei Paul McCartney klingelte er gar nicht erst durch, weil der bestimmt nicht mitgemacht hätte. Und Led Zeppelin überging er auch, die waren ihm zu laut. Die 300 glückliche­n Zuschauer hatten die Karten bei einem Preisaussc­hreiben des Magazins „New Musical Express“gewonnen, am Eingang reicht man ihnen gelbe Ponchos und orangene Hüte, damit alles schön bunt ist.

Der Beginn ist schon toll, da tritt Jagger im Kostüm eines Zirkusdire­ktors vor das Publikum und sagt: „Ihr alle kennt den Piccadilly Circus, ihr alle kennt den Oxford Circus, und das ist nun The Rolling Stones Rock And Roll Circus.“Es ist Verspreche­n und Drohung zugleich. Dann tritt Jethro Tull auf, und deren Sänger Ian Anderson sieht aus wie ein Werwolf, der Bildschirm ist voller Haare, drahtige und borstige Haare, und da es die Band damals erst seit einem Jahr gibt, wirkt Anderson ein bisschen gestresst, weil er sein Markenzeic­hen noch nicht so flüssig hinbekommt: das einbeinige Querflöten-Spiel.

Die Show ist ein Dokument der Spontaneit­ät, sie wirkt wie eine Kapsel, die den Geist dieser Zeit birgt. Man hofft ja immer, dass einem mal jemand sagt, dass das damals gar nicht sooo toll gewesen ist, wie alle denken, dass es in Wirklichke­it ganz langweilig war und man nicht neidisch zu sein braucht. Aber, das muss man spätestens jetzt einsehen, so war es wohl nicht. Charlie Watts sagt „the beautiful Miss Faithfull“an, und dann singt Marianne Faithfull, die ja damals mit Mick Jagger zusammen war, „Something Better“. In einem lila Satinkleid sitzt sie hingegosse­n in der Manege, die Wimpern sind drei Meter lang und streicheln die Linse der Kamera, und all die harten Jungs drumherum halten ausnahmswe­ise mal ihre Klappen. Allerdings nur bis die Feuerschlu­cker dran sind. Die sagt natürlich Keith Richards an, mit Zylinder, Augenklapp­e und Zigarre.

Die BBC zeichnet die Show auf, Regie führt Michael Lindsay-Hogg, der Sohn von Orson Welles. Gesendet wird sie indes nicht. Der Mythos besagt, Mick Jagger habe die Ausstrahlu­ng verhindert, weil The Who die Stones an die Wand gespielt hätten. Tatsächlic­h ist die Band umwerfend gut: Zu „A Quick One While He’s Away“schüttelt Roger Daltrey die Fransen seines betont auf Hüfte geschneide­rten Wildleder-Anzugs, und man sieht, dass er sich verflixt viril fühlt. Pete Townshend ist auch voll da, und es ist ein Höhepunkt dieses Abends. Vielleicht lag der Film aber in Wirklichke­it deshalb jahrzehnte­lang unter Verschluss, weil er bei aller Heiterkeit ganz schön traurig ist. Das ist nämlich der letzte Auftritt von Brian Jones, den die Drogen längst in andere Regionen transporti­ert haben. Sein Körper ist dabei, der Kopf schwebt jedoch bereits jenseits des Sirius.

Sehr spät in der Nacht treten schließlic­h die Stones auf, krönender Abschluss. Gerade ist ihr Album „Beggars Banquet“erschienen, Meisterwer­k. „God save the Queen. Said the Queen“, sagt Jagger sarkastisc­h, und Bill Wyman trägt pinke Schuhe. Sie spielen „Sympathy For The Devil“, Jagger huldigt dem Gotte Sardon und dessen Hofstaat, er wirft sich zu Boden, zieht sein Shirt aus und bringt Teufel-Tätowierun­gen zum Vorschein, die aus heutiger Sicht rührend böse aussehen. Man fasst es nicht, wie viel Energie dieser Typ hat und mit welch heiligem Ernst er da zu Werke geht. Daneben allerdings steht Brian Jones und macht die Percussion. Er trägt eine gelbe Hose und hohe Stiefel. Und er ist zu dem Zeitpunkt wahrschein­lich echt in der Hölle. Drei Monate später werfen sie ihn aus der Band, und noch einmal drei Monate später ist er tot.

Der „Rock And Roll Circus“liegt nun endlich in der definitive­n Ausgabe auf DVD vor. Im Bonusmater­ial findet sich ein Interview mit Pete Townshend. Er erzählt, dass man ursprüngli­ch durch die USA reisen wollte mit einem Wanderzirk­us. Fellini und Sgt. Pepper waren die Vorbilder und das zu Weihnachte­n 1967 ausgestrah­lte Beatles-TV-Special „Magical Mystery Tour“. Townshend sitzt in einem Tonstudio, das sicher teuer war. Er sieht aufgeräumt und grau aus. Und als er so in die Kamera blickt, denkt man, dass die Sixties schon ganz schön lange vorbei sind.

 ?? ABBILDUNG: UNIVERSAL ?? Dompteur des Rock And Roll: Mick Jagger (mit Zylinder) im Kreise seiner Lieblingsa­rtisten (v.l.): Pete Townshend, John Lennon, Yoko Ono, Keith Richards, Charlie Watts, Brian Jones, Bill Wyman, Eric Clapton und Marianne Faithfull.
ABBILDUNG: UNIVERSAL Dompteur des Rock And Roll: Mick Jagger (mit Zylinder) im Kreise seiner Lieblingsa­rtisten (v.l.): Pete Townshend, John Lennon, Yoko Ono, Keith Richards, Charlie Watts, Brian Jones, Bill Wyman, Eric Clapton und Marianne Faithfull.

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