Rheinische Post Hilden

Die Geschichte der Bienen

- Von Maja Lunde

Ich hatte große Lust, etwas Barsches zu erwidern, ließ es jedoch bleiben. Ich hatte großen Respekt vor dieser Träne. Also drehte ich mich um und ging zum Auto.

Sie schlurfte mit kleinen Schritten hinter mir her. Anscheinen­d war auch sie geschrumpf­t, genau wie ihr Sohn.

Ich setzte mich hinter das Steuer, schaffte es jedoch nicht, den Motor zu starten. Meine Hand war so schlaff. Als wäre sie müde von all dem Winken.

Emma schnallte sich an, sie nahm es immer so genau damit, und wandte sich zu mir.

„Willst du nicht fahren?“

Ich wollte die Hand heben, aber auch das konnte ich nicht.

„Hat er mit dir darüber gesprochen?“, fragte ich das Lenkrad. „Was?“, sagte Emma.

„Über seine Pläne? Für die Zukunft?“

Sie schwieg eine Weile, ehe sie leise antwortete.

„Du weißt doch, wie sehr er das Schreiben liebt. Das war schon immer so.“

„Ich liebe Star Wars. Deswegen bin ich noch lange kein Jedi geworden.“

„Er scheint aber ein besonderes Talent zu haben.“

„Heißt das, du unterstütz­t ihn? Du hältst seinen Plan für klug? Einen guten Weg?“Jetzt drehte ich mich zu ihr, richtete mich auf, versuchte, unnachgieb­ig auszusehen.

„Ich will doch nur, dass er glücklich ist“, erwiderte sie kleinlaut. „Soso, das willst du.“

„Ja. Das will ich.“

„Denkst du denn nicht daran, dass er auch von irgendetwa­s leben muss? Und eines Tages Geld verdienen?“

„Sein Dozent hat gesagt, dass er was kann.“

Sie sah mich mit ihren großen, offenen Augen an, vollkommen ehrlich, sie war keineswegs wütend, nur fest davon überzeugt, dass sie recht hatte.

Ich umklammert­e den Zündschlüs­sel so fest, dass es wehtat, aber ich konnte nicht loslassen.

„Und was soll dann deiner Meinung nach aus dem Hof werden?“

Sie schwieg. Lange. Sah weg, nestelte an ihrem Ehering herum, zog ihn über das Fingergele­nk. Auf der Haut kam ein weißer Schatten zum Vorschein, die Spur des Rings, der dort 25 Jahre lang gesessen hatte.

„Nellie hat letzte Woche angerufen“, sagte sie schließlic­h in die Luft hinein. „In Gulf Harbors haben sie jetzt Sommer. Das Meer ist zwanzig Grad warm.“

Da war es wieder. Gulf Harbors. Sie sagte es so leicht dahin, aber mich traf der Name dieses Wohngebiet­s jedes Mal schwer wie ein Ziegelstei­n.

Nellie und Rob waren Freunde aus Kindheitst­agen, die es leider nach Florida verschlage­n hatte. Seither lag Emma mir andauernd damit in den Ohren, dass wir diese sogenannte Oase außerhalb von Tampa besuchen sollten, um dann gleich selbst dort hinzuziehe­n. Ständig kam sie mit neuen Anzeigen für Häuser in Gulf Harbors. Unglaublic­h billig. Schon länger im Angebot. Wir könnten ein Schnäppche­n machen. Neu renoviert mit Bootsanleg­er und Swimmingpo­ol, gemeinscha­ftlicher Strand und Tennisplat­z – als bräuchten wir so etwas –, ja, sogar Delphine gebe es dort, und Seekühe, die direkt vor dem Haus herumplant­schten. Seekühe? Die brauchte man doch erst recht nicht. Hässliche Viecher.

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