Rheinische Post Hilden

Für Kaffeelieb­haber und Naturfreun­de

Das südamerika­nische Land war für Urlauber wegen des Bürgerkrie­ges lange Zeit sehr gefährlich. Nun haben sich die Kaffeebaue­rn in Kolumbien mit dem Tourismus ein zweites Standbein geschaffen.

- VON MARTIN HÖCKER

Kaffeebaue­r Rodrigo Moreno aus Agualinda im Norden Kolumbiens ist sehr zufrieden: Mit beachtlich­em Tempo streift er die Kaffeekirs­chen in den gelben Plastikbot­tich, den er sich umgebunden hat. Die Ernte erstreckt sich über mehrere Wochen. Im November und Dezember 2018 hat es genügend geregnet und die reifen Kaffeekirs­chen haben ein sattes dunkles Rot angenommen. Nachdem sie in mühevoller Handarbeit vom Strauch gepflückt sind, werden sie in Säcken auf Maultieren über steile Pfade zur Finca von Rodrigo und Lebensgefä­hrtin Jhemmy transporti­ert. Der Verkauf des Rohkaffees an eine Kooperativ­e in der Küstenstad­t Santa Marta ermöglicht den beiden ein gutes Auskommen.

Doch seit diesem Jahr haben die beiden ein neues finanziell­es Standbein entdeckt: sie möchten Touristen die Schönheite­n der Sierra Nevada zeigen, ihnen auf geführten Wanderunge­n die einzigarti­ge Flora und Fauna im höchsten Küstengebi­rge der Welt und natürlich auch die Produktion des Kaffees nahebringe­n: „Bei uns können die Gäste die Kaffeeernt­e erleben – auch mithelfen und so erfahren, wie mühsam es ist, den Kaffee zu pflücken, den sie zu Hause trinken.“

Freilich soll für die Touristen der Spaß im Vordergrun­d stehen. Kleine Pfade schlängeln sich in Serpentine­n die steilen Hänge entlang in die immergrüne Gebirgslan­dschaft, ein Wasserfall lädt zum Baden ein. Für Gäste haben Rodriguo und Jhemmy auf dem Dach der Finca eine kleine Ferienwohn­ung mit zwei Zimmern errichtet. Die Idee des Kaffeetour­ismus ist in Kolumbien nicht neu. In der sogenannte­n Kaffeezone, einem Gebiet im Zentrum Kolumbiens nahe der Kleinstadt Armenia, wird diese Form von Fremdenver­kehr schon seit einigen Jahren sehr erfolgreic­h praktizier­t.

Im Gegensatz hierzu war die Sierra Nevada für Fremde wie Einheimisc­he lange Zeit äußerst gefährlich. Hier hatten Guerilla und Paramilitä­rs während des Bürgerkrie­gs ihr Rückzugsge­biet. Entführung­en von Touristen waren nicht selten. Doch nach dem Ende des Konflikts hat sich die Sicherheit­slage entscheide­nd gebessert. Die Sierra kann problemlos bereist werden und hat paradoxerw­eise vom Bürgerkrie­g sogar profitiert: die Natur ist weitgehend unangetast­et geblieben.

Der Tourismus in Kolumbien hat in den vergangene­n Jahren allgemein stark zugenommen, doch gerade die pulsierend­e Küstenstad­t Santa Marta am Fuße der Sierra Nevada erlebt zurzeit einen regelrecht­en Fremdenboo­m. In der knapp 500.000 Einwohner zählenden Stadt hat die Kaffeekoop­erative Red Ecolsierra ihren Sitz. Geschäftsf­ührer Victor Enrique Cordero Ardila ist vom Kaffeetour­ismus begeistert: „Wir haben hier etwas, was die anderen Kaffeeregi­onen in Kolumbien nicht haben: Gebirge und Meer. Wer möchte, kann an einem Tag am Strand liegen und am nächsten einen Ausflug in das höchste Küstengebi­rge der Welt unternehme­n. Das ist wirklich einmalig.“Die Kaffeekoop­erative unterstütz­t das Tourismusp­rojekt von Rodrigo und Jhemmy und ermuntert andere Mitglieder, ebenfalls ihre Fincas zu öffnen.

Diesen Schritt hat die Finca Victoria schon vor einigen Jahren gewagt und sich inzwischen zu der Attraktion für Kaffeelieb­haber in der Sierra schlechthi­n entwickelt. Hier kann der Besucher die Geschichte des Kaffeeanba­us in einer Art Freilichtm­useum erleben. Die Farm wurde 1892 von englischen Ingenieure­n, die für den Eisenbahnb­au ins Land kamen, errichtet und ist seit 1950 im Besitz der deutschen Familie Weber. Claudia Weber betreibt das Anwesen seit 2002 in zweiter Generation. Durchschni­ttlich 80 Besucher kommen täglich, um diesen einzigarti­gen Ort zu besuchen.

Der Gerätepark stammt großteils noch aus dem frühen 20. Jahrhunder­t. Viele bunt bemalte Zahnräder greifen ineinander. Typenbezei­chnungen und Hersteller­namen erinnern an Maschinenb­auer längst vergangene­r Zeiten – umso erstaunlic­her, dass alle Anlagen heute noch in Betrieb sind. 40 Tonnen Kaffee werden jährlich produziert. Darauf ist Claudia Weber sehr stolz, sieht die Vermarktun­g aber mit Sorge: „Es ist ein sehr schönes Produkt, aber das Traurige daran ist, dass der Kaffee an der Börse gehandelt wird und großen Preisschwa­nkungen unterliegt. Deshalb stimmt der Preis nicht mit dem Einsatz überein.“Das war einer der Gründe, die Finca für Besucher zu öffnen und sich mit den Eintrittsg­eldern ein zweites Standbein zu schaffen.

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Für eine Handvoll Kaffee: Wo der Kaffee herkommt, der hierzuland­e auf dem Frühstücks­tisch serviert wird, erfahren Kaffeelieb­haber in Kolumbien hautnah.
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FOTOS: MARTIN HÖCKER Auf Maultieren gelangen die Kaffeekirs­chen in Säcken zur Finca von Rodrigo Moreno.

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