„Es ist ein Irrweg, grüner
in Bayern das europäische Flüchtlingsproblem lösen? Nein, das konnten wir nicht! Aber wir wollten von Anfang an die Zuwanderung steuern und die hohe Zahl ungesteuerter Zuwanderung wieder senken, um zu einer geordneten Zuwanderung zu kommen. Wir brauchen einerseits die Qualifizierten, um die wir werben müssen, und andererseits ein Asylrecht nur für die, die wirklich schutzbedürftig sind.
Das gelingt bis heute nicht.
LASCHET In diesem Prozess sind wir immer noch und es wurde bis heute schon viel geleistet, vor allem in unseren Städten und Gemeinden. Bei den Rückführungen derer, die nicht asylberechtigt sind, liegt Nordrhein-Westfalen an der Spitze der deutschen Länder.
Was hat zum Erstarken der AfD in den vergangenen Jahren geführt?
SCHRÖDER Dort, wo etwa im Osten Deutschlands der Anteil von Asylbewerbern denkbar gering ist, ist der Widerstand am größten, und die AfD nutzt das Thema erfolgreich, um Vorurteile zu mobilisieren. Ich bin oft gefragt worden, was ich als Kanzler damals anders gemacht hätte. Als sich die Flüchtlinge an der österreichisch-ungarischen Grenze stauten, hat Frau Merkel auf Bitten des österreichischen Kanzlers völlig richtig entschieden. Sie hatte Herz, aber keinen Plan. Das Problem war, dass wir danach nicht schnell genug zu einem geordneten Dublin-Verfahren zurückgekommen sind, wonach Asylbewerber in dem Land zu registrieren sind, in dem sie die Europäische Union betreten. Wir wussten nicht, wer genau nach Deutschland kommt. Da sind Fehler gemacht worden. Und man hätte viel früher den Aufbau eines europäischen Grenzschutzsystems vorantreiben sollen.
LASCHET Bei Letzterem haben Sie recht. Und wir haben die Probleme in den Herkunftsländern unterschätzt. Auch Deutschland hat in den Jahren vor 2015 die Mittel für Flüchtlingshilfe vor Ort gekürzt, während der Bürgerkrieg in Aleppo eskalierte. Und der europäische Außengrenzschutz hätte mit Schengen erfolgen müssen. Ich bin ein leidenschaftlicher Anhänger von offenen Grenzen in Europa. Aber der zweite Teil, die Außengrenze schützen, das haben wir versäumt und damit die Griechen, die Italiener und die Spanier mit dieser Herausforderung alleine gelassen. Dublin-Verfahren heißt: Der Betreffende kommt hier rein, stellt seinen Antrag und dann entscheidet die Verwaltung. Du warst schon in Italien sicher, also musst du nach Italien zurück. Das muss innerhalb von sechs Monaten erfolgen.
Das passiert ja nicht.
LASCHET Es passiert jetzt zunehmend.
Teilen Sie die Analyse, dass das Wiedererstarken der eigentlich tot geglaubten AfD an dieser Frage liegt?
LASCHET Naja, die AfD ist entstanden als Partei gegen die Eurorettung – ein ganz anderes Thema. Ich bin froh, dass wir an der Europäischen Währungsunion festgehalten haben und auch Griechenland im Euro gehalten haben. Es war vielleicht ein Fehler, dass man Griechenland schon zu Beginn des Euro damals hineingenommen hat. Das war in Ihrer Regierungszeit, Herr Bundeskanzler. SCHRÖDER Aber alle Institutionen von der EU-Kommission bis zur Bundesbank haben das damals befürwortet, da konnten wir als Bundesregierung nicht nein sagen.
LASCHET Jedenfalls ist die AfD bei der Bundestagswahl 2013 nach der Eurorettung unter der 5-Prozent-Marke geblieben. Und dann haben sie durch 2015 einen neuen Schub bekommen, das ist so. Man muss aber sehen, dass die damalige Opposition aus Grünen und Linken in der Flüchtlingsfrage noch weitergehen wollte. Eine kritische Debatte im Bundestag zwischen Regierung und Opposition fand nicht statt. Diese Lücke hat die AfD genutzt. Inzwischen ist das Thema Flüchtlinge nicht mehr das dominierende Thema bei den Menschen.
Herr Schröder, wenn jeder Vierte in Sachsen die AfD wählt, besorgt Sie das, oder ist das ein Sonderphänomen Ost? SCHRÖDER Es ist ein Sonderphänomen, keine Frage. Wir sollten besorgt sein, aber auch nichts dramatisieren. Denn rund 75 Prozent der Wähler in Brandenburg und in Sachsen haben nicht die AfD gewählt. Was wir erleben, ist eine Europäisierung des deutschen Parteiensystems. Früher gab es klare RechtsLinks-Fronten. Und Politiker wie Franz Josef Strauß haben die demokratische Rechte gut abgedeckt. Aber unsere Gesellschaft differenziert sich aus. Und es ist für eine Volkspartei schwierig, dieser Ausdifferenzierung mit einem einzigen Programm politisch zu begegnen.